Helgoland . Er war Pionier der Fotografie, Genie der Dunkelkammer und setzte die Insel in Szene. Nun sind seine fantastischen Aufnahmen zu sehen
Im Auge des Sturms ließ sich Franz Schensky hinausrudern, um die perfekte Welle abzulichten. Den Fischer hatte er zuvor betrunken gemacht, um ihn zu dieser waghalsigen Unternehmung zu überreden. Bewaffnet mit seiner mehrere Kilogramm schweren Plattenkamera, wollte er das Wilde der See im Foto einfangen.
Ein Schuss, dann musste er die belichtete Glasplatte auswechseln. Kein Tropfen durfte darauf fallen. Seekrank lag Schensky auf dem Boden des Ruderbootes, die Kamera unter dem Mantel geschützt, in Angst, dass die Gischt sein Negativ zerstören würde. „Ruhiges Wetter hat ihn nicht interessiert“, sagt Jörg Andres, Leiter des Museums Helgoland. Unter Lebensgefahr gelangen ihm spektakuläre Aufnahmen.
Franz Schenskys Erbe ist im Museum Helgoland verwahrt
Seit Schenskys Erben verstorben sind, verwahrt das Museum Helgoland seinen fotografischen Schatz. Darunter 1400 verschollen geglaubte originale Bildplatten, auf die man 2003 in einem Helgoländer Keller stieß. Schenskys Töchter Lotti und Maria hatten die Platten einer Freundin vermacht, dann gerieten sie in Vergessenheit. Sie wurden mit großem finanziellen Aufwand von einem professionellen Fotofachlabor von Schmutz und Bakterien befreit, restauriert und so für die Öffentlichkeit wieder sichtbar gemacht.
„Von den 24 mal 24 Zentimeter großen Plattenformaten lassen sich heute gestochen scharfe Abzüge machen“, sagt Andres. Eine derartig unglaubliche Tiefenschärfe sei mit einer Digitalkamera heutzutage kaum hinzubekommen. 53 Fotografien aus den Jahren 1890 bis 1950 – neben weiteren Leihgaben – hat das Museum nun dem Industriemuseum Elmshorn für seine Sonderausstellung „Mythos Helgoland“ geliehen, die am Sonntag eröffnet wird.
Franz Schensky gewann für seine Fotos mehr als 50 Goldmedaillen
„Das musste alles durch den Zoll“, sagt Bärbel Böhnke, Leiterin des Industriemuseums Elmshorn. „Wir brauchten sogar eine Sondergenehmigung, weil man nur für ein halbes Jahr ausführen darf, die Ausstellung aber bis zum 2. Oktober geht.“ In der Ausstellung wird unter anderem auch der Film „Der Mann in der Brandung“ von Wilhelm Rösler über Schenskys Leben gezeigt.
Schensky, geboren 1871 auf Helgoland als unehelicher Sohn des letzten britischen Gouverneurs der Insel, Sir Henry Berkeley Fitzhardinge Maxse, zählt zu den herausragenden Lichtbildner des vergangenen Jahrhunderts. Ein fotografischer Visionär, dessen Arbeit zu Lebzeiten mit mehr als fünfzig Goldmedaillen ausgezeichnet wurde, wie Jörg Andres weiß.
Schensky lichtete den Kaiser und Hans Albers ab
Die anspruchsvolle Gesellschaft der Deutschen Lichtbildner verlieh ihm die Ehrenmitgliedschaft und zum 85. Geburtstag den Ehrenring. Als er im Krankenhaus davon erfuhr, fragte er: „Habe ich das verdient, ich muss doch noch soviel tun.“ Er galt als bescheidener Mann. Sein Qualitätsanspruch an sich war immens. „Er hat einmal gesagt, wenn ihm nur ein gutes Bild pro Jahr gelänge, sei er ein glücklicher Mensch“, sagt Jörg Andres. Geschossen hat er Tausende Helgoland-Fotos in seinem Leben.
In der frühen Schaffenszeit inszenierte der Hoffotograf der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar seine Fotos wie Gemälde. In den 30er-Jahren reiste man sogar auf die Insel, um sich von Schensky fotografieren zu lassen. Persönlichkeiten wie die Söhne Bismarcks, die Schauspieler Joseph Kainz und Hans Albers, der preußische Kultusminister Hermann Sudermann und sogar Kaiser Wilhelm II. ließen sich vor einer Helgoländer Kulisse auf Leinwand oder im Börteboot ablichten oder ein Porträt in Auftrag geben. Doch reichte Schensky diese Kompositionsfotografie bald nicht mehr. Ihn zog das Unvorhersehbare in seinen Bann. Seevögel oder Wellen und Wolken einzufangen, setzten langen Atem und stoisches Warten voraus.
