Pinneberg. Anwohner klagen über Risse in Wänden und Decken. Sind die Arbeiten am ILO-Park und am Bahnhof schuld?
Zwei Jahre ist es her, dass Florian Schwabl und seine Frau Janina das schmucke, 100 Jahre alte Haus An der Mühlenau für sich und ihre Familie gekauft haben. Jetzt hat der lang gehegte Traum vom eigenen Heim im wörtlichen Sinn Risse bekommen. Mit den Schäden am und im Gebäude stehen sie nicht alleine da: Sechs Anwohner sind in derselben Lage. Sie stellen Risse an Wänden, Decken oder Fugen fest und fürchten, wenn die Bauarbeiten näher kommen, um ihre Häuser. Jetzt haben sie sich zusammengeschlossen und machen ihrem Ärger Luft.
Anfangs hatte sich der Wirtschaftsingenieur Florian Schwabl gefreut, dass gegenüber auf dem ehemaligen ILO-Gelände neue Wohnungen entstehen und das Bahnhofsumfeld auch auf der Südseite neu gestaltet wird. „Das macht’s tendenziell schöner“, sagt er. Bewusst hatten seine Frau Janina und er ein historisches Haus gekauft: „Wir möchten den alten Charme erhalten. Wir tun das gern. Aber alles, was dazu führt, dass Risse im Haus entstehen, tut einem in der Seele weh.“
ILO-Park: Gutachter hat Häuser in Augenschein genommen
Als die Kräne angeliefert worden seien, habe das ganze Haus gewackelt, ebenso, als die Spundwände entlang der Bahngleise eingerammt wurden. Als die Asphaltdecke direkt vor dem Haus abgefräst wurde, hat sein Nachbar, der Ingenieur Sönke Christian, neue feine Risse an seinen Decken und Wänden entdeckt. Ältere Risse seien länger und breiter geworden: „Der Gutachter, den die Straßenbaufirma geschickt hat, kam aber erst danach. Es wird für uns also schwer, die Ursache der Schäden am Gebäude nachzuweisen“, sagt Christian.
Auch Schwabl hatte einen Gutachter da: „Die Fotos, die er vorher gemacht hat, sind aber in seinem Besitz, nicht in unserem.“ Sie machen sich große Sorgen: „Je näher uns die Bauarbeiten kommen, umso mehr Angst haben wir um unsere Häuser“, sagt Sönke Christian. „Wir wünschen uns Kommunikation und Schutz. Wir möchten rechtzeitig vorher informiert werden und wissen, an wen wir uns wenden können.“
Auch die Stadt Pinneberg habe ihre Fragen nicht beantwortet. Dazu sagt Stadtsprecher Marco Bröcker: „Wir planen im Mai einen Informationstermin mit den Anwohnern. Die Risse wurden von der Stadt begutachtet. Es ist jetzt die Frage zu klären, wer für die Schäden zuständig ist. Daran arbeiten wir gerade.“
Die schlimmsten Schäden hatte bislang die Familie Heider. „Wir hatten vor Beginn der Bauarbeiten eine massive Garage mit einem Metalltor“, erklärt die Medizinprodukteberaterin und Wundexpertin Ines Heider. Deren Decke war in die Hauswand eingelassen. „Durch die Abrissarbeiten der ILO-Werke ist die rechte Wand unserer Garage dann aber gefährlich abgesackt, und die Säule an der vorderen Hauswand hat sich sichtbar nach vorn geneigt.“
Die hintere Garagenwand habe sich ebenfalls gebeugt. „Wir haben die Garage dann auf eigene Kosten abgerissen und eine neue gebaut“, sagt Ines Heider. „Auch der Fenstersturz an unserem seitlichen Fenster ist durch die Erschütterungen kaputtgegangen“, sagt sie. In ihrem Badezimmer seien Risse in den Silikonfugen entstanden. „Die Beweisaufnahme wurde erst danach gemacht“, stellt auch sie verärgert fest. „Hier schiebt einer dem anderen den Buhmann zu“, ist ihr Eindruck.
Risse in Häusern: Bau von Tiefgaragen steht noch aus
Eine weitere Sorge treibt Sönke Christian um, der mit seiner Familie seit 2007 An der Mühlenau wohnt: „Während der Straßenbauarbeiten wurde Torfuntergrund gefunden. Wenn Torf aber austrocknet, sackt er zusammen. Dann gibt es Setzungen.“
Schließlich stehe auf dem ILO-Gelände der Bau von Tiefgaragen bevor. Er frage sich logischerweise, was mit dem Grundwasser auf dem Terrain passiere und was geschehe, wenn die Grundwasserströme umgeleitet würden und eventuelle Torfareale unter den alten Häusern dann austrockneten. Die Anwohner haben ihre Fragen an die Stadt, die Bauträger und an Baufirmen gestellt: „Wir fühlen uns ignoriert. Wir wünschen uns, dass die zuständigen Stellen mit uns sprechen und auf unsere Fragen fundierte Antworten geben“, sagt Sönke Christian.
Auf Anfrage sagt Jan Petersen, Geschäftsführer bei Aug. Prien, einer der beiden Bauträger, dass seine Firma nicht für die Schäden verantwortlich sein könne, da die von Aug. Prien errichteten Bauten, deren Anzahl übrigens von Beginn an mit 211 Wohnungen gleich geblieben sei, viel zu weit weg am anderen Ende des Baufeldes lägen - mit eigener Zufahrt am entgegen gesetzten Ende. Vom zweiten Bauträger Rockstone Real Estate war bis zum Nachmittag keine Stellungnahme zu bekommen.
Ein weiterer Dorn im Auge ist den Anwohnern der Fußweg zum Bahnhof: „Er ist gefährlich geworden“, sagt Janina Schwabl. Den Fuß- und Fahrradweg nutzten jeden Tag mehrere hundert Pinneberger. Aktuell müssten Fahrradfahrer absteigen, was sie aber nicht immer täten. Der Weg sei für mobilitätseingeschränkte Personen nicht nutzbar und habe schon mehrfach direkt über die Baustelle geführt. André Bajorat von der Anwohnerinitiative fasst deren Wünsche zusammen: „ Unsere Forderungen sind ein unabhängiges Beweissicherungsverfahren seitens der Stadt Pinneberg, ein klarer, transparenter Zeitplan der Maßnahmen, ein Ansprechpartner für uns als Anwohner, ein barrierefreier Zugang zu unseren Häusern, eine Anpassung des Bebauungsplans, eine Sicherstellung der Parkplatzsituation, eine Kontrolle des Gehwegs und eine Verhinderung der Nutzung durch E-Roller und Fahrräder.“
Laut Stadtsprecher Marco Bröcker ist inzwischen die Bauaufsicht im Rahmen der Gefahrenabwehr tätig geworden. Ein Prüfingenieur für Baustatik sei beauftragt worden, die Gebäude zu untersuchen, wovon auch die Bauträger informiert worden seien. Ergebnis: Die Standsicherheit sei nicht beeinträchtigt, es handele sich um Schönheitsrisse. Weitere bauordnungsbehördliche Maßnahmen seien nicht erforderlich.