Kreis Pinneberg. Familien im Kreis finden oft keine Betreuung für die Wochen nach der Geburt. Corona und der Ukrainekrieg bringen neue Herausforderungen.
Eine Geburt zählt zu den intensivsten Erfahrungen, die das Leben zu bieten hat – für Mutter und Kind. Während der physisch wie emotional fordernden Schwangerschaft, Geburt und Zeit im Wochenbett sollen ihnen daher Hebammen zur Beratung und Betreuung beistehen. Doch es wird immer schwieriger, Geburtshelferinnen für die Vor- und Nachsorge zu finden. Bei einer Gesprächsrunde in der Familienbildungsstätte Elmshorn der gemeinnützigen Perspektive GmbH haben unterschiedliche Expertinnen die Problemlagen des Hebammenberufs genauer unter die Lupe genommen.
Einberufen hat das Treffen Beate Raudies. Sie sitzt für die SPD im Landtag und gibt zu: „Es ist mir peinlich, dass wir uns in den letzten Jahren so wenig um das Thema Hebammen gekümmert haben.“ Anlass für die Zusammenkunft ist ein von der Landtagsfraktion der SPD und der Abgeordneten des SSW erstellter Antrag zur Stärkung der Geburtshilfe. Er ist wiederum als Antwort auf den offenen Hilferuf des Hebammenverbands in Schleswig-Holstein zu verstehen. Die Situation sei nämlich besorgniserregend, die Schließungen von immer mehr Geburtsstationen – zuletzt im Kreis Rendsburg-Eckernförde – kaum mehr hinnehmbar.
Auch im Kreis Pinneberg gibt es lediglich eine Geburtsstation und nur ein geringes Kinderheilkunde-Angebot, und zwar in Pinneberg selbst. „Es ist eine echte Hürde für viele Schwangere, dass sie zur Geburt nach Pinneberg müssen“, so Raudies beim Termin in Elmshorn. „Gerade was Hausgeburten angeht, ist ein Krankenhaus in der Nähe wichtig. Da zählt jede Minute“, sagt auch Maria Wassermann aus der Familienbildungsstätte.
Etwa 40 Euro gibt es für den 45-minütigen Hausbesuch
Während einer Geburt gilt die sogenannte Hinzuziehungspflicht einer Hebamme. In diesem Moment kann in der Regel jede Frau auf ihren Beistand hoffen. Was die Vor- und Nachsorge anbetrifft, finden aber längst nicht alle Mütter eine Hebamme. Dafür üben nicht mehr genug Menschen diesen Beruf aus. Denn: „Davon satt werden kannst du nicht“, sagt Beatrix Grünwald, Einrichtungsleiterin der Familienbildungsstätte. Rund 40 Euro verdient eine Hebamme etwa bei einem 45-minütigen Hausbesuch. Doch der umfasst zuweilen einige Fahrzeit, selbstständige Hebammen zahlen zudem extrem hohe Versicherungsprämien.
Unter dem Strich blieben ihnen im Extremfall nur zehn Euro je Hausbesuch, berichtet Grünwald. Wegen einer nur geringen Vergütung ist der so wesentliche Beruf kaum noch attraktiv, ein Nachwuchsmangel steht ins Haus. Das wäre fatal, denn „Mutterschutz ist kein ,Nice to have’, sondern eine Notwendigkeit”, wie Raudies neudeutsch formuliert.
In besonderem Maße gefordert waren Hebammen auch während der Coronapandemie. Schließlich mussten schwangere Frauen aufgrund der Schutzmaßnahmen allein, ohne Partner, im Kreißsaal gebären. Die Unterstützung durch die Hebammen war also unentbehrlich. „Die Männer durften oft erst kurz vor der Geburt dazukommen, und auch danach konnten sie ihre Frauen nur eine Stunde am Tag besuchen“, legt Wassermann von der Familienbildungsstätte die Situation dar. Außerdem weist sie darauf hin, dass Hebammen unter die einrichtungsbezogene Impfpflicht fallen, die seit dem 18. März in Kraft ist. Die ohnehin schon geringe Anzahl der Geburtshelferinnen könnte sich nach Abschluss der Prüfverfahren bezüglich der Impfpflicht noch vermindern.