Am 7. Januar 1957, starb Franz Schensky völlig verarmt in Schleswig, wo er nach der Evakuierung der Insel bei seiner Tochter untergekommen war. „Es war ihm nicht mehr vergönnt, nach der Evakuierung 1952 dauerhaft nach Helgoland zurückzukehren“, sagt Jörg Andres. Sein Haus wurde nicht mehr rechtzeitig fertiggestellt. Allerdings besuchte er die Insel bis zu seinem Tod noch mehrere Male. Begraben wurde er jedoch auf seiner Insel auf dem Oberland.
Franz Schensky zählt zu den zu den Pionieren der Fotografie
„Seine außergewöhnliche Technik und innovative Laborarbeit sowie sein einzigartiges Bildempfinden schufen einen Mythos“, sagt Andres. Schensky gehört zu den international bedeutenden Schwarz-Weiß-Fotografen und zu den Pionieren seiner Zeit. „Er hat sehr viel für die Fotografie getan“, so der Museumsleiter. Technisch experimentierte er viel. So gelangen ihm im Aquarium die weltweit ersten Unterwasserfotos. „Bis dahin hatte man in entsprechenden Biologiebüchern auf Zeichnungen von Studenten zurückgreifen müssen.“
Schenskys Fotos machten Helgoland weltberühmt. Er dokumentierte die Inselgeschichte von der Übergabefeier der Insel von England an das deutsche Kaiserreich (1890) bis hin zu den Fotos vom bombenzerpflügten Oberland durch britische und amerikanische Fliegerangriffe im Zweiten Weltkrieg und dem beginnenden Wiederaufbau Helgolands, nach der Rückgabe der Insel durch die Briten 1952.
Schensky wollte ein Helgoland unter britischer Flagge
Die Bilder sind auch geprägt, von der Sehnsucht, nach Helgoland zurückzukehren und der Angst, seine Heimat zu verlieren. Als die Helgoländer nach Ende des Ersten Weltkriegs zurückdurften, fanden sie ihre Häuser zerstört und geplündert von deutschen Soldaten. Entsetzt machte sich Schensky für eine Rückkehr zu Großbritannien stark, wie Historiker Jan Rüger in seinem Buch „Helgoland. Deutschland, England und ein Felsen in der Nordsee“ schreibt. Helgoland blieb deutsch und wurde bald von den Nationalsozialisten vereinnahmt.
Mit dem Ausbau der Insel zur Kriegsfestung wurde 1938 ein Fotografierverbot verhängt. Das hält Schensky nicht davon ab, das Inferno festzuhalten, das britische Brandbomben am 15. Oktober 1944 auf Helgoland anrichteten. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Briten das Eiland als Übungsplatz für ihre Bombenabwürfe benutzten, kehrte Schensky mit Ausnahmegenehmigungen zurück und dokumentierte die Trümmer.
Industriemuseum Elmshorn zeigt bis Oktober Schenskys Fotos
Die Sonderausstellung „Mythos Helgoland“ im Industriemuseum Elmshorn, Catharinenstraße 1, zeigt vom 3. April bis 2. Oktober Helgolandaufnahmen des Inselfotografen Franz Schensky aus der Zeit 1890 bis 1952, in denen die einzigartige Geschichte der Insel festgehalten ist.
Zudem geht die Ausstellung in vier angedeuteten Hummerbuden den Besonderheiten der roten Insel nach. Die erste thematisiert das Seebad und zeigt Souvenirs von Helgoland, Bademode und Strandfunde. In einer anderen geht es um die Zerstörung und die Trümmerräumung mit Zeitzeugenberichten. In der dritten Hummerbude steht der Wiederaufbau im Fokus. In der vierten Bude steht das kulinarische Helgoland mit Austern, Knieper und Hummer im Vordergrund.
Rainer Münchow, pensionierter Kunstlehrer der Erich Kästner Gemeinschaftsschule Elmshorn, hat einen Stempel mit „Mythos Helgoland“ entworfen und stellt Postkarten von Helgoland zur Verfügung, die aus dem Nachlass seiner Eltern stammen, die einen Kiosk auf Helgoland hatten. Besucher können sich eine Karte abstempeln lassen.
Die Ausstellung wird in Kooperation mit dem Museum Helgoland gezeigt. Die Ausstellung ist Teil der Veranstaltungsreihe „Helgoländer Geschichte(n) – eine Insel im Wandel 2022“ des Heimatverbands für den Kreis Pinneberg 1961 e.V. und der Integrierten Station Unterelbe „Elbmarschenhaus“ in Haseldorf. Das Industriemuseum ist Dienstag bis Freitag 14 bis 17 Uhr, Sonnabend 14 bis 17 Uhr, Sonntag 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 4 Euro und ist für Kinder frei.