Langeln. Gabriele Drehmel hat MS und ist schwerbehindert. Sie sollte ihr Haus verlieren und in eine Notunterkunft ziehen.

Heute hätte sie rausgemusst. Aus dem Haus, das sie vor 20 Jahren mit ihrem damaligen Mann in Langeln gebaut und wo sie ihre drei Kinder groß gezogen hat. Doch in wirklich allerletzter Minute konnte Gabriele Drehmel (58) Montag den für Dienstagmorgen angesetzten Zwangsräumungstermin abwenden. „Ich bin total erleichtert und noch völlig neben der Spur“, sagt die Frau, die an Multipler Sklerose erkrankt ist, täglich Medikamente nehmen muss und seit etwa zehn Jahren auf den Rollstuhl angewiesen ist.

Zwangsräumung abgewendet: Gabriele darf in ihrem Haus bleiben

„Das gibt mir die Möglichkeit zu überleben. Die Anspannung in den letzten Tagen war extrem, sowohl psychisch und physisch.“ Die Aussicht, zwangsweise in die Notunterkunft des Amtes Rantzau an der Kieler Chaussee in Langeln umziehen zu müssen, die noch nicht einmal behindertengerecht ausgebaut sei, hatte sie unter enormen psychischen Druck gesetzt.

„Jetzt habe ich erst einmal ein paar Wochen Luft, um mir eine Wohnung zu suchen“, sagte Gabriele Drehmel am Montagmittag dem Abendblatt-Reporter noch völlig unter Schock stehend. Diesmal vor Erleichterung und Freude. Das sah am Freitag und übers Wochenende dagegen noch ganz anders aus. Ihr Elmshorner Anwalt hatte Beschwerde gegen den Zwangsräumungstermin der Gerichtsvollzieherin Nicole Kruse vom Amtsgericht Elmshorn vom 28. Juni dieses Jahres eingelegt. Doch die war abgelehnt worden.

Gabriele Drehmel war außer sich. Zumindest ihre drei Kinder im Alter von 17 bis 26 Jahren, von denen zwei in Kiel und Berlin studieren, standen ihr übers Wochenende zur Seite, gaben ihr Kraft und sprachen ihr Mut zu. „Es muss doch möglich sein, dass meine Mama eine anständige, behindertengerechte Wohnung bekommt, in der sie auch allein leben kann.“

Drehmel hätte in eine Notunterkunft in Langeln gemusst

Am Tag zuvor hatten sie sich die Notunterkunft in Langeln angeschaut. Als einzige Frau unter 20 Männern, Obdachlosen und Asylsuchenden, hätte sie dort mit ihrem jüngsten Sohn untergebracht werden sollen. Ohne Festnetztelefon und ohne WLAN. Und vor allem ohne feste Haltegriffe an Bett und Toilette, ohne die sie gar nicht aus ihrem Rollstuhl allein herauskommt. „Wie soll das gehen? Ich kann da nicht leben und auch nicht überleben. Ich brauche diese Haltegriffe. Ich kann mir nur die Kugel geben“, sagte sie zu diesem Zeitpunkt völlig deprimiert dem Abendblatt-Reporter.

Noch am vergangenen Montag hatte auch der Kreis Pinneberg ihren Widerspruch abgelehnt, in die Notunterkunft in Langeln umziehen zu müssen. Der Kreis Pinneberg habe den Einweisungsbescheid des Amtes Rantzau überprüft, teilte Kreissprecherin Silke Linne dazu mit. „Oberstes Ziel ist es, eine mögliche drohende unfreiwillige Obdachlosigkeit zu vermeiden und dafür eine vorübergehende Bleibe anzubieten“, teilte sie mit. Die vorgesehene Unterkunft in Langeln sei ebenerdig zu erreichen und mit Küche und Bad ausgestattet, so dass sie mit einem Rollstuhl nutzbar sei. „Damit kommt das Amt Rantzau seiner gesetzlichen Verpflichtung entsprechend der geltenden Rechtslage nach“, teilte Silke Linne mit.

Drehmel konnte die Zwangsräumung im letzten Moment abwenden

Der Betroffenen stehe es frei, dieses Angebot anzunehmen, so die Kreissprecherin weiter. „Sie bleibt auch nach der Einweisung in die Obdachlosenunterkunft weiterhin verpflichtet, sich eigenständig um eine Wohnung zu kümmern. Dafür wurden ihr Ansprechpartner benannt, die sie dabei unterstützen könnten und Hilfsangebote gemacht.“ Die Unterbringung in der Notunterkunft könne nur von vorübergehender Dauer sein und sei deshalb auch nur befristet angelegt.

