Kreis Pinneberg. Nach Wirrwarr: Kreis Pinneberg gibt Plan für Unterkunft im alten Straßenverkehrsamt auf. Famila will Gelände kaufen, aber es hakt noch.
Nach längeren Irritationen steht nun fest: Das ehemalige Straßenverkehrsamt in Pinneberg wird keine Unterkunft für Geflüchtete. Das entschied der Hauptausschuss des Kreistages am Mittwochabend einmütig. Zuvor hatte bereits die Pinneberger Ratsversammlung dieses Vorhaben als „ungeeignet abgelehnt“.
Die Kreispolitiker gingen aber nicht auf das Angebot der Kreisstadt ein, stattdessen an der Müßentwiete am westlichen Stadtrand eine solche vorübergehende Unterkunft für etwa 90 Geflüchtete zu errichten. Pinneberg hatte zuvor dieses Areal als Alternative zum Straßenverkehrsamt angeboten. Indes wurde auch ein Verkauf des leerstehenden Straßenverkehrsamtes an Famila weder beraten noch beschlossen. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, entschied die Kreispolitik.
Famila versus Kreispläne: Monatelange Arbeit einer 13-köpfigen Taskforce war umsonst
Damit ist die noch im Herbst von den Städten und Gemeinden im Kreis als dringlich geforderte Pufferlösung vorerst vom Tisch. Die Lösung einer Unterkunft im ehemaligen Amt sollte den Kommunen für vier bis sechs Wochen Zeit verschaffen, neu zugewiesene Flüchtlinge in ihren Orten unterbringen zu können.
Seit September beriet und plante eine sogenannte Task-Force mit 13 leitenden Angestellten der Kreisverwaltung bis Dezember wöchentlich, wie und wo eine solche Einrichtung geschaffen werden könnte, die die Erstaufnahme der vom Land zugewiesenen Flüchtlinge regeln sollte.
Pinneberg oder Wedel? Mehr Alternativen für Flüchtlinge gab es nicht
Dabei sei schon Ende September klar gewesen, dass dafür nur das ehemalige Krankenhaus in Wedel oder das frühere Straßenverkehrsamt in Pinneberg in Frage kämen, denn über andere Liegenschaften verfüge der Kreis nicht.
Bei einem gemeinsamen Gespräch hätten die Bürgermeisterin Urte Steinberg für Pinneberg und Gernot Kaser für Wedel dieser Nutzung ihre „grundsätzliche Zustimmung erteilt“, heißt es in der Beantwortung einer Anfrage der SPD-Kreistagsfraktion. Und weiter: „Die Nutzung des alten Zollamtes wurde abgelehnt. Diesem Wunsch wurde seitens der Kreises entsprochen und das Objekt aus den weiteren Planungen ausgeschlossen.“
Seit November war klar, dass nur das Straßenverkehrsamt in Frage kam
Da die inzwischen an einen Investor verkaufte Klinik in Wedel nur für etwa eineinhalb Jahre als reines Mietobjekt zur Verfügung gestanden hätte, blieb nur noch das alte Straßenverkehrsamt übrig. Zumal der Kreis dafür rund eine Million Euro hätte investieren müssen, die lieber in ein eigenes Objekt gesteckt werden sollten, so die Abwägung der Task-Force. Am 17. November sei dann schriftlich im Protokoll festgehalten worden, dass an der Flensburger Straße nun konkret diese Unterkunft geplant werde und dies sei auch der Stadt Pinneberg so mitgeteilt worden.
Umso überraschter waren dann die Kreisverwaltung und Kreispolitik, als auf der Sitzung des Hauptausschusses vor zwei Wochen die Chefs von der Supermarktkette Famila und dem Feinwerkmechanik-Unternehmen Tempelmann dagegen Einspruch erhoben (das Abendblatt berichtete). Die Unternehmen planten, sich dort stark zu vergrößern und dafür bis zu 15 Millionen Euro zu investieren. Wofür Famila unbedingt das 5000 Quadratmeter große Gelände des Straßenverkehrsamtes bräuchte, das direkt an das eigene Gelände von 29.000 Quadratmetern mit Markt und großem Parkplatz grenze, sagte Famila-Inhaber Christian Lahrtz dem Abendblatt.
Pinnebergs Bürgermeister Thomas Voerste bot Grundstück an Müßentwiete an
Daraufhin schlug der neue Pinneberger Bürgermeister Thomas Voerste dem Kreis ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück zum Kauf für ein Flüchtlingsheim an der Müßentwiete vor. Vor etwa zehn Tagen sei dies auch mit der Kreisverwaltung besichtigt worden, berichtete der zuständige Fachdienstleiter Stephan Tödter. „Wir betonten, dass wir es gerne in einem Erbpachtvertrag übernehmen würden.“
Zwei Tage später hat dann die Pinneberger Ratsversammlung einen Koppelbeschluss gefasst, dass die Kreisstadt dem Kreis ein alternatives Grundstück für die Flüchtlingsunterkunft anbiete, „unter der Voraussetzung, dass der Kreis Pinneberg sich bereit erklärt, das Gelände des alten Straßenverkehrsamtes ebenfalls zu einem marktüblichen Preis an einen Investor zu verkaufen“ und dies in einem „Letter of Intent verbindlich“ zusage.
