Schenefeld. Er hat drei Kinder und liebt seinen Job. Trotzdem muss der Pinneberger Vater Cüneyt Yildiz vor Gericht um die Tagschicht kämpfen.

Seit zehn Jahren ist Cüneyt Yildiz (42) leidenschaftlicher Busfahrer für die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH). Seine Arbeit macht ihm Spaß. Er gehört zu jenen Busfahrern, die sich rührend um ihre Fahrgäste kümmern, älteren schon mal beim Ein- und Aussteigen behilflich sind.

Doch seit zwei Jahren wird ihm sein Traumjob verleidet. Yildiz liegt im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber, der ihm als alleinerziehenden Vater dreier kleiner Kinder eine familienfreundliche Tagesschicht verwehren will.

VHH akzeptiert Urteil nicht

In mehreren Instanzen hat der Pinneberger Busfahrer zwar vorläufig Recht bekommen und auch in einem Eilverfahren durchsetzen können, dass er eine tägliche Buslinie von 8 bis 16.30 Uhr bedienen kann. Aber die VHH will das nicht akzeptieren und beharrt darauf, dass der Yildiz alle Tag- und Nachtschichten fahren müsse.

Das Jahresende 2019 hat für Yildiz das Leben komplett umgekrempelt. Von heute auf morgen hat ihn seine Frau verlassen, ist in die Türkei gegangen. Nun war der berufstätige Mann plötzlich alleinerziehender Vater von drei damals fünf bis zwölf Jahre alten Kindern, für die ihm das alleinige Sorgerecht übertragen wurde. Wenn er wie bisher von frühmorgens bis spätabends und manchmal auch nachts Bus fahren würde, könnte er seine Kinder nicht zur Schule bringen und im Kindergarten betreut wissen.

VHH: Yildiz würde auf Geld verzichten

Darum beantragte Yildiz bei der VHH, ihn künftig nur von 8 bis 16 Uhr einzusetzen. Dafür sei er auch bereit, seinen Vollzeitjob aufzugeben und in Teilzeit zu gehen. Für ihn würde das bei einem Bruttoverdienst von 2800 Euro ein monatlicher Verlust von rund 110 Euro bedeuten. Aber so könnte er morgens vor der Arbeit seine Kinder in Schule und Kita bringen und sie danach bis 17 Uhr dort wieder abholen.

Sein Arbeitgeber sperrte sich allerdings. Und das, obwohl die VHH zu dieser Zeit im Internet für ihre familienfreundlichen Arbeitszeiten geworben hatte, um vor allem mehr Mütter als Busfahrerinnen zu gewinnen, sagt Verdi-Sekretär Andreas Riedl. Neben Rechtsanwalt Till Ehmke unterstützt Riedl den Busfahrer in diesem Verfahren.

Gewerkschaft stützt Busfahrer

„Wegen seiner Menge an Fahrten und Linien müsste die VHH durchaus in der Lage sein, für diesen Kollegen in seiner Zwangssituation einen Dienst zu schneiden“, der seinen Forderungen auf eine Tagesschicht nachkäme, sagt Riedl. Doch das Unternehmen, das zu 95 Prozent der Stadt Hamburg und zu einigen Prozent auch dem Kreis Pinneberg gehört, wolle „aus grundsätzlichen Erwägungen heraus partout keine Arbeitszeiten zulassen, bei denen Familie und Beruf in Einklang gebracht werden können“, wundert sich der Gewerkschafter.

 Verdi-Gewerkschaftssekretär Andreas Riedl: Bei mehr als 2200 Beschäftigten müsste die VHH in der Lage sein, einem Teil ihrer BusfahrerInnen, insbesondere allerziehenden Vätern und Müttern, familienfreundliche Arbeitszeiten zu ermöglichen. Foto: Fuchs
Verdi-Gewerkschaftssekretär Andreas Riedl: Bei mehr als 2200 Beschäftigten müsste die VHH in der Lage sein, einem Teil ihrer BusfahrerInnen, insbesondere allerziehenden Vätern und Müttern, familienfreundliche Arbeitszeiten zu ermöglichen. Foto: Fuchs © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Vielmehr dränge der Busbetrieb solche Beschäftigten dazu, „das Unternehmen zu verlassen und damit der Allgemeinheit auf der Tasche zu liegen“, kritisiert Riedl. „Auch die sehr spezielle Notsituation dieses alleinerziehenden Vaters lässt die VHH kalt – obwohl sie heuchlerisch mit ihrer Familienfreundlichkeit um Arbeitnehmer buhlte.“ Inzwischen hat die VHH ihr Werbeargument wieder von der Webseite entfernt.

VHH-Sprecherin Christina Sluga will sich auf Nachfrage des Abendblatts nicht konkret zu dem andauernden Rechtsstreit mit dem angestellten Busfahrer Yildiz vor dem Arbeitsgericht äußern. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns darüber hinaus zu einem laufenden Verfahren nicht äußern können.“

Mit rund 1800 Busfahrern und Busfahrerinnen, davon 520 am Standort in Schenefeld, und mehr als 670 Bussen sei die VHH „das zweitgrößte Nahverkehrsunternehmen Norddeutschlands“, teilt sie mit. Die VHH befördere pro Jahr 61,5 Millionen Fahrgäste auf insgesamt 163 Linien in der Metropolregion Hamburg.

