Pinneberg. Das vergriffene Werk „Drei Leben für die Diktatur“ über drei von Nazis verfolgte Pinneberger gibt es nun digital.

Wichtige Bücher – oft sind sie nur noch antiquarisch zu bekommen. In Pinneberg hatte der Bund der Antifaschisten in den Jahren 1988 und 1990 einen außerordentlich bedeutenden Band herausgegeben, der sich mit der regionalen NS-Geschichte befasst und ein bis dahin weithin verschwiegenes Kapitel der Stadthistorie aufgearbeitet hat: Damals schrieben Hildegard Kadach und Dieter Schlichting in dem inzwischen vergriffenen Band „Drei Leben gegen die Diktatur“ über die Nazi-Gegner Heinrich Geick, Heinrich Boschen und Wilhelm Schmitt. Jetzt ist er wieder verfügbar – kostenlos und digital.

Pinneberg: Buch über Widerstand gegen die NS-Diktatur

Eine gute Nachricht für Schüler und Lehrkräfte im Kreis Pinneberg und eine herausragende Leistung des Pinneberger Friedensaktivisten Dieter Borchardt.

Heinrich Geick (1872-1935) stammte aus einer Familie überzeugter Kommunisten. Als solcher kandidierte er bereits 1929 mit seiner Frau Martha zur Pinneberger Kommunalwahl. Der Terror von SA und SS hatte sich schon vor dem Reichstagsbrand im Februar 1933 gegen Sozialdemokraten und Arbeiter entladen, etwa am Altonaer Blutsonntag. Ab März 1933 wurde die Parteiarbeit in Pinneberg illegal. Heinrich Geick war an der Herstellung verbotener Zeitungen beteiligt, in denen Lügen der Nazis korrigiert wurden, die Autoren den Werktätigen Mut zusprachen und den „Sturz der faschistischen Diktatur“ in Aussicht stellten. Dass er untertauchte, schützte ihn nicht vor der Verhaftung. 1933 bis 1935 war er im Gefängnis. Auch Heinrich Geick senior kam 1934 in Haft. Weil er herzkrank war und keine Medikamente erhielt, starb er im Februar 1935.

Heinrich Boschen war nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg überzeugter Pazifist geworden und wurde aktives SPD-Mitglied. 1924 bis 1929 stand er auf deren Kandidatenlisten, war Parteivorsitzender und leitete die Ortskrankenkasse. Nach der Machtübernahme begann die Drangsal mit den sogenannten „Säuberungen der roten Sauställe“. Richard Köhn, Heinrich Boschen und andere wurden aus dem Amt gejagt.

Pinneberg: Buch ist online für jedermann zugänglich

Da Boschens Gesundheit angegriffen war, stellte er einen Antrag auf Rente, der abgelehnt wurde. Emilie Boschen wurde die Haupternährerin der Familie, die dennoch in Not geriet. Ihr Mann fand zwar bis 1939 wieder Arbeit bei der Basler Versicherung und knüpfte neue Kontakte zu Genossinnen und Genossen. Als überzeugter Sozialdemokrat wurde er aber im Sommer 1944 verhaftet und kam ins KZ Neuengamme. An den Folgen brutaler Misshandlungen starb er kurz nach der Entlassung.

Der Schneidermeister Wilhelm Schmitt lebte zeitweilig in der Schweiz, war nach seinem Wechsel nach Thesdorf zunächst Kommunist, ab 1928 dann Sozialdemokrat und SPD-Stadtverordneter. Als dieser setzte er sich für die Verbesserung der Lage der Armen ein, war Antimilitarist und Antifaschist. Regelmäßig reparierte er verschlissene Kleidung für Zwangsarbeiter und unterhielt sich mit ihnen, obwohl das streng verboten war. Dafür schickte ihn Ortsgruppenführer Alfred Krömer ins KZ Neuengamme. Bis zur Befreiung im Mai 1945 hielt er entkräftet durch. Und verbrannte schließlich mit 6000 weiteren Ex-Häftlingen auf der Cap Arkona, beschossen von britischen Jagdbombern.

Die Initiative, das Buch über die drei Männer auf der Website www.spurensuche-kreis-pinneberg.de für jedermann zugänglich zu machen, stammt von Dieter Borchardt: „Die Vielfalt der dort erfassten Dokumente, die zahlreichen Bilder und die Recherche der Familiengeschichte der drei Pinneberger Heinrich Geick, Heinrich Boschen und Wilhelm Schmitt haben mich erneut sehr beeindruckt“, sagt er.

Pinneberg: Buch mit aktuellem Vorwort versehen

Mit seiner Digitalisierungsidee habe er beim Autor Dieter Schlichting und der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) offene Türen eingerannt. Im Sommer 2021 hatte er mit den Arbeiten an der Online-Ausgabe begonnen. Der Förderverein Gegen das Vergessen – Spurensuche im Kreis Pinneberg und Umgebung 1933-1945 e.V. hat seine Website für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Borchardt: „Ich wünsche mir sehr, dass das Buch eine breite Verwendung an Pinneberger Schulen und auch in der Öffentlichkeit findet.“

Dazu hat die Ehrenvorsitzende der Vereinigung, Marianne Wilke, ein aktuelles Vorwort geschrieben. In ihren Augen war die damalige Veröffentlichung „ein Meilenstein in der Erforschung der NS-Verfolgung und des Widerstands gegen die Nazidiktatur in Pinneberg“. Das Buch sei damals weit über die Stadtgrenzen hin­aus gelesen worden. Heute sei das Eintreten gegen faschistische Ideologien, Rassismus und Aufrüstung „nötiger denn je“. Für Borchardt ist die Online-Stellung des Buches auch ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Nazi-Stele am Pinneberger Bahnhof.

„Es ist für mich unverständlich, wie ignorant einige verantwortliche Politiker sich den Fakten der Geschichte verweigern. Sie leugnen wider besseres Wissen den nazistischen Charakter der Stele.“ Das geplante Mahnmal sei ein wichtiger Schritt in dieser Auseinandersetzung.

Das Buch „Drei Leben gegen die Diktatur“ ist im Internet unter www.spurensuche-kreis-pinneberg.de/Aktuelles kostenlos zu lesen.