Rellingen. Heimatverein der Gemeinde sucht ein neues Domizil für die beeindruckende Sammlung zur Geschichte des Ortes.

Was Wieland Witt (84) in den 41 Jahren seiner Mitgliedschaft und Vorstandsarbeit im Rellinger Heimatverein zusammengetragen hat, ist wahrhaft beeindruckend und reicht bis tief ins Mittelalter: Im Lagerraum ruht der ausgehöhlte Stamm einer steinharten Eiche, der vor einigen Jahren wegen Neubauarbeiten in Rellingen ausgegraben wurde. Es sind die Überreste eines Brunnens aus dem Jahre 1325, aus dem Witt außerdem einen intakten Krug zu Tage förderte. Wenige Jahre nach Fertigstellung des Brunnens habe in Rellingen in den Jahren 1340 bis 1350 zweimal die Pest gewütet. Die Eiche ist nur ein Beispiel dessen, was der Heimatverein bewahrt. Jetzt sucht er dringend neue Räume.

Rellingen: Heimatverein sucht ein neues Domizil

Mehr als 20 Jahre hatte die Hoteliers-Familie Schlesselmann dem Verein unentgeltlich Räume zur Verfügung gestellt, die sie nun selber braucht: „Der Verein ist der Familie Schlesselmann gegenüber zu Dank verpflichtet, die es durch ihre großzügige zur Verfügungstellung der Räume ermöglichte, den Bestand an Archivalien, als auch die Archivausstattung zum aktuellen Stand auszubauen“, sagt Witt. Inzwischen gebe es sogar ein Findbuch, das durch die Bestände führe, als Buch und digital.

Auch die politischen Fraktionen in Rellingen haben sich inzwischen darüber ausgetauscht, was nun zu tun sei. Es herrscht seltene Einigkeit. „Der Heimatverein ist absolut unterstützenswert und verwahrt wertvolle Unterlagen“, sagt etwa Dieter Beyerle, Chef der Mehrheitsfraktion CDU. „Wir finden gut, dass es im Ort beides gibt: Ein Archiv und einen Verein. So eine ehrenamtlich betriebene Einrichtung finden wir toll. Der Heimatverein braucht mehr Unterstützung von zwei, drei Ehrenamtlichen, die regelmäßig Aufgaben übernehmen.“ Er selbst will dafür werben.

Rellingen: Bürgermeister hofft auf eine „langfristige Lösung“

Ähnlich sieht das SPD-Chef Christian Zimmermann: „Wir haben im Ausschuss beschlossen, dass geholfen werden muss“, sagt er. „Was der Verein zusammengetragen hat, ist sensationell und reicht weit zurück in die Geschichte. Es gibt aussagekräftig Aufschluss darüber, wie Rellingen sich entwickelt hat.“ Auch die Grünen im Ort möchten, dass die Arbeit des Heimatvereins weiter läuft: „Wir sehen die Notwendigkeit, den Verein zu unterstützen, soweit wir das können“, sagt der Fraktionsvorsitzende Achim Diekmann. „Er macht sehr gute Arbeit.“ Es gebe im Ort ein paar Gebäude, die infrage kämen, das bestätigt auch Zimmermann. Dieser verweist auf die leerstehende Post, die aber „zu runtergewirtschaftet“ sei.

Bürgermeister Marc Trampe hofft, „dass wir gemeinsam eine langfristige Lösung finden. Die haben wir noch nicht.“ Die Gemeinde arbeite eng mit dem Verein zusammen, der „richtige Schätze über die Geschichte Rellingens hat“, so Trampe. Positiv wird von der Politik aufgenommen, dass Titus Witt, der Sohn des ersten Vorsitzenden, in die Fußstapfen seines Vaters treten will, vorausgesetzt, der Verein findet ein neues Zuhause: „Ich finde toll, was mein Vater aufgebaut hat. Es wäre schade, wenn das aufgelöst würde, denn es ist eine Art Gedächtnis von Rellingen“, sagt der 52 Jahre alte Opern- und Konzertsänger.

Schon als kleiner Junge war Titus Witt bei den Ausfahrten dabei, die sein Vater für den Verein organisiert hatte, „ich kenne die Arbeit also.“ Durch Corona sei vieles auf der Strecke geblieben, „ich möchte das wiederbeleben.“ Da die Vereinsarbeit zunehmend aus Vorträgen besteht, sollte eine der Bedingungen für ein künftiges Domizil sein, dass der Raum beheizbar sei.

Rellingen: Heimatverein hütet einen echten Schatz

Wie andere Vereine hat auch der Heimatverein viele betagte Mitglieder. Die jüngeren sind rar, obwohl in den vergangenen Jahren viele junge Familien in den Ort gezogen sind. „Ich sehe es als meine Aufgabe, die Rellinger neu dafür zu interessieren“, sagt Titus Witt. Die Frage, was vorher dort gestanden habe, wo jetzt neu gebaut würde, interessiere schließlich viele Rellinger: „Es geht darum, den Bezug zum Ort zu wecken.“

Die Zukunft des Vereins mit seinen 56 Mitgliedern hängt also an seinem künftigen Ort, der mindestens 60 Quadratmeter groß und trocken sein müsste. 50 laufende Meer Ordner wurden über die Jahrzehnte gesammelt und systematisch gegliedert. Der materielle Wert der Bestände ist gering, der ideelle aber nicht hoch genug einzuschätzen.

Wieland Witt weiß, wo er ziehen muss, um Beeindruckendes ans Licht zu holen, etwa eine handgeschriebene Geschichte aus der Zeit der napoleonischen Besetzung, Flurpläne von 1879, Nachschlagewerke zur regionalen Geschichte, die nicht mehr antiquarisch zu kriegen sind, Gemälde, Handwerkerporträts, Glasnegative eines Fotografen, dessen Nachlass die Pastorentochter Ruth Nowara aus dem Müll gerettet hatte.

Rellingen: Geschichte der Gemeinde bewahren

In den Ausstellungsregalen liegen nur Gegenstände aus der Region: zwei entzückend bestickte Pompadour-Beutel, ein bemalter Brautkasten von 1814, in dem die junge Frau ihre Hauben aufbewahrte, zwei Holzschindeln vom Dach der Rellinger Kirche, Bügeleisen, historische Fotos und – Stichwort: Hauben – zwei Hinweise auf die Ahnen der Witts.

„Meine Großmutter war Hutmacherin“, sagt Wieland Witt. Hut Kröger, das hübsche, aber leerstehende Haus an der Ecke Hauptstraße/Hamburger Straße hatte ihr einst gehört. Der Großvater habe es aber verkauft, um das Haus am Stawedder kaufen zu können, wo die Familie Witt noch heute wohnt.

Dieser Großvater habe in Rellingen eine Bohnerwachsfirma besessen. Eine Dose Schuhcreme aus seiner Fabrik namens Stolzin steht hier ebenfalls im Regal. In seiner Freizeit ging dieser Großvater gern zum Singen in den Rellinger Gesangsverein, der viele Jahre nur aus Männern bestand, später aber gemischt wurde. Eine wunderschön bestickte, handgenähte Fahne dieses Vereins mit einem Harfe spielenden Barden in der Mitte, hängt an der Wand. Einen Chor hat Rellingen trotz Corona noch immer. Nicht alle Dinge vergehen.