Für vier Wochen hätten die Mitarbeiter des Amtes Rantzau ihr dazu mitgeteilt, sagte Gabriele Drehmel dazu, den Tränen nahe. „Ich brauche doch nur ein Dach über den Kopf“, hätten die gesagt. „Nein, ich brauche eine Wohnung, in der ich mich mit meinem Rollstuhl und meiner schweren Krankheit auch allein bewegen kann.“

Nun aber hat sie doch noch in letzter Minute die Zwangsräumung durch eine abermalige Beschwerde beim Amtsgericht abwenden können. Vielleicht vier, vielleicht sechs Wochen oder mehr habe sie nun Zeitaufschub erhalten, sagte Gabriele Drehmel am Montag. „Ich werde mir jetzt unter Hochdruck was Neues suchen.“ Das habe sie aber auch schon seit Erhalt des Zwangsräumungsbescheids vor fünf Wochen getan. Hoffentlich klappt es jetzt besser für sie, fügt sie hinzu.

Wie es zu der Entscheidung für die Zwangsräumung kam

Aber warum muss sie überhaupt aus dem geliebten Haus mitten im Wohngebiet von Langeln raus, für das sie bis heute Kreditzinsen und Tilgung zahlte? Das ist eine verzwickte Geschichte, die sich auch Gabriele Drehmel nicht so ganz genau erklären kann. Es hat mit ihrer gescheiterten Ehe zu tun, die 2013 offenbar in Scherben lag. Ihr Mann zog aus und wieder ein, als sie zeitweise bei Freunden in Elmshorn lebte. Ein Mediationsverfahren, das heute meist Scheidungen vorgeschaltet ist, um strittige Fragen außergerichtlich zu klären und bei dem es vor allem um das Sorgerecht für die drei Kinder ging, scheint aus ihrer Sicht zu einem fatalen Missverständnis geführt zu haben. Darin sei zur Sprache gekommen, dass die getrennt lebenden Eheleute ihr Haus veräußern sollten.

„Die haben mich da regelrecht weichgekocht“, erinnert sich Gabriele Drehmel. Denn sie wollte eigentlich nie das Haus verkaufen, sagt die Frau, die diplomierte Biologin, aber wegen ihrer schweren Behinderung seit Jahren Frührentnerin ist. Doch offenbar drängte ihr Mann weiter zum Hausverkauf. Im Mai 2018 sei die Immobilie dann sogar auf einen Verkaufswert von 310.000 Euro festgesetzt worden, berichtet Gabriele Drehmel. Aber auch das habe sie offenbar nicht richtig ernst genommen, weil sie dachte, dass ihr Ex-Mann ohne ihr Einverständnis das Haus nicht verkaufen könnte.

Doch damit hatte sie sich verkalkuliert, wie sich später herausstellte. Nach einem neuerlichen Gerichtstermin mitten in der Corona-Pandemie 2020, an dem sie als Hochrisiko-Patientin nicht selbst teilnehmen konnte, sei dann offenbar ihrem Mann die Erlaubnis erteilt worden, das Haus auch ohne ihre ausdrückliche Zustimmung zu verkaufen, berichtet sie. Die Konsequenz dieser Entscheidung sei ihr erst später, viel zu spät, bewusst geworden.

Zwangsräumung: Ehemann konnte das Haus ohne Zustimmung verkaufen

Und tatsächlich kaufte dann Ende März dieses Jahres ein Ehepaar mit drei kleinen Kindern aus Ellerau das Haus der Drehmels in Langeln. Zu dem 2018 festgelegten Verkaufspreis. Und diese Familie strengte dann über das Amtsgericht die Zwangsräumung an. „Auch ohne weitere richterliche Anordnung bin ich befugt, verschlossene Türen und Behältnisse gewaltsam zu öffnen sowie einen etwaigen Widerstand mit Hilfe der Polizei zu brechen“, heißt es in dem Bescheid der Gerichtsvollzieherin zur „Besitzeinweisung (Räumung)“, die für den heutigen Dienstag angesetzt war.

Der Ex-Mann von Gabriele Drehmel mochte sich auf Nachfrage nicht zu dem Fall äußern. „Das ist eine tragische Geschichte“, sagte er nur. Was genau die angeordnete Zwangsräumung nun aufgeschoben hat, ist nicht ganz klar. Gabriele Drehmels Anwalt will sich mit Hinweis auf das „laufende Verfahren“ ebenfalls nicht äußern. Aber womöglich ist das Gericht, sind die Behörden doch noch zur Einsicht gelangt, dass die Notunterkunft in Langeln keineswegs eine angemessene Alternative für die schwerbehinderte Frau gewesen wäre.

So hieß es in dem ablehnenden Widerspruchsbescheid des Kreises Pinneberg vom 25. Juli: „Zur Gefahrenabwehr reicht es aus, wenn (dem Obdachlosen) eine Unterkunft zur Verfügung gestellt wird, in der er leben kann, ohne dass er in seiner Menschenwürde beeinträchtigt wird.“ Genau diese Beeinträchtigung aber hätte wohl Gabriele Drehmel mit ihrer schweren Behinderung in der Notunterkunft in Langeln gedroht.