Pinneberg. Frauenberatung und Frauenhaus Pinneberg erhalten Spende, doch die Wartezeit für eine Traumatherapie ist aktuell sehr lang.

Im Kreis Pinneberg wurden 2021 insgesamt 554 Fälle häuslicher Gewalt von der Polizei erfasst, ein Anstieg von 1,1 Prozent gegenüber 2020. Der Anteil der Frauen als Opfer häuslicher Gewalt liegt dabei bei 82 Prozent. „Viele Frauen sind aufgrund jahrelanger Gewalt traumatisiert. Dabei sind Therapieplätze rar“, erklärt Celia Letzgus, Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Halstenbek.

Deshalb würden die Gleichstellungsbeauftragten im Kreis einmal im Jahr um Spenden für Traumatherapieangebote sowie unterstützende und stabilisierende Angebote für belastete Frauen bitten. „Wir freuen uns sehr, dass die Sparkasse Südholstein das Frauenhaus und die Frauenberatung in Pinneberg mit insgesamt 1500 Euro unterstützt.“ Das Geld gehe zu gleichen Teilen an beide Institutionen.

Dunkelziffer liegt höher

125 Frauen oder ihnen nahestehende Angehörige haben 2021 aufgrund von häuslicher Gewalt eine Beratung in der Pinneberger Frauenberatungsstelle in Anspruch genommen. „Hier sind nur die Frauen erfasst, die direkt das Thema häusliche Gewalt als Anliegen für die Beratung benannt haben“, sagt Stefanie Pfingst von der Frauenberatung Pinneberg. „Vielfach wurde das Thema erst im späteren Verlauf einer Beratung, zum Beispiel bei Trennungsabsicht, mit angeführt.“ Zusätzlich zu den 125 Erstberatungen erfolgten 124 Folgeberatungen zu dem Thema. Damit hat sich die Anzahl der Beratungen zum Thema Gewalt in der Partnerschaft gegenüber dem Vorjahr erheblich gesteigert (2020: 90 Erstberatungen wegen häuslicher Gewalt). Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Aber auch die Zahl der selbstgemeldeten Fälle – also Fälle, die nicht über die Polizei kommen – steigt.

„Wichtig ist, dass Opfer von Gewalt Hilfe und Unterstützung bekommen und die Angebote den Bedarfen angepasst werden“, so Letzgus. 2021 mussten im Kreis Pinneberg etwa 145 Frauen und Kinder, die sich im Frauenhaus um Hilfe und räumliche Unterbringung bemüht haben, abgewiesen werden, weil alle Plätze belegt waren. Deshalb will die Gemeinde Halstenbek eine Gewaltschutzwohnung einrichten. Die Frauenhäuser sollen entlastet und betroffene Frauen und ihre Kinder schnellstmöglich untergebracht werden.

40.000 Frauen flüchten bundesweit ins Frauenhaus

Gewalt gegen Frauen ist ein zumeist unbestraftes Verbrechen mit vielen Gesichtern: Femizide, Zwangsprostitution, Frauenhandel, Zwangsehen, Genitalverstümmelung, sexuelle Belästigung und Nötigung, Vergewaltigung, körperliche und psychische Bedrohung, direkte Gewaltanwendung, Stalking sowie geschlechtsspezifische Benachteiligung in Familie, Staat und Gesellschaft. Allein in Deutschland fliehen jährlich 40.000 Frauen mit fast ebenso vielen Kindern vor ihren gewalttätigen Männern ins Frauenhaus.

Häusliche und familiäre Gewalt sind die am weitesten verbreiteten Formen der Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder und umfasst alle gesellschaftlichen Schichten. „Prekäre Lebensverhältnisse wie finanzielle Sorgen erhöhen das Risiko“, sagt Stefanie Pfingst von der Frauenberatung Pinneberg. In Deutschland ist davon fast jede dritte Frau betroffen. „Vielfach sehen die Opfer ihre Lage als aussichtslos an. Es fehlt der Mut, das Wissen und die Möglichkeit, sich zu befreien.“ Lange werde versucht, die Familie zu erhalten. Finanzielle Abhängigkeit oder kein eigenständiges Aufenthaltsrecht in Deutschland würden den Prozess erschweren. Erschwerend komme hinzu, dass es kaum bezahlbare Wohnungen gibt. „Während Frauen vor einigen Jahren zwei bis drei Monate im Frauenhaus blieben, sind es heute bis zu eineinhalb Jahre“, sagt Darina Ilic, Mitarbeiterin im Pinneberger Frauenhaus.

