Helgoland. Die legendäre Flugverbindung ab Uetersen ist wieder im Liniendienst. Das Abendblatt hat sie getestet. Wie es war, was es kostet.
Bei Reinhard Mey heißt es ja schon „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ – aber wer in den Genuss einer Flugreise nach Helgoland kommt, merkt: So hoch hinaus müssen Freigeister gar nicht. Schon auf einer Flughöhe von 2.200 Metern wird „alles, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“
Seit dem ersten April wird die Linie Uetersen – Helgoland wieder bedient, coronabedingt zwei Jahre später als anfangs geplant. In der Saison bis zum 30. September hat der Ostfriesische Flug-Dienst (OFD) mittwochs und sonntags je zwei Hin- und Rückflüge zwischen dem Kreis Pinneberg und Deutschlands einziger Hochseeinsel im Angebot. Rund 170 Euro je Tour kostet die Reise auf der womöglich weltweit einzigen Fluglinie mit Start und Landung im selben Landkreis.
Helgoland Flug: Neun Passagiere – inklusive Pilot
Bereits die Anreise nach Uetersen-Heist lässt vermuten, dass der Flug ein Abenteuer wird. Denn wer sich kurz vor Ankunft am Flugplatz im Wald wiederfindet, mag denken, er habe sich verfahren. Einmal angekommen, beginnt jedoch die typische Flughafenroutine: Gepäck wiegen, einchecken, auf ledernen Wartesesseln Platz nehmen - im Hintergrund in Dauerschleife das Video einer Dame, die sich mit ausladenden Handbewegungen anschnallt, eine Schwimmweste überstülpt, in die Trillerpfeife pustet. Doch statt mit dem Shuttlebus gelangen die Passagiere per pedes zu ihrer Britten-Norman BN-2 Islander.
Neun Passagiere inklusive Pilot fasst die circa 11 Meter lange Maschine. Ein Einweiser hilft den Fluggästen, ihr Gepäck im kleinen Frachtraum des Flugzeugs zu verstauen. „Abfertigung, Werkstatt - ich mach’ hier alles“, sagt Sven Baumeister, der in gelber Warnweste auf dem Rollfeld steht. Noch ist er Flugschüler bei Air Hamburg, in wenigen Jahren möchte er selbst Piloten ausbilden. Die Luftverkehrsgesellschaft kümmert sich für den OFD um die Organisation des Starts in Uetersen. Und sie ist geübt darin – bis 2012 hat Air Hamburg selbst Flüge auf der Linie Uetersen – Helgoland angeboten.
„Die Britten-Norman Islander ist speziell für Inselflüge entwickelt worden“, sagt Baumeister noch. Das muntert auf, verleitet doch der Einstieg in das wirklich winzige Passagierfluggerät zu dem Gedanken, lieber gleich wieder auszusteigen. Auch Pilot Okko Dannecker kann es sich nicht verkneifen, den Gästen etwas Angst zu machen. Wegen der Witterungsverhältnisse könne es turbulent werden, Spucktüten befinden sich in einer Lasche am Sitz des Vordermanns, ebenso Ohrenstöpsel gegen den Lärm. Dann sagt er aber noch etwas Aufmunterndes: „Spätestens der Anflug auf Helgoland entschädigt für alles.“ Und schon unterbinden die zwei startenden Propeller sämtliche Konversation.
45 Minuten Flugzeit über der Nordsee vergehen, nun ja, wie im Flug
Die Maschine beschleunigt von zügig über schnell zu rasend – und hebt ab. Die ersten Flugminuten im dichten Nebel über dem Kreis Pinneberg sind tatsächlich gewöhnungsbedürftig. Doch noch bevor die Entscheidung gefallen ist, ob man nun zur Tüte greifen soll oder nicht, liegt die Britten-Norman Islander beinahe schwebend ruhig unter den Wolken. Marschland, Felder, Elbarme ziehen unter ihr vorbei, bald schon die Mündung des Flusses in die Nordsee, dann nur noch weites Meer. Wie viele Schiffe da unterwegs sind!
