Pinneberg. Diskussion um Krebsgefahr hat Vereine der Nachbarkreise alarmiert. Hiesige Clubs bleiben gelassen, viele setzen auf neue Materialien

Ohne Bedenken hält Andreas Wilken, Fußballmanager bei Blau-Weiß 96 Schenefeld, die grünen Körner in die Kamera. Auf dem Trainingsplatz in Achter de Weiden verwendet sein Verein einen als gesundheitsverträglich angesehenen Füllstoff. EPDM (Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk) ist die chemische Bezeichnung des Materials – seit mehr als zehn Jahren wird es auf Kunstrasenplätzen verteilt, um die Spieleigenschaften mit denen auf Naturrasen vergleichbar zu machen. Dank umfangreicher Prüfungen haben sie sich bewährt gemacht.

SBR-Granulat aus Reifen liegt auf 95% aller Kunstrasen

Deutlich häufiger verwendet wird allerdings ein anderes Material: SBR-Granulat, das aus geschredderten Autoreifen besteht, liegt weltweit auf 95 Prozent aller Kunstrasen, die auch 3G-Plätze genannt werden. Bis vor Kurzem stand der Gummistoff ausschließlich für Kosteneffizienz und hervorragende Elastizität. Der niederländische Journalist Roelof Bosma will nun herausgefunden haben, dass dieses Granulat für Akteure auf dem Feld krebserregend ist. Mit seinem Fernsehbericht „Gefährliches Spiel“ rückte er das Recycling von Altreifen im Zusammenhang mit Kunstrasenplätzen in ein anderes Licht.

Wechsel auf EPDM-Granulat bringt 90.000 Euro Mehrkosten

Die brisante Unterstellung, die in den Niederlanden für Spielabsagen und Platzsperren im großen Stil sorgte, löste auch im Umland des Kreises Pinneberg Aufregung aus: Im Kreis Stormarn lag beim SSC Hagen Ahrensburg besagtes SBR-Granulat schon zur Einarbeitung in den Platz bereit. Hier wurde das kostengünstige Material zum Eigentor: Als Reaktion auf die niederländischen Erkenntnisse ließ die Stadt den Baustoff vom Büro für Geologie und Umwelt (BGU) untersuchen. Geprüft wurde die Belastung mit Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK), die krebserregend sind. Das Ergebnis: Die Grenzwerte der Europä­ischen Chemikalienverordnung REACH wurden leicht überschritten, kurzfristig steuerte die Stadt auf EPDM-Granulat um. Mehrkosten: mehr als 90.000 Euro.

Auch im zwölf Kilometer entfernten Stapelfeld wurden 48 Tonnen SBR-Granulat kurzfristig wieder abtransportiert. Eine Vorsichtsmaßnahme der Verantwortlichen, auch wenn die Mess­-ergebnisse in diesem Fall die aktuellen Grenzwerte unterschritten. Womöglich werden im nächsten Jahr jedoch neue eingeführt – eine Präventivaktion also.

Und auch im Kreis Pinneberg ist die Diskussion um eine potenzielle Gesundheitsgefahr nicht unbekannt. Auf den acht bestehenden Kunstrasenplätzen sieht allerdings keiner der Verantwortlichen Handlungsbedarf.

Ein Grund dafür ist, dass auf mehreren Feldern eine Alternative zum Gummigranulat verstreut liegt. Zum Beispiel in der Schulauer Straße 2 in Wedel, wo Cosmos Wedel, Wedeler TSV und Roland Wedel seit zwei Jahren das Spielfeld nutzen. Als Füllung fungiert hier Quarzsand. Aufgrund der Lage im Naturschutzgebiet ist die Verwendung von Gummigranulat gar nicht zulässig. „Der Vorteil an Quarzsand ist, dass dieser beim regelmäßigen Austausch als Biomüll entsorgt werden kann“, sagt Martina Weisser, Sprecherin im Wedeler Rathaus.

Auf Umweltfreundlichkeit wurde auch bei den beiden großen Kunstrasenplätzen des FC Union Tornesch gesetzt. Hier liegt eine hochwertige Korkfüllung aus, die etwa 20 Prozent teurer als Gummigranulat ist. „Damit können wir sicher sein, das Natürlichste zu haben. Auch wenn sich das bei einem Kunstrasenplatz komisch anhört“, sagt Frank Mettal, Geschäftsführer des Tornescher Fußballparks. Während Gummi ein flüchtiges Granulat sei, das über die Zeit einen gewissen Abrieb habe und bei hohen Temperaturen verdunste, sei Kork witterungsbeständig und wiederverwertbar.

Firma Weitzel aus Tornesch verwendet weiterhin Altreifen

Nur 700 Meter entfernt von dem Fußball-Komplex, zu dem auch ein Naturrasen, ein kleines Feld für Technikübungen sowie eine Soccerhalle gehören, hat das Bauunternehmen Weitzel seinen Hauptsitz. An der Umsetzung des nahegelegenen Fußballparks war Weitzel nicht beteiligt, dafür zeichnet die Firma für fünf andere Plätze im Kreis verantwortlich. Weitzel setzt weiterhin auch auf SBR-Granulat, produziert dieses aber nicht selbst. Die Gummistoffe kommen aus dem Genan-Werk im nordrhein-westfälischen Dorsten. Mit Werken in Europa und den USA ist Genan das weltweit größte Unternehmen im Bereich des Altreifenrecyclings.

Granulat-Hersteller Genan spricht von Medienspekulation

Die gesundheitlichen Bedenken gegenüber Gummigranulat nennt der Betrieb in einer offiziellen Stellungnahme „unbegründete Medienspekulationen“. Mehr als 100 wissenschaftliche Studien weltweit, durchgeführt von unabhängigen Experten, würden bestätigen, dass diese Materialien tatsächlich für die Verwendung in Kunstrasenflächen geeignet seien. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bereitet derzeit eine tiefgreifende Begutachtung der Ver­wendung von Einstreugranulaten aus Altreifen in Kunstrasen vor. Genan begrüßt diese Aktion ausdrücklich: „Jedes aufgeworfene, vermutete Risiko muss untersucht werden.“

Die lokalen Abnehmer vertrauen zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf die Qualität ihrer Spielfläche, anstatt sich beunruhigen zu lassen. „Wir stehen in engem Kontakt mit Weitzel. Die Firma wartet unseren Platz, hat gerade erst wieder zwei Tonnen frisches Granulat darauf verteilt. Von einem europaweit produzierenden Unternehmen erwarten wir, dass es alle Bestimmungen einhält“, erklärt Bo Hansen, Abteilungsleiter Fußball bei der SV Lieth.

Ähnlich geht es Jan Ketelsen vom 1. FC Quickborn: „Keiner sorgt sich ernsthaft, dass etwas Schädliches drin ist“, sagt der Trainer der ersten Herren, die vor allem den Kunstrasen im Holstenstadion nutzen. Noch sicherer kann sich der Heidgrabener SV sein: „Weitzel hat auf Nachfrage zugesichert, unser Granulat enthalte keine Autoreifen“, erklärt Fußballabteilungsleiter Ingo Höns.

Blau-Weiß 96 Schenefeld setzt auch künftig auf Alternativen zum SBR-Granulat. Im Sommer 2017 wird der Naturrasen Achter der Weiden – von vielen „Acker der Weiden“ genannt – einem Kunstrasen mit Korkfüllung weichen. „Wir gehen mit der Zeit“, sagt Andreas Wilken. Ziel ist es, mit dem fertigen Rasen in die Spielzeit 2017/2018 zu starten.

Die Kunstrasenplätze im Kreis Pinneberg