VHH verlangt hohen Einsatz und große Flexibilität

„Die Kernaufgabe der VHH ist die Sicherung eines attraktiven öffentlichen Personennahverkehrs in Hamburg und der angrenzenden Region im Bereich Bus.“ Deshalb müsse das Unternehmen dafür sorgen, dass stets ausreichend Busse im Einsatz sind, so Sprecherin Sluga. „Das fordert naturgemäß eine hohe Einsatzbereitschaft und Flexibilität der Mitarbeitenden und schränkt die Möglichkeiten ein, Einsatzzeiten nach den individuellen Wünschen der Mitarbeitenden festzusetzen.“ Wo das aber möglich sei, werde „unter Berücksichtigung der Interessen der Arbeitskollegen und -kolleginnen auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht genommen“, sagt sie.

Für Cüneyt Yildiz scheint das jedoch nicht zu gelten. Vor Gericht macht die VHH geltend, dass sie bei rund 280 Dienstplänen keine reinen Tagesschichten für einige wenige Fahrer möglich machen könnte. Dabei gebe es durchaus etwa 50 ähnliche Fälle bei der VHH, bei denen in Bezug auf die Fahrtzeiten auf alleinerziehende Mütter und Väter Rücksicht genommen werde, berichtet ein ehemals langjähriger Betriebsrat dem Abendblatt auf Nachfrage. Aktuell, das bedeutet seit Anfang März, fahre Yildiz sogar von 8.07 Uhr bis 16.20 Uhr auf einer Buslinie in Blankenese, die nach VHH-Angaben zuvor zwei alleinerziehende Mütter als Busfahrerinnen bedient hätten, sagt Anwalt und Arbeitsrechtler Ehmke.

Doch bis dahin musste Yildiz kämpfen. Er bot seinem Arbeitgeber sogar an, nachts zu fahren. Dann könnte sein Onkel Adil Yildiz in seiner Wohnung bei den Kindern bleiben, wenn diese schliefen. Auch das habe die VHH abgelehnt. In seiner Not wusste der Pinneberger nicht mehr, was er machen soll, und wurde krank. Den ersten Arbeitsgerichtsprozess verliert er. Vor dem Landesarbeitsgericht in Hamburg gewinnt er in zweiter Instanz. Dagegen klagt die VHH vergeblich vor dem Bundesarbeitsgericht, das im August 2021 eine Revision nicht zulässt.

Yildiz darf daraufhin ein paar Wochen im Herbst wie gewünscht eine Tagesschicht-Buslinie bedienen. Doch schon im Dezember beim Fahrplanwechsel sei das plötzlich nicht mehr möglich, so die VHH. Beide Seiten liegen wieder unversöhnlich im Clinch. Im April dieses Jahres gelingt es Yildiz immerhin, in einem Eilverfahren wieder eine Tagesschicht-Tour zu erhalten. Es ist die bereits erwähnte „Bergziegen“-Linie 488 in Blankenese. Doch das Hauptverfahren vor dem Landesarbeitsgericht steht noch an, und zwar in der kommenden Woche.

Landesarbeitsgericht folgt Argumentation des Busfahrers

In einer ersten Entscheidung vom Mai 2021 ist die Kammer des Landesarbeitsgerichts der Argumentation des betroffenen Busfahrers gefolgt. Sie konnte eine wesentliche Beeinträchtigung des Organisationskonzepts nicht erkennen, weil die VHH – wie erwähnt – im September 2020 auf ihrer Internetseite für Neueinstellungen damit geworben hatte, dass sie die zeitlichen Wünsche von Eltern, insbesondere von Alleinerziehenden, flexibel in die Dienstpläne integrieren würde, so das Urteil. Das dürfte nicht nur für Mütter, sondern müsste auch für Väter in derselben Situation gelten, forderte das Gericht.

Zumal es mit Sicherheit auch andere Einschränkungen im Unternehmen geben müsste, indem Busfahrer aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten übernehmen könnten. Mit solchen Beschäftigten müsse die VHH in irgendeiner Weise umgehen können, heißt es in dem Urteil. Dabei werde sie von ihrem Arbeitszeitsystem abweichen müssen, so wie im Streitfall Yildiz. Allem Anschein nach ist sie dazu aber in diesem Fall nicht bereit.

Yildiz sagt: „Ich möchte gar nicht vor Gericht gehen. Ich möchte eine friedliche Lösung.“ Gerade sei er mit seiner Linie „total glücklich“, weil er Beruf und Familie unter einen Hut bekomme. Denn nicht weniger wolle er: Seinem Traumjob als Busfahrer nachgehen und sich genügend um seine Kinder kümmern können. „Und meine Fahrgäste sind auch alle zufrieden mit mir.“