Buchstäblich wie im Flug vergehen etwa 45 Minuten, dann kommen Helgoland und die Düne in Sicht – und die Sonnenstrahlen heraus. Schade, dass die Piloten die Insel nur im Notfall überfliegen dürfen, währt doch das entzückende Bild des Eilands aus der Vogelperspektive viel zu kurz. Die Maschine verliert an Höhe, steuert auf die Landebahn des Flugplatzes auf der Nebeninsel Düne zu und setzt butterweich auf.
Pilot und Gäste, eben noch im regnerischen Uetersen eingestiegen, verlassen die Maschine auf dem sonnigen Helgoland. Darunter auch Sabine und Klaus Neubauer, die die Insel bereits zum zweiten Mal besuchen.
Der Flug kam ihnen gelegen, denn ihre einige Jahre zurückliegende und Seegang-intensive Katamaran-Fahrt nach Helgoland haben die beiden in nicht allzu guter Erinnerung. Zwei andere Mitflieger hatten eigentlich ebenjenen Halunder-Jet als Reisemittel ihrer Wahl gebucht. Der aber konnte wegen schlechten Wetters nicht fahren. Ersatzweise nahmen sie den Flug von Uetersen-Heist. Und dann gibt es noch den Hamburger Andreas Aug, der von Berufs wegen unterwegs ist. Er muss als Sicherheitsingenieur eine Helgoländer Baustelle besuchen. Aug freut sich, dass die vierstündige Fährfahrt nun für ihn Geschichte ist und er stattdessen fix und flugs auf die Insel reisen kann.
Die Maschine versprüht einen gewissen Retrocharme
„In erster Linie zielen die Flüge auch auf gewerbliche Kunden“, sagt Claudio Schrock-Opitz, kaufmännischer Leiter der OFD und „im Nebenjob“ Geschäftsführer des Flugplatzes Helgoland-Düne. „Touristen wollen wir in zweiter Linie erreichen, daher auch erstmal der saisonale Versuch: Die Flüge finden ja nur von April bis September statt.“ Als drittes Standbein nennt Schrock-Opitz Helgoländer, die etwas in der Region Hamburg unternehmen wollen. „Bevor es die Fluglinie gab, mussten sie oft ein Mietauto von Büsum aus nach Hamburg nehmen - das ist ein ziemlicher Aufwand“, sagt er.
Ob sich die neue Linie bisher rechnet? „Aller Anfang ist schwer“, gibt Schrock-Opitz zu. „Beim Premierenflug sind wir gleich mal im Schnee gestartet.“ Sorgen macht er sich aber keine, die anderen beiden OFD-Linien von Heide-Büsum und Nordholz-Spieka würden die meisten Gäste im Sommer verzeichnen, in den Ferienzeiten. Darauf bleibt nun zu warten. „Wenn die Zeit zwischen Juni und September uns wirtschaftlich trägt, wäre das fantastisch. Von Gewinn redet ja erst mal keiner“, so Schrock-Opitz.
Corona verhinderte einen früheren Start der Fluglinie
Ursprünglich sollte die Linie schon 2020 in Betrieb genommen werden. Grund für die Verzögerung war – na, klar – Corona. Auch heute und bis auf weiteres gilt eine FFP2-Maskenpflicht in den Flugzeugen der OFD.
Insgesamt sechs Piloten fliegen auf der brandneuen Strecke, darunter auch Luca Bastigkeit. Den Rückflug vom Ei- aufs Festland macht er zum ersten Mal. „Das ist heute auch meine Premiere. Mal gucken, ob wir Uetersen finden“, scherzt er.
Bastigkeit ist wie alle Flieger, die auf Helgoland landen wollen, speziell geschult worden. Denn die drei Start- und Landebahnen auf dem Flugplatz der Düne sind extrem kurz. „Bei so viel Wind können wir die 480 Meter lange Bahn nicht einmal nehmen. Wir starten von der mittleren, die misst 371 Meter“, sagt er. Wichtig sei es beim Start auf Helgoland, mit den Windverwirbelungen klar zu kommen, die hinter den Dünen entstehen können. Bastigkeit jedenfalls bezwingt sie, ohne dass die Passagiere überhaupt etwas von ihrer Existenz mitbekommen. Sekunden später fliegt er die Maschine mit durchschnittlich 220 Kilometern pro Stunde über die Nordsee.