Ukrainisch sprechende Hebammen werden gesucht
An den Hebammen geht keine Krise vorbei: „Die Ukrainerinnen werden demnächst ein brisantes Thema“, mutmaßt nämlich Grünwald. Denn natürlich sind auch Schwangere unter den nach Deutschland Flüchtenden – und ebenso Hebammen. „Hier wird die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse eine wichtige Rolle spielen“, sagt die Landtagsabgeordnete Raudies. Da Sprachbarrieren bei einer so intimen wie sensiblen Tätigkeit nicht zu unterschätzen seien, werde es Bedarf an ukrainisch sprechenden Hebammen geben. Das Thema ist für die Familienbildungsstätte nicht neu: „Die hohe Sprachbarriere wird gar nicht aufgefangen“, beschreibt Leiterin Grünwald den Ist-Zustand hinsichtlich der schwangeren Frauen, die in den vergangenen Jahren vor allem aus dem Nahen Osten kamen. Umso wichtiger ist es also, dass Nasrin Aminiannia eine Interkulturelle Hebammenberatung in der Familienbildungsstätte anbietet. Die Hebamme betreut jeden Freitag von 10 bis 12 Uhr kostenlos Schwangere und Frauen mit Kindern in einem Alter von bis zu anderthalb Jahren auf Deutsch, Farsi und Englisch. „Da gibt es natürlich einen großen Zulauf von Frauen mit Migrationshintergrund“, sagt Wassermann.
Allein bis März dieses Jahres haben außerdem bereits 47 Familien das Hebammen-Café in der Familienbildungsstätte besucht. „Das hat immer dienstags von 9 bis 11 Uhr geöffnet. Derzeit muss man seinen Besuch wegen der Pandemielage noch anmelden. Ansonsten ist es offen für alle Schwangeren und Frauen mit Kindern bis anderthalb Jahre“, erklärt Wassermann. Im Hebammencafé gehe es darum, dass Frauen ihre Fragen rund um Kind und Schwangerschaft klären und mit den Hebammen in den Austausch treten können. „Für viele ist es auch einfach mal wichtig, von anderen Müttern zu hören, dass es ihnen in bestimmten Punkten genauso geht“, sagt Wassermann. Gerade für all jene Frauen, die keine Hebamme zur Vor- oder Nachsorge finden, biete das Café eine Unterstützung. Auch für dieses Angebot kann ein Dolmetscher angefragt werden.
Akademisierung des Berufes wird verhalten aufgenommen
Seit 2020 gibt es ein neues Hebammengesetz. Darin ist unter anderem festgehalten, dass die Hebammenausbildung in Zukunft vollakademisiert wird, also nur noch qua Studium stattfindet. Bereits seit 2019 werden an der Schleswig-Holsteinischen Hebammenschule keine neuen Geburtshelferinnen ausgebildet. Mittlerweile stehen insgesamt 35 entsprechende duale Studienplätze zur Verfügung.
Die Akademisierung des Berufes stößt bei Grünwald und Wassermann nicht gerade auf Zustimmung. Einerseits haben sie die Befürchtung, dass jetzige Hebammen, die ihre Berufsausbildung auf traditionellem Wege durchlaufen haben, in Zukunft hintangestellt werden – beispielsweise hinsichtlich der Vergütung ihrer Arbeit. Andererseits ist sich Grünwald unsicher, inwiefern der Hebammenberuf akademisch vermittelt werden kann. „Unterm Strich ist es ein Handwerk“, sagt sie. Im Hinblick auf den Mangel an Hebammen wirkt der Schritt ebenfalls unangebracht. Denn mit der Akademisierung steht die Berufsausbildung grundsätzlich nur noch jenen offen, die ein Abitur oder eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung haben.