Kreis Pinneberg. Die niederdeutsche Sprache galt lange als zu simpel. Doch mittlerweile schnackt auch die jüngere Generation gern op Platt.
Auch den nicht Plattschnackern unter uns wird es nicht vollkommen fremd sein. Das Lied „Nordisch by Nature“ von Fettes Brot, mit dem Dokter Renz, König Boris und Björn Beton 1995 bekannt wurden. Es ist ein Hommage an ihre norddeutsche Heimat, mit der sich die drei verbunden fühlen. Aufgewachsen sind die Jungs von Fettes Brot im Kreis Pinneberg – in Halstenbek, Schenefeld und der Stadt Pinneberg.
Kreis Pinneberg: Warum im Norden wieder mehr platt gesprochen wird
So wie Dokter Renz, König Boris und Björn Beton sprechen noch ca. zwei bis fünf Millionen Menschen in ganz Deutschland plattdeutsch. In Schleswig-Holstein sind es laut dem Leiter der Elmshorner Speeldeel, Claus-Peter Jessen, 800.000 bis 1,2 Millionen Menschen, die die niederdeutsche Sprache beherrschen. In Husum wird jedoch anders geschnackt als in Ostfriesland, und in Hamburg ist es wieder anders. Und hier im Kreis Pinneberg – wird hier überhaupt noch platt gesprochen?
Wer heute noch Platt schnackt, gehört meist zur älteren Generation und ist mit Platt als Umgangssprache aufgewachsen. Doch in den 50er- und 60er-Jahren war es vor allem in akademischen Kreisen und Bildungseinrichtungen zunehmend verpönt, niederdeutsch zu sprechen; es galt als zu simpel. Doch seit einiger Zeit gibt es Bestrebungen, sich auf das kulturelle Erbe zu besinnen und auch die jüngere Generation an die Sprache heranzuführen.
Schulen im Norden bieten Plattdeutsch-Unterricht an
In 46 Modellschulen in ganz Schleswig-Holstein – 36 Grundschulen und zehn weiterführende Schulen – wird Niederdeutsch unterrichtet. „Darüber hinaus gibt es aber auch viele Angebote an Nicht-Modellschulen“, sagt Karen Nehlsen, Koordinatorin für Regional- und Minderheitensprachen in Schleswig-Holstein am Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH). Das IQSH, so betont Nehlsen, bietet „vielseitige Fortbildungsangebote für Lehrkräfte an, die Niederdeutsch unterrichten möchten“.
Im Mai 2019 trat in Schleswig-Holstein der Niederdeutscherlass in Kraft, mit dem Ziel, die Regionalsprache Niederdeutsch an den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen zu fördern.
Im Kreis Pinneberg sind allerdings zumindest die offiziellen Bildungsangebote an Schulen eher flau. Zu den 46 Modellschulen gehört nur eine aus dem Kreis – die Grundschule Seester.
Kreis Pinneberg: Plattdeutsche Sprache stirbt nicht aus
Allgemein gibt es kaum noch Plattdeutschlehrer, die die Schülerinnen und Schüler unterrichten können – das bestätigt auch Christa Feldmann, ehemalige Plattdeutschlehrerin in Barmstedt und Elmshorn: „Es wird immer schwieriger, Nachwuchs zu finden und Plattdeutsch als richtiges Fach anzubieten.“
Doch Platt scheint keineswegs auszusterben, denn gerade die Menschen, die sich wie Christa Feldmann für den Erhalt einsetzen, erzählen Geschichten, die sehr viel mehr vermitteln als nur bloße Worte, Sätze und Grammatik. Platt ist für sie Identität, Verbundenheit, Heimat und Kultur.
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Theatergruppen wie Elmshorner Speeldeel bewahren die Sprache
So wie bei Claus-Peter Jessen. Er wuchs auf einem Bauernhof in Barmstedt mit Platt auf. Damals sei Plattdeutsch Alltagssprache gewesen, erinnert er sich: „Die alte Sprache ist Teil meiner DNA, großer Teil meiner persönlichen Identität und später Teil des Ausdrucks meiner individuellen Persönlichkeit geworden“, sagt der 66-Jährige. Schon während seiner Arbeit als Krankenpfleger bewegte er sich in der Plattdeutsch-Szene. Zwischen 2000 und 2010 verfasste er als freier Mitarbeiter Essays auf Plattdeutsch für die „Elmshorner Nachrichten“.
Als Kulturbegeisterter schloss er sich vor 20 Jahren der Elmshorner Speeldeel an und übernahm vor zwei Jahren deren Leitung. Darüber hinaus ist er seit mehr als 20 Jahren aktives Mitglied im Museumsverein der Grafschaft Rantzau in Barmstedt, wo er die plattdeutsche Geschichte leidenschaftlich pflegt. Jessen ist auch daran gelegen, die Sprache und die Kultur an jüngere Interessierte weiterzugeben. Derzeit unterrichtet er an der Volkshochschule Elmshorn und wird demnächst auch an der VHS in Hamburg-Mitte einen Kursus anbieten.
