Tornesch/Uetersen/Heidgraben. Rural-Mural-Projekt: In Tornesch, Uetersen und Heidgraben werkelten Künstler am Wochenende. Diese Wände wurden verziert.

Rural Mural nennt sich das, was am Wochenende in Tornesch, Uetersen und Heidgraben entstanden und bis auf Weiteres auch zu bewundern ist. Im ländlichen – das heißt ruralen – Raum haben 15 Künstler und Künstlerkollektive 15 Murals – also für Streetart freigegebene Wände – mit Mosaiken oder Farbe gestaltet. Eine Peripherie-Galerie quasi.

Die Idee zur großflächigen Wandmalerei im öffentlichen Raum unter dem Titel Rural Mural hatte Meike Schade, ihres Zeichens Künstlerin und Kulturvermittlerin. In den vergangenen Monaten hat sie die Kreativaktion beinahe im Alleingang vorbereitet. Unterstützend war Stefanie Fricke, Künstlerische Leitung in der Drostei, beteiligt. Die Kosten für das Rural-Mural-Projekt trägt Schleswig-Holstein, berichtet Schade: „Es gibt einen Fördertopf für Kunst im ländlichen Raum vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes. Gelder daraus hat die Drostei in Pinneberg für uns beantragt.“

Private Wand-Eigentümer und lokale Betriebe stellten Flächen zur Verfügung

So profitierten die Künstler davon, dass ihnen das Land die Materialien gestellt sowie eine Aufwandsentschädigung gezahlt hat. Auch die Besitzer der gestalteten Flächen mussten nicht für deren Zierde aufkommen. „Ich habe Wert darauf gelegt, dass wir die Kunst auch Privatpersonen ermöglichen, die sich das sonst nicht leisten könnten oder gar nicht auf die Idee gekommen wären“, so Initiatorin Schade.

Neben privaten Wand-Eigentümern haben auch lokale Betriebe ihre Flächen zur Verfügung gestellt. Beispielsweise das Heizhaus vom HanseWerk Natur, eine Garagenwand des Textilhauses Rehrbehn und ein Stromkasten der Stadtwerke haben die Künstler am Wochenende aufgehübscht.

Auch Künstlerinnen und Künstler aus Brasilien und und Italien waren dabei

Gefunden haben sich die sprayenden, malenden und mosaiklegenden Künstler ebenso wie die Personen, die ihre Flächen zur Verfügung stellten, dank einer Ausschreibung. „Beim Open-Call für die Künstler sind mehr als 80 Bewerbungen eingegangen“, sagt Schade. „Das ist supergut gelaufen! Da tat es mir wirklich leid um jede Absage.“ Letztlich haben es nicht nur Kreative aus Hamburg oder Kiel geschafft, Teil des Projekts zu werden, sondern auch aus Italien oder Brasilien.

Was im Rural-Mural-Line-up auffällt: Das Gros der Künstler sind vielmehr Künstlerinnen. „Das ist tatsächlich Zufall“, kommentiert Schade. „Wir haben uns primär für die Motive entschieden.“ Können statt Quote – wenn das nicht eine Lanze für die Frauen der Branche bricht.

Zwei der beteiligten Künstlerinnen sind Meike Woermann und Claudia Wilgus aus Hamburg und Kiel. Die beiden haben sich auf Mosaike spezialisiert und auf den Internationalen Mosaiktagen kennengelernt. Ihre Mural Art am Parkplatz des AWO Wohn- und Servicezentrums in Tornesch ist die erste Zusammenarbeit der Frauen.

