Kreis Pinneberg. Frei nach dem Motto „Pflück’ dich glücklich“ ist vielerorts im Kreis Pinneberg des kostenlose Obst reif. Dabei gelten aber Regeln.

Günstig, lokal, gesund? In der aktuellen Inflationskrise ist es schwer zu glauben, aber es gibt sie noch, die Möglichkeiten, sich bewusst und kostengünstig zu ernähren. Ein Bestandteil sind öffentliche oder privat gepflegte Streuobstwiesen, auf denen sich jeder mit frischem Obst versorgen kann – gerade jetzt, in der Erntezeit des Herbstes.

Auch im Kreis Pinneberg gibt es diese Wiesen, die nach früheren landwirtschaftliche Prinzipien gepflegt werden – von Wedel bis Quickborn, von Elmshorn bis Waldenau (siehe Karte). Der Naturschutzbund (Nabu) etwa fördert bundesweit das Anlegen von Streuobstwiesen. Seit Beginn der Förderpro­jekte im Frühjahr 2016 konnten allein in Schleswig-Holstein insgesamt 3.012 Hochstammobstbäume und 119 solcher Wiesen neu angelegt werden.

Streuobstwiesen stehen in Elmshorn, Wedel, Haseldorf, Thesodorf und Quickborn

Die Stadt Elmshorn etwa lädt am kommenden Montag, 3. Oktober, zur kostenlosen Ernte auf der Streuobstwiese an der Wilhelmstraße ein. Dort kann sich jeder „gratis und ohne Mengenbeschränkung“ Äpfel und Birnen unterschiedlicher Sorten pflücken. Weitere öffentliche Streuobstwiesen befinden sich in Wedel, am Marinedamm 1, in Haseldorf am Obstgarten Alter Sorten an der Hafenstraße oder an der Johann-Comenius-Schule in Thesdorf. In Quickborn werden fünf Streuobstwiesen von der Stadt gepflegt, etwa entlang des Feldwegs zwischen der Kampmoorstraße und der Hermann-Löns-Straße, an der Theodor-Storm-Straße, an der Talstraße und an der Renzeler Straße.

Das sind alle Streuobstwiesen im Kreis Pinneberg.
Das sind alle Streuobstwiesen im Kreis Pinneberg. © HA Grafik, HA Infografik, F. Hasse | F. HasseFrank Hasse

Hinzu kommen sogenannte Obstbaumreihen, sie werden häufig entlang der Wege gepflegt und können Spaziergänge versüßen. Im Kreis ist das etwa am Neuendeicher und am Loheister Weg in Tornesch möglich oder am Siedlereck in Waldenau. Für ein wenig Geld oder Spenden bekommen Ausflügler auch auf privaten Wiesen frisches Obst, wie bei Ingas Obstpark in Tornesch. Meist müssen bei privaten Wiesen vorab Termine ausgemacht werden.

Um die Tier- und Pflanzenwelt, die diese Orte beherbergen, zu erhalten und ein gesundes Maß zu halten, gelten relativ simple Verhaltensregeln. Es sollten keine riesigen Mengen mit Schubkarren mitgenommen werden. Üblich sind maximal zehn Kilogramm. Und: Die Orte sollten so verlassen werden wie sie vorgefunden wurden.

Der Naturschutzbund fördert Streuobstwiesen

Laut Nabu-Projektleiter Frank Steiner seien in Schleswig-Holstein Streuobstwiesen später als in anderen Bundesländern angelegt worden. Gründe dafür seien die niedrige Flächenverfügbarkeit und die hohen Grundstückspreise. Im Kreis Pinneberg seien allerdings etliche Projekte in Vorbereitung. Der Naturschutzbund fördere bereits Flächen in Elmshorn, Rellingen oder Quickborn. Private Anbieter bekämen Schulungen, Betreuung und Mittel vom Nabu und könnten die Flächen bewirtschaften.

„Das Problem an öffentliche Streuobstwiesen ist, dass sie nach einiger Zeit meist nicht mehr gepflegt werden. Die Gemeinden haben nicht genug Budget und Personal“, sagt Steiner. Bei Privatwiesen laufe es besser. „Wer den Schnitt nicht beherrscht, kann die Streuobstwiesen nicht gut pflegen, was ihre Vitalität minimiert“, sagt er.

Streuobstwiesen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ohne Spritz-, Schnitt- und Düngeplänen auskommen. Pfleger legen Wert auf Hochstammbäume sowie auf die Vermeidung von Monokulturen. Auf Pestizide wird verzichtet. Die landwirtschaftliche Doppelnutzung der Flächen ermöglicht die Fruchternte als Nutzung der Bäume und deren extensive Unternutzung auf Dauergrünland als Mähwiese zur Heugewinnung oder direkt als Viehweide.

Deutschland hat die größten Streuobstbestände Europas

Schon bei mindestens zehn Bäumen je 0,15 Hektar oder ab fünf Obstbäumen wird von einer Streuobstwiese gesprochen. Laut Nabu sollten auf einer Streuobstwiese aber maximal 150 hochstämmige Obstbäume pro Hektar stehen.

Bis in die 40er-Jahre bildeten Streuobstwiesen alltägliche Versorgungsquellen in Deutschland. In den 50er-Jahren wurden viele dieser Wiesen gerodet. Aus Obstwiesen wurden Wohnflächen. Die EU-Agrarpolitik mit billigen Importen war ein weiterer Grund für den Rückgang. Zwischen 1950 und 2010 wurde das bundesweite Streuobstgelände um etwa 80 Prozent verringert. Andererseits wurde schon ab 1970 der Wert der Obstwiesen wiedererkannt, in den 90er-Jahren begannen Liebhaberbewegungen, Wiesen wieder anzulegen. Mittlerweile besitzt Deutschland mit rund 400.000 Hektar wieder die größten Streuobstbestände Europas.

Im eng besiedelten Kreis Pinneberg nimmt die Bedeutung der Streuobstwiesen ebenfalls wieder zu: „Wir erleben eine Renaissance der Streuobstwiesen, weil die erneut als Ernährungsquelle gesehen werden“, sagt Steiner. Seit der Corona-Krise und der jetzigen Inflation steige der Trend zur Selbstversorgung.

Doch „im Vordergrund stehen Naturschutz und Klimawandel“, betont er. Alte Obstbäume leisten einen immensen Beitrag zur CO2-Wandlung. Zum Klimawandel kommt der Verlust der Artenvielfalt, insbesondere das Insektensterben. Durch den Erhalt der Streuobstwiesen werden Lebensräume für etwa 100 Tierarten in Schleswig-Holstein geschaffen. Die Flächen gelten als Hotspot der Biodiversität.