Kreis Pinneberg. Im Kreis Pinneberg sind die Fälle von Mobbing an 91 Schulen zwar rückläufig. Aber akute Probleme gibt es laut Beratern jede Woche.
Entgegen dem bundesweiten Trend gehen Beleidigungen, Hass, Gewalt und Mobbing an den 91 Schulen im Kreis Pinneberg zurück. Das bestätigen die drei Trägervereine, die seit zwölf Jahren im Auftrag der Kreises Gewaltprävention an den Grund- und weiterführenden Schulen machen.
Ihre Arbeit habe mit 7888 Teilnehmenden bei 348 Veranstaltungen im vergangenen Jahr fast wieder das Niveau vor den beiden Schulschließungsjahren erreicht. „Das Klassenklima funktioniert wieder wie vor Corona“, zieht Michael Diestel eine positive Bilanz, der für die Awo die 26 Schulen im Raum Wedel, Uetersen, Tornesch und Schenefeld bei der Mobbing-Vor- und Nachsorge berät.
Rund 350 Anti-Mobbing-Kurse im Jahr 2022 mit 7134 Schülerinnen und Schülern
In den Jahren 2020 und 2021 war diese Beratung eingebrochen. Statt der 9128 Teilnehmenden, davon 7258 Schülerinnen und Schüler, die sie 2019 mit ihren Präventionskursen erreichten, konnten sie 2021 nur 5191 Teilnehmende, davon 4649 Schülerinnen und Schüler, gegen Mobbingangriffe gefeit und immun machen.
Auch die Zahl ihrer Schulungen war in diesen beiden Jahren um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Mit 7134 Schülerinnen und Schülern, die die Awo, der Wendepunkt Elmshorn und der Verein für Jugendhilfe und Soziales Pinneberg 2022 geschult haben, ist das Vor-Corona-Niveau erreicht.
Der Kreis Pinneberg hat 2021 die Finanzmittel auf 500.000 Euro aufgestockt
Eine halbe Million Euro lässt sich der Kreis Pinneberg diese Schulsozialarbeit der externen Berater jedes Jahr kosten. 2021 waren die Finanzmittel noch mal um 200.000 Euro aufgestockt worden, berichtet Sarah Sophie Jörs vom Team Prävention und Jugendarbeit in der Kreisverwaltung.
Die Arbeit der freien Träger besteht vor allem darin, Eltern, Schüler und Lehrkräfte im Vorwege so zu beraten und zu schulen, dass es gar nicht erst zu Mobbingvorfällen an der Schule kommt. Falls es dann doch passiert, würden sie von den 122 Schulsozialpädagogen oder den betroffenen Klassenlehrerinnen meist um Mithilfe gebeten.
Awo-Mitarbeiter: Die Lage an den Schulen hat sich bei Mobbingvorfällen entspannt
Aber diese Akutfälle, die oft mehrerer Sitzungen zur Klärung und Befriedung bedürfen, seien dank ihrer Präventionsarbeit rückläufig, sagt Pädagoge Diestel. „Die Lage hat sich entspannt.“ Kollegin Friederike Kröger vom Verein für Jugendhilfe, der die zweiten bis neunten Klassen in 38 Schulen im Raum Pinneberg und Quickborn berät, spricht von ein bis zwei Akutfällen von Mobbing im Monat.
Ihre Anti-Mobbing-Kurse seien ganz auf das Alter der Kinder zugeschnitten. In den Grundschulen sei die Aufregung anfangs recht groß, beruhige sich dann aber meist schnell wieder, hat Diestel festgestellt. Dort gehe es oft um kleinere Streitigkeiten oder Schubsereien auf dem Schulhof.
Die Kinder und Jugendlichen werden altersspezifisch beraten
Diesen Grundschülerinnen und –schülern erklärten sie dann die wichtigsten Grundregeln der gewaltfreien Kommunikation: „Die Schüler sollen sagen, was genau sie gestört und welches Gefühl dies bei ihnen ausgelöst hat“, erläutert der Awo-Mitarbeiter Diestel.
Dies könnten Wut, Ärger, Schmerz oder ein Gefühl der Ausgeschlossenheit sein. Anschließend sollten sie äußern, was sie sich vom Angreifer wünschten, ob er oder sie sich entschuldigen solle, damit sie sich wieder vertragen könnten.
Mobbing auf allen Kanälen - auf dem Schulhof, im Bus, im Internet
Bei den Jugendlichen in den weiterführenden Schulen sei diese Art der Streitschlichtung nicht so einfach. Da gehe es um schwerwiegendere Beleidigungen, Cybermobbing, sexualisierte Gewalt. Wobei die Mobbingangriffe meist auf allen Kanälen abliefen, erklärt Friederike Kröger. „Ob auf dem Schulhof, im Bus oder im Internet – wenn in der Schule gemobbt wird, geht es danach auf dem Handy weiter.“
Ihre Vorgehensweise sei dann, die Schüler für Empathie und Rücksicht auf die Gefühle der anderen zu sensibilisieren. „Es geht in erster Linie um Respekt und die Wahrung von Grenzen, die nicht überschritten werden sollten.“
Auch der Perspektivwechsel, sich in den anderen hineinzuversetzen, sei ein probates Mittel. Dabei spielten auch Vorurteile eine große Rolle, die sie dadurch abzubauen versuchten, indem sie den Jugendlichen klarmachten, dass Aussagen wie „typisch Jungs“ oder „typisch Mädchen“ ganz stark von der eigenen Erziehung, Prägung und den Wertvorstellungen abhingen.
Chat-Etikette: Ein gesundes Misstrauen im Internet sei immer geboten
Schon von klein auf an sollten die Internet-affinen Kinder lernen, aufgeklärt, selbstbewusst und vorsichtig mit den sozialen Foren, Medien und Computerspielen umzugehen, rät Diestel. Ein gesundes Misstrauen sei immer von Vorteil. Das fange schon damit an, im Internet nicht den richtigen Namen, sondern ein Pseudonym anzugeben, um Fremden nicht die Identität nicht preiszugeben, sagt der erfahrene Pädagoge.
Dazu sollte eine regelrechte „Chat-Etikette“ entwickelt werden, die auf Beleidigungen und das Verschicken von Spam-Mails verzichtet. Wer unerlaubt Fotos oder gar Nacktbilder von seinen Mitschülern als „Sticker“ ins Netz stelle, mache sich zudem strafbar.
Angstmachende Kettenbriefe im Netz ähnlich wie Enkeltricks bei Senioren
Zudem bemühten sie sich, die Kinder schon früh gegen vorgegaukelter Angstmacherei fit zu machen. Denn ähnlich wie bei den sogenannten Enkeltricks, bei denen ältere Menschen in Angst und Schreck versetzt werden, dass ihren engsten Angehörigen etwas passiert sei, wofür sie Geld zahlen müssten, grassierten unter Kindern und Jugendlichen auch virtuelle Kettenbriefe.
Da solle dann die kleine Schwester dem verletzten Bruder helfen, sonst stirbt der Kater, nennt Friederike Kröger ein gängiges Beispiel. „Die meisten wollen dann sofort helfen“, sagt sie, statt sich vorher zu informieren, ob das überhaupt stimmt. „Wir versuchen den Schülerinnen und Schülern beizubringen, dass das Internet eine völlig andere Welt ist, die nicht immer etwas mit der Lebensrealität zu tun hat.“