Kreis Pinneberg. Der Pinneberger Kreisjugendring mit Sitz in Barmstedt besteht seit 75 Jahren. Zehntausende junge Menschen werden jährlich erreicht.
Seit genau 75 Jahren ist er der Eckpfeiler der Jugendbildung im Kreis Pinneberg. Der Kreisjugendring (KJR) war 1947 der erste seiner Art in Schleswig-Holstein und ist bis heute mit 60 Vereinen, denen etwa 60.000 Kinder und Jugendliche angehören, der größte im Land. Mit seinen Angeboten zur außerschulischen Bildung, nachhaltigen Entwicklung für den Klimaschutz, demokratischen Erziehung sowie Spiel, Spaß und Abenteuer erreicht der KJR jedes Jahr einige Zehntausend junge Menschen.
An diesem Sonntag, 8. Januar, lädt der KJR alle Jugendverbände zu seiner „Denkfabrik“ in die Jugendbildungsstätte nach Barmstedt zum Mitgestalten des Programms für die Zukunft und die Kreispolitik zum Neujahrsempfang ein.
KJR will junge Menschen für soziales Miteinander begeistern
Trotz seines betagten Alters und gerade wegen seiner 75-jährigen Erfahrung in der Jugendbildung sei der KJR heute genauso wichtig wie am Anfang, wenn nicht wichtiger denn je, sagt Geschäftsführer Ingo Waschkau. Den das Ziel ist, junge Leute für gesellschaftliche Vielfalt, soziales Miteinander, politische Teilnahme, Kinderschutz, Solidarität, Integration und Inklusion zu begeistern. „Wir müssen den jungen Menschen zutrauen, dass sie selbst Verantwortung übernehmen. Demokratie und Partizipation wird nicht im Frontalunterricht vermittelt, sondern auf Augenhöhe und mit Respekt“, so Waschkau. „Wir brauchen junge Menschen, die Mut haben, sich für ihre Ideen und Mitmenschen einzubringen.“ Das Werben um eine Beteiligung an der Kommunalwahl am 14. Mai gehöre „unbedingt“ dazu.
Der KJR mit seinen zwölf festen Mitarbeitenden ist vielleicht die wichtigste Stütze im Kreis für junge Menschen, wo sie sich kreativ ausleben, austoben, mit anderen Jugendlichen austauschen und voneinander lernen können. Das Sommerferienprogramm, der Ferienpass mit seinen gut 50 Aktionen und Aktivitäten nutzen jedes Jahr 1300 bis 1700 Kinder und Jugendliche. In 50 Jahren seien das gut 75.000 Teilnehmende gewesen, schätzt Waschkau. Er ist seit 1989 beim KJR, seit 2005 hat er mit Birgit Hammermann die Geschäftsführung inne.
Etwa 250 Jugendleiter und Erzieher lassen sich hier jedes Jahr fortbilden. Der KJR engagiert sich für den Jugendschutz und nachhaltige Erlebnispädagogik, vergibt Preise für „Jugendideen mit Pfiff“, bildet Erzieherinnen in Kindergärten für den Klimaschutz aus und animiert mit seinem Wahl-o-mat und Erstwähler-Seminaren Jungwähler, sich an den demokratischen Entscheidungen zu beteiligen. Sie erfahren: „Ich kann mitgestalten, ich kann etwas bewirken.“
Englische Besatzungsmacht forderte, einen Jugendpfleger einzustellen
Die Aufgabe des KJR sei „heute wie vor 50 Jahren, jugendlichen Mitbürgern eine Perspektive für die Zukunft zu geben, das Gespräch mit ihnen zu führen, ihre Ideen, Forderungen und Anregungen in die Diskussion aufzunehmen“, sagte der damalige Landtagspräsident Heinz-Werner Arens vor 25 Jahren zum 50-jährigen Bestehen der Jugendbildungsarbeit.
