Elmshorn/Itzehoe. Wegen Totschlag angeklagter Heranwachsender nimmt vor Gericht Stellung. Auch ein Tatzeuge sagt aus. Beide widersprechen sich.
Fast drei Jahre nach einer tödlichen Messerattacke in Elmshorn rollt das Landgericht Itzehoe den Fall seit Donnerstag auf. Vor der Jugendkammer muss sich Deniz P. verantworten, der zur Tatzeit 19 Jahre alt war. Seinen dortigen Auftritt hat er der Familie des Opfers zu verdanken, die per Gerichtsbeschluss eine Anklageerhebung durchsetzte. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen einer angeblichen Notwehrsituation eingestellt.
Ob der Angeklagte am Morgen des 14. August 2021 tatsächlich in Notwehr gehandelt hat, ist die zentrale Frage des Prozesses. Nach dem ersten Prozesstag, an dem der heute 21-Jährige und ein gleichaltriger Freund – er war Zeuge des Vorfalls – stundenlang aussagten, kommen Zweifel an dieser These auf.
Der Angriff, dessen Folge die Messerattacke war, ging vom späteren Opfer aus
Kein Zweifel besteht daran, dass der Angriff in einem kleinen Durchgang von der Holstenstraße in Richtung Holstenplatz von Jakob K. (36), dem später tödlich verletzten Opfer, ausging. Allerdings heißt es in Paragraf 32 des Strafgesetzbuchs auch, dass bei einer Notwehr das objektiv erforderliche Maß zu wählen ist und das mildeste zur Verfügung stehende Mittel genutzt werden muss.
Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hatte den Messerangriff, den Deniz P. zu seiner Verteidigung startete und der letztlich tödliche Folgen hatte, als straffrei anerkannt. Die Opferfamilie – der Verstorbene war verheiratet, hatte ein Kind – hatte zunächst Beschwerde beim Generalstaatsanwalt Schleswig-Holstein gegen die Einstellung der Ermittlungen eingereicht. Dort wurde der Fall geprüft und letztlich die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Itzehoe bestätigt
Opferfamilie leitete ein Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht ein
Die Wende brachte schließlich ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (OLG) in Schleswig. Der 1. Strafsenat hat angeordnet, dass gegen den Beschuldigten Anklage wegen Totschlags zu erheben ist. Das hat die Staatsanwaltschaft Itzehoe folgerichtig im November 2022 auch getan.
Zum Prozessauftakt am Donnerstag erschienen die Eltern, der Bruder und auch die Ehefrau des Verstorbenen. Sie alle sind als Nebenkläger dem Verfahren beigetreten – und sie alle mussten mitanhören, wie Deniz P. den Ablauf der Konfrontation aus seiner Sicht schilderte.
Angeklagter will in der Nacht jede Menge Alkohol und Marihuana konsumiert haben
Demnach will der damals 19-Jährige zunächst mit drei Freunden in einer Pinneberger Shisha-Bar eine Flasche Whisky, gemischt mit Cola, getrunken haben. Auch seien einige Joints geraucht worden, ehe man mit der Bahn nach Elmshorn fuhr und sich in der Juli-Bar mit weiteren Bekannten traf. „Ich war sehr gut besoffen“, so Deniz P., der über den Abend zudem zwei Gramm Marihuana konsumiert haben will.
Gegen 6 Uhr morgens habe man sich in dem Durchgang in der Nähe der Bar mit Tom S. (21) getroffen, der in Pinneberg noch dabei war, aber danach zu einer Geburtstagsparty aufgebrochen war. „Er hatte Ärger mit seiner Freundin, wir haben ihn getröstet.“ Insgesamt seien sie zu fünft in dem Durchgang gestanden, als sich Jakob K. in das Gespräch einmischte und Tom S. beleidigte.
„Er rief irgendwas wie ‚Ich habe auch was mit deiner Freundin gehabt, meine Kumpels auch‘“, erinnert sich der Angeklagte. Er habe gesehen, wie Tom S. wütend wurde. „Ich habe dann gegen den Stromkasten geschlagen und laut ,Verpiss dich‘ gerufen.“ Daraufhin habe ihn Jakob K. gewürgt und versucht, ihn zu schlagen.
Als nächstes berichtete Deniz P., zum Messer gegriffen zu haben, das sich zufälligerweise in seiner Bauchtasche befand. Als Jakob K. das Messer gesehen habe, sei er um die Ecke davongelaufen. Allerdings sei er kurz darauf zurückgekommen – mit einer Bierbank, die Stützen eingeklappt.
