Quickborn/Itzehoe/Leipzig. Vor 14 Monaten spricht das Landgericht Itzehoe Irmgard F. (98) aus Quickborn schuldig. Warum sich das Verfahren so lange hinzieht.

Das Urteil gegen die aus Quickborn stammende, ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F. (98) – es ist auch 14 Monate nach der Gerichtsentscheidung nicht rechtskräftig. Das soll sich jedoch bald ändern. Über die Revision der Angeklagten wird der Bundesgerichtshof in einer öffentlichen Sitzung verhandeln.

Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist für den Fall zuständig, den das Landgericht Itzehoe am 20. Dezember 2022 abgeschlossen hatte. In einem fast zwei Jahre andauernden spektakulären Verfahren hatten die Richter die betagte Angeklagte, die von 1943 bis 1945 rechte Hand des Lagerkommandanten im KZ Stutthof war, wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und fünf Fällen des versuchten Mordes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt – ausgesetzt zur Bewährung.

Gericht: Angeklagte hat durch ihre Schreibtätigkeit den Holocaust gefördert

Das Landgericht war zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte durch die Erledigung von Schreibarbeit in der Kommandantur des KZ Stutthof die Haupttäter willentlich dabei unterstützt habe, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche grausam zu töten oder dies versucht zu haben. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungshandlungen notwendig gewesen.

Dominik Groß hat als Vorsitzender Richter den Stutthof-Prozess geleitet. Inzwischen ist er auch stellvertretender Präsident des Landgerichts Itzehoe.
Dominik Groß hat als Vorsitzender Richter den Stutthof-Prozess geleitet. Inzwischen ist er auch stellvertretender Präsident des Landgerichts Itzehoe. © picture alliance/dpa/dpa pool | Marcus Brandt

Weil Irmgard F. zur Tatzeit 18 beziehungsweise 19 Jahre alt und damit Heranwachsende war, hatten die Richter das Jugendstrafrecht angewandt. Dies wurde möglich, weil Reifeverzögerungen bei der Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten zumindest nicht ausgeschlossen werden konnten.

KZ-Prozess: Verteidigung hatte eine Woche nach dem Urteil Revision eingelegt

Bereits eine Woche nach dem Urteil legten die beiden Verteidiger, die Freispruch gefordert hatten, Revision ein. Laut Mitteilung des Bundesgerichtshofs von Donnerstag ist diese nunmehr beim zuständigen 5. Strafsenat eingegangen. Warum dies so lange gedauert hat? Weil diverse Stellen zwischendurch eingeschaltet waren.

Zunächst musste die Kammer des Landgerichts Itzehoe das schriftliche Urteil erstellen. Keine einfache Sache bei fast zwei Jahren Prozessdauer und dem komplexen Verfahren. Fast 300 Seiten ist die schriftliche Urteilsbegründung stark, die Anfang April fertiggestellt war.

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„Die Urteilsfrist wurde eingehalten“, betont Frederike Milhoffer, Sprecherin des Landgerichts Itzehoe. Im Anschluss startete eine Frist für die beiden Verteidiger, um die Revision im Namen der Angeklagten zu begründen. Als nächstes Stelle war die Bundesanwaltschaft an der Reihe, die sich mit dem schriftlichen Urteil und der Revisionsbegründung zu befassen hatte.

Von dort sind die Akten nun endlich beim zuständigen Bundesgerichtshof eingegangen. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, einen Termin zur Revisionshauptverhandlung anzusetzen, weil die Revision der Angeklagten grundsätzliche Fragen zur Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Mord durch die Dienstverrichtung in einem Konzentrationslager, das nicht zugleich ein reines „Vernichtungslager“ gewesen sei, aufwerfe, über die der Bundesgerichtshof für diese Konstellation noch nicht entschieden habe.

Bundesgerichtshof setzt öffentlichen Termin auf Antrag der Bundesanwaltschaft an

Der Bundesgerichtshof muss sich an diesen Antrag halten und wird nun einen Termin für eine öffentliche Hauptverhandlung ansetzen, die in Leipzig stattfinden wird. Angesichts des hohen Alters der Angeklagten – im Falle ihres Ablebens wäre das Verfahren einzustellen und das Urteil würde nicht rechtskräftig werden – dürfte dieser Termin nicht lange auf sich warten lassen.

An 14 der 41 Prozesstagen, die von großem Medieninteresse begleitet waren und für die das Landgericht Itzehoe extra einen externen Gerichtssaal angemietet hatte, hatte der historische Sachverständige Stefan Hördler sein Gutachten erstattet. Auf dieses hatte sich letztlich die Kammer beim Schuldspruch gestützt. Acht Überlebende sagten entweder persönlich aus oder waren per Videoübertragung zugeschaltet.

Verteidiger monierten am Tag des Urteils, dass ihre Rechtsfragen unbeantwortet blieben

Bereits am Tag des Urteils hatten die Verteidiger moniert, dass keine der von ihnen aufgeworfenen Rechtsfragen in der mündlichen Urteilsbegründung Erwähnung fanden. Dies betreffe die aus Sicht der Verteidiger problematische Rolle des historischen Sachverständigen sowie den Ortstermin im KZ Stutthof außerhalb der Hauptverhandlung, dessen Ergebnisse die Juristen für nicht verwertbar hielten.