Kreis Pinneberg. Axel Vogt kümmert sich beim Kreis um ihre Belange. Er sieht Defizite bei Gesundheitsversorgung, Job und Mobilität

Die Entscheidungsphase rund um den Neubau der Regio Klinik und der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bietet in beiden Fällen die Chance, für behinderte Menschen die Lebens-, Mobilitäts- und Arbeitsbedingungen voranzubringen. Denn vieles liegt da noch im Argen und muss spürbar verbessert werden, sagt Axel Vogt (62), Beauftragter für Menschen mit Behinderung im Kreis Pinneberg.

46.500 Menschen mit Handicap leben hier, davon sind 24.300 schwer behindert, haben also mehr als 50 Prozent Einschränkungen. Fast 60 Prozent von ihnen sind über 60 Jahre alt. Seit 2015 füllt Axel Vogt die anspruchsvolle Aufgabe aus. Seit der Bankkaufmann das Ehrenamt innehat, konnte er schon einiges bewegen. Das kostet ihn 400 bis 500 Stunden Freizeit im Jahr. „Ich mache das, weil ich es für notwendig erachte. Es gibt kaum eine dankbarere Arbeit“, sagt er dazu.

Das Bundesteilhabegesetz tritt stufenweise bis 2023 in Kraft

Was Menschen mit Handicap brauchen, könne im Zuge der genannten Planungen jetzt einfacher umgesetzt werden, wenn es von Anfang an mitgedacht würde, so Vogt. Behinderte hätten oft komplexe Krankheitsbilder und müssten sich deshalb mühselig von Spezialist zu Spezialist begeben. „Im Rahmen der Neuordnung der Krankenhausversorgung im Kreis sehe ich jetzt aber eine Chance, dieses Thema dort mit anzusiedeln“, sagt Vogt. Viele Praxen seien nämlich noch immer nicht barrierefrei erreichbar, eine freie Arztwahl existiere für Behinderte folglich nicht.

Rechtlich hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan – von der UN-Behindertenrechtskonvention (2008), die allerdings nicht verbindlich ist, bis zum Bundesteilhabegesetz, das stufenweise bis 2023 in Kraft tritt.

Neben der medizinischen Versorgung sind Arbeitsplätze das zweite dicke Brett, das es zu bohren gilt. „Arbeit ist ein elementarer Bestandteil für die selbst empfundene Wertigkeit“, sagt Axel Vogt. Theoretisch sind Unternehmen, die 20 oder mehr Mitarbeiter beschäftigen, vom Gesetzgeber her verpflichtet, fünf Prozent der Arbeitsplätze einem Menschen mit Behinderung zu geben, also einen ganzen oder zwei Teilzeit-Arbeitsplätze bei 20 Beschäftigten den Menschen mit Behinderungen zur Verfügung zu stellen. Die Firmen können sich aber durch eine Ausgleichsabgabe davon freikaufen. Das führt dazu, dass nur rund zwei Drittel der möglichen Arbeitsplätze tatsächlich zur Verfügung stehen. „Ein Arbeitgeberwechsel ist da kaum möglich“, sagt Vogt.

Im öffentlichen Dienst achtet er darauf, dass diese vom Gesetzgeber festgeschriebene Quote eingehalten wird: „Ich versuche, durch ständige Aufklärung und gute Beispiele die Akzeptanz zu erhöhen“, sagt er. „Es ist weitaus besser, was behinderte Menschen leisten können, als wir denken. Die Wahrnehmung ist aber eine andere. Das zeigt sich schon, wenn eine Kleinigkeit nicht funktioniert. Wir gucken weiterhin zu sehr auf den Mangel, nicht auf das Potenzial und die Leistung“, sagt der Behindertenbeauftragte.

Vogt fordert eine deutliche Erhöhung der Ausgleichsausgabe

Abhilfe würde seiner Ansicht nach nur geschaffen, indem die Ausgleichsabgabe empfindlich erhöht würde, „so, dass es richtig wehtut. Die ist meiner Meinung nach nicht hoch genug.“

Auch beim Wohnen gibt es vielerorts Nachbesserungsbedarf, beispielsweise fehlen Plätze zum Abstellen von Rollstühlen. Generell gebe es zu wenig Wohnplätze für mehrfach schwer Behinderte. Deshalb habe die Politik vor vier Jahren beschlossen, 40 neue Plätze pro Doppelhaushaltsjahr zu schaffen. „Wir brauchen noch zehn Jahre, um den Bedarf abzudecken“, sagt Vogt.

Einer der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte für ein selbstbestimmtes Leben ist Mobilität. Die meisten Menschen mit Behinderung brauchen Bus und Bahn, um überhaupt etwas unternehmen zu können.

Was die Taktung von öffentlichen Verkehrsmitteln und die Wege zur Haltestelle der Verkehrsmittel angehe, „geht das zu langsam vorwärts“, stellt Vogt fest. „Die Freizeitgestaltung hat eine hohe Bedeutung, weil in dieser persönlichen Situation Zerstreuung und Ablenkung besonders wichtig sind“, sagt er.

Ein wichtiger Integrationsfaktor ist für den Behindertenbeauftragten der Sport

Natürlich wirken sich die Schwierigkeiten, hin- und zurückzukommen, auch negativ auf sportliche Aktivitäten aus. „Die, die Sport treiben, integrieren solche Menschen meist einfach und schnell“, beobachtet Vogt. „Vorher ist aber zu klären, ob eine Halle wirklich barrierefrei ist.“

Aus all seinen Bemühungen und den Fortschritten erstellt der Pinneberger Bankkaufmann einen jährlichen Aktionsplan, den er dann der Politik und auch der Öffentlichkeit vorstellt. Im Ganzen gehe es nicht nur um Arbeitsplätze oder eine erleichterte Mobilität.

Sondern generell um das gesellschaftliche Miteinander, sagt Vogt. „In diesem Sinne sollten Menschen mit Behinderung viel stärker eingebunden werden, jenseits von Arbeit und Leistung. Denn oft bringen sie Kompetenzen mit, die andere nicht haben.“