Deniz P. räumt einen Messerstich ein, will das Opfer im Schulterbereich getroffen haben
„Er hat mir auf den Kopf geschlagen, ich habe versucht, mich mit den Händen zu schützen.“ Während er die Hände schützend über den Kopf hielt, will der 21-Jährige das Messer in der linken Hand behalten haben. Er berichtete dann von einem zweiten Schlag, der ihm die Beine wegriss. Dabei habe er kurzzeitig das Messer verloren, dieses jedoch wieder aufgehoben.
Als Jakob K. dann erneut mit der Bierbank ausholte, um ihn im Kopfbereich zu treffen, habe er zugestochen – und zwar während er sich aufrappelte. „Ich habe ihn im Schulterbereich getroffen, ich konnte an seinen Augen sehen, dass er das auch gemerkt hat.“ Jakob K. habe daraufhin die Bierbank fallen lassen, er selbst sei in Panik weggelaufen.
Angeklagter will Messer auf dem Heimweg in einen Gully geschmissen haben
Das Messer, so gab der Angeklagte weiter an, habe er auf dem Heimweg vermutlich in einen Gully geworfen. Es wurde bis heute nicht gefunden. Er sammle Messer, so Deniz P., benutze sie etwa zum Schnitzen. „Das war kein Schnitzmesser“, intervenierte Staatsanwalt Henrik Schwitters. Daraufhin behauptete der Angeklagte, das Messer zum Fleischschneiden zu benutzen, etwa wenn er während Wanderungen grillen wolle.
Schwitters bezeichnete auch die Behauptung des 21-Jährigen, das Messer habe sich zufällig in seiner Gucci-Bauchtasche befunden, als „lebensfremd“. Und so betrunken wie angegeben könne der damals 19-Jährige nicht gewesen sein. Schwitters: „Ihr Blutalkoholwert lag um 7.52 Uhr bei 0,36 Promille.“
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Außerdem hakte der Staatsanwalt mehrfach nach, wieso das Opfer zwei Stichverletzungen erlitten habe, Deniz P. jedoch nur eine Attacke einräume. „Ich habe nur einmal zugestochen, das weiß ich“, wiederholte der Angeklagte. Und er gab mehrmals an, der Stich habe das Opfer im Schulterbereich getroffen.
Dazu konträr steht die Aussage seines Freundes Tom S., der wenige Meter vom Kampfgeschehen entfernt stand und sich zur Abwehr eines möglichen Angriffs mit einem Baustellenschild bewaffnet hatte. Er sprach zwar ebenfalls nur von einem Stich, dieser soll jedoch die Brust des Opfers getroffen haben.
Zeuge sah, wie das Messer „wieder aus dem Körper rauskam“
„Den eigentlichen Stich habe ich nicht gesehen, wohl aber, wie das Messer aus dem Körper wieder herauskam.“ Im Anschluss habe er den Angeklagten gefragt, wo er hingestochen habe. Dieser habe bestätigt, die Brust des Opfers getroffen zu haben. Nach dem Stich habe Jakob K. die Bierbank fallen lassen und sich an die Brust gefasst.
Im Gegensatz zum Angeklagten sprach Tom S. zudem nur von zwei Schlägen mit der Bierbank – und Deniz P. habe beim ersten Schlag, als er seinen Kopf schützte, das Messer nicht mehr in der Hand gehabt. Der zweite Schlag sei dann nicht mehr mit voller Wucht ausgeführt worden, weil den Angreifer zeitgleich das Messer getroffen habe. Ansonsten bestätigte Tom S. den Ablauf des Geschehens so wie es der Angeklagte geschildert hatte.
Laut Anklage erlitt das Opfer zwei Stichverletzungen, eine war tödlich
Laut Anklageschrift erlitt Jakob K. zwei Stichverletzungen – eine an der linken Schulter, eine im Oberbauch. Letzterer Stich öffnete die linke Brusthöhle und durchstach den linken Lungenlappen, sodass es zu einem starken Blutverlust nach außen kam und das Opfer verblutete.
Die Jugendkammer hat inzwischen fünf weitere Prozesstage bis Ende Juni angesetzt. Dann sollen die weiteren Zeugen des Geschehens, die eingesetzten Polizisten sowie die Ermittler der Mordkommission sowie ein Experte aus der Rechtsmedizin gehört werden. Auch wird zu klären sein, ob das mitgebrachte Messer des Angeklagten früher am Abend eine Rolle spielte. Dieser soll darauf zuvor vom Türsteher einer anderen Cocktailbar angesprochen worden sein.
Die Höchststrafe liegt im Jugendstrafrecht bei zehn Jahren Haft
Auch die Jugendgerichtshilfe nimmt an dem Verfahren teil und wird beurteilen müssen, ob bei Deniz P. das Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen kann. In diesem Fall läge im Fall einer Verurteilung die Höchststrafe bei zehn Jahren Haft.