Die Künstlerinnen gestalten Wände im öffentlichen Raum zu den Themen Natur, Klima und Nachhaltigkeit

„Das sind die Klimastreifen, die der Wissenschaftler Ed Hawkins erfunden hat“, erklärt Woermann das Werk. „Das ist eine einfache visuelle Darstellung der globalen Erwärmung, die die Temperaturveränderungen je Jahr zum langfristigen Mittel zeigt.“ Dabei symbolisieren die blauen Fliesen kühlere Jahre, die roten heißere. Jahre ohne Temperaturabweichung zum Mittel sind durch Spiegelstreifen symbolisiert: „Das reflektiert die Umgebung, aber auch den Betrachter selbst“, so Woermann. Schließlich sind wir alle an der Klimakrise beteiligt. Sich selbst in diesem Kontext zu betrachten, verhilft vielleicht zum Schuldeingeständnis – oder zur Motivation, einen eigenen Beitrag zu leisten. Horizontal von außen nach innen betrachtet, gibt das 2,9 mal 4 Meter messende Mosaik die Klimastreifen für die Erde, Europa, Deutschland, Schleswig-Holstein und ganz in der Mitte sogar den Kreis Pinneberg wieder.

Einzig ungünstig für Woermann und Wilgus: Das Wetter des vergangenen Wochenendes. Regenschauer erschwerten ihnen die Arbeit an der Wand, weil der Kleber für die Fliesenteile nicht so recht trocknen wollte. Ähnlich erging es Anne Regier, die ebenfalls in Tornesch an einem Privathaus am Bockhorn ein drei mal drei Meter großes Wandgemälde realisiert hat. „Nieselregen geht noch, aber wenn es stärker regnet, löst sich die Farbe an und läuft an der Wand herunter“, berichtet Rieger, die ihr bisheriges Leben zwischen Hamburg und Elmshorn verbracht hat.

Das regnerische Wetter machten den Künstlern zu schaffen

Mit Pinsel sowie stellenweise auch Spraydosen werkelte die Illustratorin an einem Motiv mit einer jungen Frau, die beschützend ein Stück Erde samt Pflanzen und Tieren in den Händen hält. „Auf dem Bild steht sie im steigenden Wasser, denn das Wasser steht ja vielen schon bis zum Hals“, so Regier.

Dass sich auch ihre Arbeit thematisch dem Spektrum Natur, Klimakrise, Nachhaltigkeit zuordnen lässt, ist kein Zufall, sondern war Teil der Ausschreibung. „Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind unsere Aufgabe, jetzt und in Zukunft. Die Natur ist in ihrer Vielfalt und Schönheit grenzenlos. Darauf möchte ich aufmerksam machen“, erklärt Organisatorin Meike Schade. „Bei der Konzeption habe ich deshalb auch darauf geachtet, dass keiner der Künstler einfliegt, sondern alle mit den Öffis oder dem Privatwagen anreisen.“ Zudem habe sie Wert darauf gelegt, lokale Farben und lokales Material für die Künstler zu beschaffen und mit einer örtlichen Werbeagentur zusammenzuarbeiten. „Auch die Entsorgung der Farben übernehmen wir fachgerecht“, sagt sie.

Eine Fahrradtour führt zu allen 15 Murals, die entstanden sind

Ebenfalls passend zum Nachhaltigkeitskurs der Aktion ist die Fahrradtour zu den 15 Murals, die die Initiatorin entwickelt und deren Streckenführung sie auf der Projektwebseite ruralmuralkunstprojekt.de verlinkt hat. Auf rund 23 Kilometern können Radlerinnen und Radler die Kunst und Region umweltfreundlich erleben. Wer die Tour fahren möchte, kann dazu übrigens auf besseres Wetter warten. Denn die die Grafitti, Malerien und Mosaike schmücken Tornesch, Uetersen und Heidgraben noch mindestens ein ganzes Jahr lang. „So lange werde ich die Kunstwerke an den Wänden jedenfalls noch aktiv betreuen. Ich gehe aber davon aus, dass die Bilder noch länger bleiben.“

Vielleicht bekommen sie im kommenden Jahr sogar noch Gesellschaft. Immerhin plant Schade, das Rural-Mural-Projekt 2023 erneut an den Start gehen zu lassen.