Wartezeit auf Therapieplatz

„Bei vielen Frauen, die zu uns kommen, besteht aufgrund der erlebten Gewalt ein hoher und oft dringlicher Therapiebedarf. Leider betragen die Wartezeiten auf einen Therapieplatz bei niedergelassenen Psychotherapeutinnen häufig bis zu einem Jahr“, sagt Stefanie Pfingst. Die Wartezeit sei für die Frauen äußerst belastend. Hinzu komme, dass nur wenige Therapeuten mit Klienten arbeiten, die Gewalt erfahren haben. „Wir werden die Geldspende der Sparkasse Südholstein für unseren Therapiefonds zu therapeutischer Krisenintervention verwenden.“ Dieses Überbrückungsangebot kann von den Beraterinnen unkompliziert für fünf Stunden Therapie in die Wege geleitet werden. „Wir konnten eine Traumatherapeutin gewinnen, die die Sitzungen vor Ort anbietet. Dafür bekommt sie einen Stundensatz von 60 Euro.“

Die andere Hälfte der Spende geht an das Frauenhaus in Pinneberg mit 15 Plätzen. Frauenhäuser im Kreis gibt es auch in Wedel und Elmshorn. „Hier finden nicht nur Frauen Schutz, sondern auch ihre Kinder“, so Darina Ilic. In den Herbstferien konnten sie traumatherapeutische Reitstunden nehmen, finanziert aus den Spenden. „Tiere schaffen Brücken, die der Mensch manchmal nicht schlagen kann.“ Die Reittherapie soll weiter ausgebaut werden. „Die Sparkasse Südholstein will sich da weiterhin einbringen“, sagt Natalie Witt, Filialleiterin in Tornesch.

Kritik an Umgang mit den Opfern

Um Frauen und Kinder vor den gewalttätigen Männern zu schützen, wünschen sich die Expertinnen von den Gerichten einen sensibleren Umgang mit den Opfern. „Täter müssen mehr in die Verantwortung genommen werden“, so Stefanie Pfingst. Doch Strafverfahren blieben häufig ohne Konsequenzen. Zudem stehe das Umgangsrecht vor Gewaltschutz. Wenn die gewalttätigen Väter das Umgangs- oder Sorgerecht einklagen, beginnt für Frauen und Kinder der Terror von vorn.

„Auch bürokratische Hürden erschweren unsere Arbeit“, sagt sie. Am sichersten sei es, die Frauen in einem anderen Bundesland unterzubringen. „Ist ihr Aufenthaltsstatus aber noch nicht geklärt, wird das sehr schwierig.“ Zudem fordern die Expertinnen eine Umsetzung der Istanbul-Konvention des Europarats. Das internationale Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist seit Februar 2018 geltendes Recht in Deutschland, findet aber noch zu wenig Anwendung.

2020 wurden bundesweit 148.031 Opfer von Partnerschaftsgewalt polizeilich erfasst, 4,9 Prozent mehr als im Jahr zuvor. 81 Prozent der Betroffenen waren Frauen. Es wird davon ausgegangen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt.

Aktionstag gegen Gewalt an Frauen

Anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November findet kreisweit die Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ statt. In diesem Jahr kamen 5768 Euro zusammen. Es kann noch weiter gespendet werden auf das Konto der Gemeinde Halstenbek: Sparkasse Südholstein IBAN: DE96 2305 1030 0002 1015 17 BIC: NOLADE21SHO Zahlungszweck: AO 8800 „Broetchentuete“.

Mit dem bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter 08000/11 60 16 wird betroffenen Frauen seit 2013 bundesweit und rund um die Uhr kostenlos eine anonyme und niedrigschwellige Erstberatung in 18 Sprachen ermöglicht.