Kreis Pinneberg. Probleme bei den Lieferketten und steigende Energiepreise hemmen die Wirtschaft. Doch einen Funken Hoffnung gibt es.
Nachdem der anhaltende Fachkräftemangel die Wirtschaft im Kreis Pinneberg ohnehin schon behindert hat, sind die Unternehmen nun durch rasant steigende Energiepreise und eine verschärfte Materialkrise durch zerstörte Lieferketten in ihrer Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt. Das ist das Ergebnis der neuesten Konjunkturumfrage des Unternehmensverbandes Unterelbe-Westküste, an der sich wieder ein Drittel der 100 Mitgliedsbetriebe beteiligt hat.
„Wir laufen zurzeit mit vollen Auftragsbüchern in die nächste Wirtschaftskrise“, warnt Verbands-Geschäftsführer Ken Blöcker. Es gebe so viele Baustellen auf einmal, die die Unternehmen kaum verarbeiten, geschweige denn meistern könnten. „Das sind existenzielle Herausforderungen für viele unserer Mitgliedsbetriebe.“ Corona-Lockdown, Ukraine-Krieg, gesperrter Suez-Kanal, sechs Wochen keine Container-Schiffe aus China, weil Shanghai komplett dicht gemacht wurde – diese größten Krisenherde zählt Mitgeschäftsführer Sebastian Koch auf.
Was das konkret für ein Unternehmen im Kreis Pinneberg bedeutet, erklärt Michael Hentrich, Geschäftsführer der Firma Salvana in Sparrieshoop, die mit 200 Mitarbeitern Tierfuttermittel herstellt. „Fast alle unsere Rohstoffe wie Aminosäuren, Phosphate und Spurenelemente beziehen wir aus Asien“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Unternehmensverbandes. „Da merken wir es unmittelbar hier in der Rosenstraße in Sparrieshoop, wenn der Hafen von Shanghai plötzlich zu ist.“ Schon jetzt seien die Rohstofflieferungen „massiv“ eingeschränkt, sagt der Firmenchef. Da die Containerschiffe aus Asien aber sechs Wochen brauchten, um bis nach Hamburg zu kommen, stünde das Schlimmste noch bevor. „Ich rechne ab September mit einem ganz schwierigen Herbst für unser Unternehmen“, ahnt er Böses.
Die Auftragsbücher sind voll, aber der Weltmarkt drückt die Stimmung
So ähnlich geht es offensichtlich vielen Unternehmern zurzeit – obwohl die Rahmenbedingungen stimmen. Denn die Ausgangslage scheint an sich günstig zu sein. Die Produktion läuft bei einer hervorragenden Auslastung von durchschnittlich 85 Prozent fast auf Hochtouren. 80 Prozent der befragten Firmenchefs halten die Auftragslage für saisonüblich bis sehr gut und ebenso viele schätzen die Geschäftslage ihres Betriebes als gut ein. Fast die Hälfte der Betriebe hat im ersten Halbjahr sogar mehr Auftragsbestellungen akquirieren können als zuvor.
Dennoch erwartet ein Drittel für das zweite Halbjahr einen Einbruch bei ihren Auftragsbeständen. Und gar drei von vier befragten Unternehmern gehen davon aus, dass die geschäftliche Entwicklung in Deutschland sich insgesamt verschlechtern werde. „Das sind düstere Aussichten“, sagt Blöcker.
Die Diskrepanz zwischen der guten Lage des eigenen Unternehmens und der unschönen Perspektive für die Zukunft habe ihren Grund auch in vielen Unsicherheiten, glaubt Koch. So wisse keiner, wie sich der Krieg in der Ukraine weiter auswirken wird und mit welchen Corona-Auflagen die Bundesregierung die Unternehmen im Herbst und Winter „gängeln“ werde.
Verbraucher müssten mit weiteren Preissprüngen rechnen
Für die Verbraucher werde es aber mit Sicherheit weitere Preissteigerungen geben, sagen die Verbandsgeschäftsführer aus ihren Umfrageergebnissen voraus. So sind bereits im Frühjahr die Energiepreise für die Unternehmen im Kreis Pinneberg um rund ein Drittel gestiegen. Bis Ende des Jahres dürften sie sich mehr als verdoppelt haben, weil dann die langfristigen, zum großen Teil noch kostengünstigen Verträge mit ihren Energieversorgern ausgelaufen seien und diese wiederum selbst für horrende Preise für Nachschub sorgen müssten. Das trifft die meisten Betriebe im Kreis weiterhin hart, da immer noch 80 Prozent von ihnen vom Erdgas und die Hälfte vom Erdöl abhängig ist.
Darum gehen neun von zehn befragten Unternehmern davon aus, dass die Preise steigen werden, auch wenn sie diese selbst nur zu einem Drittel an ihre Kunden weitergeben könnten. Acht von zehn Firmenchefs wollen in andere, erneuerbare Energie-Formen oder mehr Effizienz investieren. Auch Salvana-Chef Hentrich kündigt an, dass das größte Werk in Süddeutschland komplett mit Photovoltaik-Anlagen ausgerüstet werden soll. „Wir investieren mehrere Hunderttausend Euro.“ Allein: „Wir wissen noch nicht, wann das passiert. Im Moment sind Solarmodule aus Asien noch irgendwo auf den Weltmeeren.“
Immerhin sieht der Arbeitsmarkt aber aus Sicht der Beschäftigten noch recht gut aus. Jedes dritte Unternehmen im Kreis Pinneberg will die Zahl seiner Belegschaft im nächsten halben Jahr erhöhen. Ob das aber angesichts des enormen Fachkräftemangels tatsächlich möglich sein wird, da habe er seine Zweifel, sagt Verbandsgeschäftsführer Blöcker. „Wir brauchen Zuwanderung aus den anderen Bundesländern und aus dem Ausland, um den Fachkräftemangel zu beheben“, sagt Mitgeschäftsführer Koch.
Hoffnung macht, dass das Land als Industriestandort immer beliebter wird
Allerdings machten innovative Unternehmensansiedlungen wie Northvolt aus Schweden, die allein 3000 Mitarbeiter für ihr neues Batteriewerk an der Westküste einstellen möchten, große Hoffnung für die Zukunft. Diese völlig neue Entwicklung, dass auf einmal Schleswig-Holstein ein so begehrter Industriestandort sei, könnte sogar zu einem Kippen des jahrzehntelangen Süd-Nord-Gefälles führen, das meist Bayern und Baden-Württemberg als die Hochburgen der deutschen Wirtschaft dastehen ließ.
„Wenn ich sehe, dass in Freiburg 40 Grad hohe Temperaturen herrschen, hier aber moderate 20 Grad sind, dann ist das auch ein Stück mehr Lebensqualität, die wir hier im kühlen Norden gegenüber dem heißen Süden haben“, frohlockt Ken Blöcker.