Rellingen. Andrea Simmendinger blickt auf ein erfolgreiches Künstlerleben zurück – und macht weiter mit Musicalunterricht.

Während Musikschule, Sportvereine und andere Bildungs- und Freizeitstätten während der Pandemie Mitglieder verloren haben, kann Andrea Simmendinger, Gründerin und Leiterin der Musicalschule Sonatini Stage Kids und einer eigenen Musikschule in Rellingen, in dieser schwierigen Zeit sogar einen Zuwachs verbuchen.

Rellingen: Talentschmiede für junge Musical-Darsteller

Der Grund dafür liegt in der Leidenschaft, mit der die gebürtige Münchnerin ihre Berufung lebt. Sie hatte sich sogar so in die Möglichkeiten des Programms Zoom eingefuchst, dass die Kinder nach einem langen Schultag noch Lust hatten, am Musical-Unterricht teilzunehmen, in Kleingruppen Szenen einzustudieren und miteinander zu lachen. „Der Spaß stand vor dem Lernen,“ sagt die Künstlerin.

Ein erfülltes und extrem erfolgreiches Berufsleben liegt bereits hinter ihr. Andrea Simmendinger hat bei fast allen großen Musicals als Dirigentin, Pianistin und Korrepetitorin gearbeitet. Fest angestellt und mit tollem Gehalt. Weder sind es das Geld, noch die Gunst des Publikums, das sie antreibt, weiter auf dem Feld der Musik unterwegs zu sein. „Ich will nicht kürzer treten. Es macht mich so glücklich, wenn ich sehe, wie den Kindern und Jugendlichen der Unterricht bei uns guttun. Sie werden zu tollen Menschen. Das gibt mir so viel!“

Eine solche Musicalschule gebe es im ganzen norddeutschen Raum nicht, viele Schüler kämen aus Hamburg und sogar aus Niedersachsen her. „Das hat sich herumgesprochen. Unsere Kinder spielen bei Harry Potter oder der Eiskönigin die Kinderrollen, auch am Altonaer Theater oder beim NDR sind sie gefragt“, sagt die Musicalfrau. Das sei aber überhaupt nicht ihr Hauptziel, darauf weist sie ausdrücklich hin: „Ich will keine Zirkuspferdchen.“ Primär gehe es ihr um die Entwicklung der Persönlichkeit. Die eigene Stimme mögen zu lernen, sich zu trauen, solo zu singen. „Mobbing wird bei uns sofort im Ansatz unterbunden. Es ist hier ein Miteinander. Keine Konkurrenz.“

Rellingen: Simmendinger entdeckte zufällig ihre Liebe zur Musik

Die Gaben, über die Andrea Simmendinger verfügt, stammen nicht von ihren Eltern, denn die hatten mit Musik überhaupt nichts zu tun. Zunächst schloss sie in München ein Studium der Psychologie und Soziologie ab. Bis sie durch Zufall entdeckte, dass sie die Musik viel lieber mochte. In einer Zeit, wo kaum Frauen in den Orchestern waren, bestand sie nonchalant die Aufnahmeprüfung an der Münchner Musikhochschule – und schloss mit der Note eins ab, nachdem sie kurz vorher von einer ihrer Musicaltourneen zurückkam.

Die Sonatini Stagekids in einer Szene vom Musical Planet.
Die Sonatini Stagekids in einer Szene vom Musical Planet. © Michael Gertzen | Michael Gertzen

Während des Studiums spielte sie in diversen Rock- und Popbands und schon bei den Musicals. Thema ihrer Diplom-Arbeit: Frauen in der Musik. 1990 begann sie dann in der Position der musikalischen Leiterin beim Hamburger Musical Cats – mit heftigem Gegenwind. „Wir wollen keine Frauen hier“, das gaben ihr die männlichen Kollegen mehr als deutlich zu verstehen: Zwischen den Akten wurden ihr die Noten vom Pult geklaut, hinter ihr hängen die Mitmusiker Nacktfotos auf. Sie biss sich durch.

Vollzeit wollte sie irgendwann nicht mehr bei Cats arbeiten und bekam immer mehr Engagements an Hamburger Privattheatern, für die sie komponierte und spielte. Auch den jungen Star-Tenor Peter Hofmann hat sie mal beim Phantom der Oper unterrichtet. Privat lernte sie einen Ingenieur kennen, verliebte sich in ihn und brachte einen Sohn zur Welt. Anfangs kümmerte er sich um das Kind, später nahm sie es mit zu „Tarzan“ und anderen Musicals. Bis sie als Musical Supervisor zum Kreuzfahrt-Unternehmen Aida ging.

Rellingen: Simmendingers Musikschule existiert seit 2007

Da hatte sie mit lauter jungen Künstlern aus den USA, England und Brasilien zu tun, die eine Reihe Shows für die Kreuzfahrten einstudieren mussten. Die Tänzer und Akrobaten kamen allesamt aus der Ukraine. „Es herrschte ein sehr hohes Niveau. Die Proben waren hart, aber das Leben an Bord, während sie die Welt sahen – das war genial für die jungen Künstler“, erzählt sie.

2007 gründete sie in Rellingen in ihrem privaten Haus eine Musikschule. Sie unterrichtete Klavier und Gesang, was sie noch immer tut, es kamen aber bald sehr viel mehr Instrumente dazu, für die sie aus dem großen Kreis ihrer ehemaligen Musicalkollegen Musiker als Lehrer engagierte. Dabei ging es ihr nicht ums Geldverdienen. Sondern darum, dass zunächst die Freunde ihres Sohnes guten Unterricht bekamen. „Der Weg, ein Instrument zu lernen, geht von innen nach außen. Freddy Mercury zum Beispiel halte ich für einen ganz tollen Sänger“, sagt sie und erklärt damit den Unterschied zwischen Perfektion und Persönlichkeit., Anfangs gelte es, den Zugang zur Musik freizulegen, „Technik ist nur ein Hilfsmittel.“

Rellingen: Warum Musik Kindern gut tut

Mit der Zeit merkte sie, wie die Kinder sich durch die Musik veränderten. Und sie veranstaltete einen Wochenend-Musicalworkshop. Der war so beliebt, dass sie sich entschloss, in der Brüder-Grimm-Schule einen Zettel aufzuhängen. Der daraufhin erschienene Artikel ließ ihr Telefon nicht stillstehen – die Sonatini Stage Kids waren geboren. Heute bilden vier Lehrer das Kernteam, insgesamt unterrichten dort zehn Künstler. Die Corona-Zeit hat sie stärker zusammengeschweißt. Dass die Kinder sich wieder sehen und berühren dürfen, mache sie überglücklich. „Kinder werden durch diese Arbeit stärker, ruhiger in ihrer eigenen Persönlichkeit. Dadurch sind sie fokussierter“, beobachtet sie.

Soziale Probleme würden abgebaut, sie hätten weniger Aggressionen und würden weniger gemobbt. Denn das allererste, was sie bei den Sonatini Stage Kids lernen, ist die Erkenntnis: „So wie ich bin, bin ich in Ordnung.“

www.sonatini-stagekids.de