Diese Einschätzung gelte noch heute, betont Waschkau. „Wir sind parteipolitisch nicht festgelegt, verstehen uns aber als jugendpolitisch, indem wir Jugendlichen dazu verhelfen wollen, ihre Interessen wahrzunehmen. Dafür werden wir auch weiterhin laut sein.“ Und der Vorsitzender Mats Hansen betont: „Das muss aktiv gelebt werden. Demokratie braucht Demokraten.“
Angefangen hatte es nicht ganz freiwillig. Die englische Besatzungsmacht forderte den Kreis Pinneberg 1946 auf, einen hauptamtlichen Jugendpfleger einzustellen. Victor Andersen, ein durch Turnerschaft und Reichsbanner erfahrener Widerstandskämpfer im Dritten Reich und überzeugter Sozialdemokrat, übernahm diese Aufgabe und behielt sie bis 1972. Die Anfänge waren schwierig, erinnerte sich der fast 90-Jährige kurz vor seinem Tod: „Es existierten keine Räume, es gab keinen Strom, keinen Feuerung, keine Geräte, keine Transportmöglichkeiten – es war ein Trauerspiel.“ Doch auch dabei half die Besatzungsmacht. „Die Engländer haben für uns alles besorgt“, so Andersen weiter.
KJR erreicht rund 10.000 junge Menschen jedes Jahr
Wichtigste Aufgabe in den Jahrzehnten danach sei gewesen, dem KJR eine Bleibe, ein eigenes Zentrum für seine wichtige Aufgabe zu besorgen, beschrieb später der zweite Kreisjugendpfleger Alfred Fichte, der wie Andersen 25 Jahre im Amt bleiben sollte. Und dafür bot sich das Krankenhaus in Barmstedt an, das der Kreis unter Beibehaltung der Klinikstandorte in Pinneberg, Elmshorn, Wedel und Uetersen 1983 stilllegen wollte. Für insgesamt 1,5 Millionen Mark wurde es dann als Jugendbildungs- und Begegnungsstätte umgebaut und am 23. September 1989 offiziell eröffnet. Im Jahr 2012 wurde das Gebäude von 1914, das zum 50-jährigen Bestehen des KJR nach Victor Andersen benannt wurde, für 2,5 Millionen Euro komplett entkernt, saniert und renoviert.
Rund 10.000 junge Menschen kommen jedes Jahr zu Seminaren und Workshops zusammen und nutzen die 74 Übernachtungsplätze, berichtet Birgit Hammermann. „Wir sind aber kein Bettenhaus, sondern ein offenes und barrierefreies Bildungshaus.“ Jeder sei willkommen. Die Tagungsgäste würden nach Kräften unterstützt und bekämen jeden Freiraum, sich zu entfalten. „Sie sollen spüren, hier können sie Kind und Jugendliche sein.“
Die „Corona-Delle“, die die Teilnehmerzahlen um bis zu 90 und zuletzt etwa um 30 Prozent einbrechen ließ, sollte nun endlich überwunden sein, hofft der KJR-Vorsitzende Mats Hansen. Die Kreispolitik habe den Verband in dieser ungewissen Lockdown-Zeit unbürokratisch mit Hilfsgeldern von zusätzlich 100.000 unterstützt. „Das war ein voller Erfolg und hat super gefruchtet“, sagt KJR-Kassenwart Torsten Skau.
Mehr als 100 Vereine nutzten die Angebote zum Neustart. Das feste Budget von heute 430.000 Euro im Jahr, das der Kreistag seit gut 20 Jahren dem KJR mit steigender Unterstützung gewährt, mache ihn unabhängig und handlungsfähig. Auch wenn Jugendarbeit eigentlich unbezahlbar sei, sind die Macher des KJR fest überzeugt.
Der öffentliche Neujahrsempfangdes Kreisjugendrings Pinneberg, beginnt am Sonntag, 8. Januar, um 13 Uhr in der Jugendbildungsstätte Victor-Andersen-Haus, Düsterlohe 5, in Barmstedt. Zuvor treffen und beraten sich die Jugendverbände zur internen Denkfabrik über Themen wie Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, Inklusion behinderter und nichtbehinderter junger Menschen und wie sie in der Gesellschaft ihre Interessen wahrnehmen sollten.