Es hat einen gewissen Retrocharme mit anzusehen, wie er die ein Vierteljahrhundert alte Britten-Norman Islander steuert. Kaum Bildschirme, dafür in schrillem Orange leuchtende Ziffern, die an die Anzeige früher Taschenrechner erinnern, blinken überall im Cockpit. Überhaupt, wie es da wimmelt vor Schaltern und Knöpfen, die der Pilot in einem fort betätigt. Kein Touchscreen-Getippe, sondern das Umlegen echter, analoger Schalter hält die Drei-Tonnen-Maschine in der Luft.
Kaum erwähnenswert, dass Bastigkeit zwischenfalllos und sanft in Uetersen-Heist aufsetzt. Hier ist das Wetter natürlich wieder bescheiden. Schnell füllt er Treibstoff nach, 160 Liter in jeden der beiden Tragflügel. „In Uetersen wird eigentlich immer nachgetankt“, sagt der Pilot. 620 Liter fasst die Maschine bei einer Reichweite von etwa 1400 Kilometern. Dann verabschiedet sich Bastigkeit. Er hat es eilig, sein Rückflug auf die Insel steht an. Flieger, grüß mir die Sonne!
Buchungen und Infos: https://www.fliegofd.de/
Helgoland Info: Nur 480 Meter bleiben für Start und Landung
Die Flugstrecke Uetersen – Helgoland ist kein Novum, sie wurde wiederbelebt. Zwischen 2005 und 2012 hatte der Vorgängeranbieter Air Hamburg bereits Linienflüge von Uetersen auf diverse Inseln angeboten. Im Jahr 2007 gingen etwa rund 8000 Menschen in Uetersen-Heist an Bord – rund 40 Prozent davon flogen nach Helgoland, 25 Prozent nach Sylt. Heute konzentriert sich Air Hamburg auf Privatjets.
Auch für den Ostfriesischen Flug-Dienst (OFD) mit Sitz in Emden sind Inselflüge nichts Neues - es ist das Metier des Unternehmens. 1985 wurde die Firma zunächst als Flugtaxi für den Seebäderdienst gegründet. Als eine der ersten deutschen Airlines transportierte der OFD damals noch unter dem Namen „Ostfriesische Lufttaxi“ (OLT) Personen ebenso wie Fracht, Versandhauslieferungen oder Medikamente. Heute umfasst die Airline-Flotte fünf Britten-Norman BN-2 Islander und eine Gippsland Airvan 8. Da nur zweimotorige Maschinen gewerblich nach Helgoland fliegen dürfen, werden dafür die Britten-Norman genutzt. Die durchschnittlich 25 Jahre alten Flugzeuge sind speziell für Inselflüge entwickelt worden. Zwei der fünf Britten-Norman Islander des OFD sind aus Neuseeland überführt worden.
Den Flugplatz auf Helgoland haben die Nationalsozialisten zu verantworten. Er entstand während des „Projekts Hummerschere“. Zwischen 1938 und 1941 sah die Mission die Errichtung eines Marinestützpunkts auf dem Gebiet der Inseln Helgoland und Düne samt Sandaufschüttungen, Bau einer Bunkeranlage und Flugplatz vor. Der Flugplatz diente im Zweiten Weltkrieg meist als Not- und Ausweichplatz. Nach Kriegsende wurde der Flugplatz erst 1962 wiedereröffnet.
Auf Helgoland, genauer auf der Düne, darf nicht jeder landen. 100 Flugstunden sowie Erfahrung mit kurzen Start- und Landebahnen müssen die Piloten vorweisen können. Nur 480 Meter misst der längste der drei „Runways“. Zwei weitere Start- und Landebahnen sind 371 und 258 Meter lang. Zum Vergleich: Die Pisten des Flughafens Frankfurt sind bis zu 4000 Meter lang.
Piloten sollen die Hauptinsel Helgoland möglichst nicht überfliegen. In der Regel erfolgt der Anflug also von der offenen Nordsee her. Wer auf der Insel gelandet ist, den fährt ein Taxi vom Flugplatz zum Fähranleger. Dort kann man auf die Hauptinsel überzusetzen. Wer auf der Düne in der Nähe des Flugplatzes bleibt, wird gewarnt: Wegen der Kürze der Landebahn ist mit Tieffliegern zu rechnen. Warntafeln und Ampeln weisen auf mögliche Gefahren hin.