Im Töverhuus gibt es Lesungen, Vorträge und Konzerte auf Platt
Helmut Hamke (71) wuchs in Klein Nordende ebenfalls auf einem landwirtschaftlichen Betrieb auf. Ihm wurde als Kind verboten, platt zu schnacken: „Mir wurde immer gesagt, aus dir soll ja mal was werden. Bis ich dann gemerkt habe, dass gerade mit Plattdütsch etwas aus mir werden kann.“ 1984 gründete der gelernte Automechaniker und studierte Sozialpädagoge die Band Speelwark. Sie tourten durch ganz Deutschland, spielten im Fernsehen und Radio: „Plötzlich habe ich gemerkt, dass sich unterbewusst ganz viel von der Sprache festgesetzt hatte und ich das einfach so abrufen konnte. Das war ein großer Schatz für mich!“
1994, als er mit seiner Frau das Bauernhaus seiner Eltern in Klein Nordende übernahm, entschieden sie sich, ein Kulturzentrum mit dem Schwerpunkt auf der niederdeutschen Sprache zu schaffen – so entstand das Töverhuus. Dieses „Zauberhaus“ ist zweifellos so etwas wie eine plattdeutsche Institution in der Region. Hier können sich bei Lesungen, Vorträgen und musikalischer Unterhaltung Platt-Fans, egal ob selbst Plattschnacker oder nicht, zusammenfinden und die Atmosphäre des Hauses genießen.
Plattdeutsch wird überwiegend, aber nicht nur von Älteren gesprochen
Auch Volkert Braren (76) erzählt eine ähnliche Geschichte vom Wiederentdecken des Plattdeutschen; in seinem Fall hat das viel mit seinem Vater zu tun. Der ist früher zur See gefahren, weswegen die gesamte Familie von Husum nach Altona umgezogen ist. Auch in der Familie Braren sollten die Kinder eigentlich mit Hochdeutsch aufwachsen, doch gerade am Hamburger Hafen wurde bis in die 60er-Jahre fast ausschließlich platt geschnackt, wie Volkert Braren sich erinnert. Als der Elektroingenieur in Rente ging, entdeckte er alte Texte seines Vaters auf Platt wieder, die er in einem kleinen eigenen Verlag veröffentlichte.
Seit sechs Jahren unterrichtet der 76-Jährige auch an der VHS in Pinneberg Niederdeutsch. Die Teilnehmer sind meist Menschen, die ebenfalls bereits im Kindesalter platt gesprochen haben.
Das klingt demografisch betrachtet alles noch nicht wirklich nach Zukunft, nach einem Überleben der Sprache. Wo sind die jungen Plattschnacker, die Generation U 50?
Plattdeutsch wird von vielen Menschen mit der Heimat verbunden
An einem sonnigen Herbsttag sitzt der 18 Jahre alte Finn Beutler auf einem Koloss von Traktor und fährt Mais ein, und dabei schnackt er platt, ganz locker, ganz selbstverständlich. Erzählt von seiner zweiten Leidenschaft neben der Landwirtschaft: der plattdeutschen Sprache. „Seit ich fünf bin schnackt mein Opa mit mir platt. Wir haben an sich hochdeutsch gesprochen, aber dann hieß es immer, das heißt nicht „ja“, das heißt „jo“, das heißt nicht „Guten Tag“, das heißt „Moin“. In der Grundschule gab es sogar noch Plattunterricht.
Durch einen Vorlesewettbewerb ist Finn mit zwölf Jahren zu den Jungen Platten gekommen, der Jugendgruppe der Elmshorner Speeldeel. Momentan führt Finn mit seinem Freund Noah Lüchau Sketche auf Plattdeutsch auf. Was ihm daran besonders gefällt: „Es macht natürlich Spaß, auf der Bühne ein bisschen was Lustiges zu erzählen und das Publikum zu begeistern. Aber das Plattdeutsche ist das Besondere daran. Es ist einfach wärmer, angenehmer, und viele Wörter haben auch einfach ein wenig mehr Witz.“ Dass Platt für den angehenden Landwirt noch weitaus mehr ist als Kultur und Sprache wird schnell klar: „Platt erinnert mich einfach an zu Hause, an die Küche meines Opa, wo wir auch viel Blödsinn geschnackt haben.“
Plattdeutsch: Einfach mal schnacken – dann fangen auch andere an
Doch reicht das, damit die Sprache auch weiterhin von Generation zu Generation weitergetragen und vor allem gelebt wird? Claus-Peter Jessen macht sich keine Sorgen über die Zukunft des Plattdeutschen: „Die Sprache geht zwar im Gebrauch zurück, aber sie stirbt nicht aus, weil sie Kulturerbe ist. Sie verändert sich, wird gesprochen, gesungen, gespielt.“
Finn erzählt von Freunden aus der Schule, die ihn auffordern, noch mal ein bisschen platt zu schnacken, und er hofft, dass dadurch die Sprache einfach weiter Thema bleibt. „Viele können es ja auch. Meine Chefs sprechen ja auch platt, aber nutzen es nicht. Dann muss man einfach mal platt schnacken, und dann geht das plötzlich auch bei ihnen los.“
Auch Noah glaubt fest an den Erhalt und sagt lachend: „Es wird immer irgendwelche Quatschköppe wie uns geben, die ihr ganzes Leben damit verbringen.“ Und danach etwas ernster: „Es wird wahrscheinlich noch etwas weniger werden als jetzt eh schon, aber ganz aussterben wird die Sprache bestimmt nicht.“