Grüne Ratsfrau aus Pinneberg beschwerte sich über angebliche Unterstellung
Die Pinneberger Grünen-Ratsfrau Ann-Kathrin Tranziska wehrte sich zudem vor der Sitzung des Kreisausschusses „gegen den unterschwelligen Vorwurf, die Pinneberger Politik würde diese Menschen nicht aufnehmen wollen.“ Sie sei nur gegen eine Gemeinschaftsunterkunft. „Wir haben bisher alle Flüchtlinge dezentral untergebracht.“ Was wiederum den Kreis-Fachbereichsleiter Heiko Willmann irritierte. „Es gibt keine Ressentiments von Seiten des Kreises gegenüber Pinneberg. Aber wohl an vielen Stellen Missverständnisse und Klärungsbedarf.“
So viel Hin und Her war den Kreispolitikern nun zu viel. Sie zogen die politische Notbremse und einen Schlussstrich unter die Unterkunftsplanungen. „Für uns ist die Geschäftsgrundlage nicht mehr gegeben“, führte SPD-Fraktionschef Hans-Peter Stahl aus. Offenbar sei der Bedarf dafür nicht mehr so groß. Das bestätigen auch die aktuellen Flüchtlingszahlen. So waren im Oktober noch 255 geflüchtete Menschen dem Kreis Pinneberg zugewiesen worden, und im November und Dezember jeweils etwa 120. Im Januar, Februar und für März 2024 seien es aber nur noch jeweils 80.
Zahl der zugewiesenen Geflüchteten um zwei Drittel seit Oktober gesunken
Insgesamt nahm der Kreis Pinneberg 2023 rund 2000 Asylbewerber und Ukraine-Flüchtlinge auf. 2022 waren es mit 4000 dagegen noch doppelt so viele Migranten.
Auch in der jüngsten Runde der hauptamtlichen Verwaltungsleiter der Städte und Ämter sei der „Eindruck vermittelt worden, dass eine solche Flüchtlingsunterkunft nicht mehr als so dringend angesehen würde“, fasste Daniel Kölbl aus Tornesch als stellvertretender Landrat das Ergebnis der Unterredung zusammen.
Kreispolitiker kritisierten, dass ein Betreuungskonzept für das Heim fehle
Grünen-Fraktionschefin Susanne von Soden-Stahl schloss sich zudem der Kritik ihres SPD-Amtskollegen Stahl an, dass ein Betreuungskonzept für eine solche Unterkunft fehle. Eineinhalb feste Betreuer für 90 geflüchtete Menschen sei viel zu wenig. „Die Betreuung und Versorgung ist nicht gelöst.“ Nicht völlig geklärt schien auch zu sein, ob der Kreis für den Bau einer solchen Einrichtung tatsächlich die vom Land in Aussicht gestellten 800.000 Euro an Zuschüssen erhalten würde.
Kreispräsident Ahrens sagte, diese zunächst nur mündlich aus dem Sozialministerium gemachte Zusage gebe es inzwischen auch schriftlich. Sie sei aber an Fristen bis Anfang März gebunden. Ahrens sagte aber auch: „Heute geht es nur um den Umbau des Straßenverkehrsamtes oder nicht. Alles andere können wir später regeln.“
Pinneberger Politiker plädieren für den Verkauf des alten Amtes an Famila
Damit ging der Kreispräsident auf den Wunsch einiger Pinneberger Abgeordneten –Torsten Hauwetter, Stefan Schmidt (beide CDU) und Olaf Klampe (FDP) – ein, die gerne jetzt schon die Frage klären wollten, ob der Kreis bereit sei, dass Straßenverkehrsamt zu veräußern. „Dazu gibt es ja ein vehementes Interesse der Pinneberger Wirtschaft“, sagte auch CDU-Fraktionschefin Heike Beukelmann. „Aber das müssen wir noch sorgfältig prüfen.“
Auch Pinnebergs Bürgermeister Voerste, der die Sitzung in Elmshorn als Zuschauer verfolgte, hätte sich gewünscht, die Kreispolitik hätte in diese Richtung bereits weiter gedacht. „Wir werden da weiter aktiv bleiben“, kündigte er nach der Sitzung auf Nachfrage des Abendblatts an.
Famila-Chef kündigt konkretes Kaufangebot an den Kreis an
Und auch Famila-Chef Christian Lahrtz kündigte am Donnerstag auf Nachfrage an, dass der Familienkonzernmit seinen 90 Lebensmittelmärkten und 7000 Mitarbeitenden dem Kreis demnächst ein konkretes Kaufangebot dazu machen werde. „Wir können jetzt in Ruhe darüber sprechen, ob der Kreis uns netterweise dieses etwa 5000 Quadratmeter große Gelände veräußert, damit wir das Gewerbegebiet an der Flensburger Straße aufwerten können und es dort wieder florieren kann.“