Kreis Pinneberg. Massive Autolawinen gefährden zunehmend die Sicherheit vor den Schulen. Ein neues Projekt im Kreis Pinneberg soll Abhilfe schaffen.

Vor so mancher Kindertagesstätte und Schule sind morgens Szenen zu beobachten, wie sie sich auch im Eingangsbereich eines Nobelhotels abspielen könnten: Beinahe im Sekundentakt halten Chauffeurinnen und Chauffeure vor der Tür, aus dem Auto springen kleine Passagiere. Gepäckstücke wie Ranzen und Sporttaschen werden ihnen aus dem Kofferraum gereicht. Dann geht und fährt jeder seines Weges: Der eine in die Schule, der andere zur Arbeit oder nach Hause. Als „Elterntaxi” werden die Autos betitelt, mit denen viele Kinder jeden Morgen zur Schule oder Kita gelangen – und die im Verkehr zunehmend zum Problem werden.

Schule Pinneberg: Stau wegen Elterntaxis

Weil sich die Menge der Elterntaxis stark erhöht hat, entstehen regelmäßig Staus vor den Bildungseinrichtungen. Das Nachbarschaftsforum Südholstein/Hamburg möchte das jetzt ändern, und Pilotregion ist der Kreis Pinneberg. Unter seiner Federführung beginnt nun ein zweieinhalb Jahre dauerndes Projekt, das die Verkehrswende vor Schulen und Kitas zum Ziel hat.

Während in den 70er-Jahren noch 90 Prozent der Schulwege zu Fuß zurückgelegt wurden, gehen heute nur noch rund 40 Prozent der Schüler per pedes. Immer mehr Kinder fahren stattdessen im Elterntaxi, aus unterschiedlichen Gründen. Einer davon mag der oftmals mangelhafte öffentliche Nahverkehr, insbesondere abseits von Großstädten sein.

„Fakt ist auch, dass die deutsche Verkehrsinfrastruktur vielfach nicht kindgerecht ist“, sagt Frederik Meißner aus dem schleswig-holsteinischen Büro des Verkehrsclub Deutschland (VDC) Nord. Trotzdem gelte es, die Zahl der Elterntaxis zu reduzieren – denn auch sie machen den Straßenverkehr unsicher. „Wir haben eine schöne Postkarte beim VCD“, sagt er. „Da steht sinngemäß drauf: ,Eltern fahren ihre Kinder mit dem Auto zur Schule, weil sie Angst haben, dass Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren, ihre Kinder gefährden.’“

Elterntaxis: Eigene Mobilität macht die Kleinsten selbstständiger

Auch Anwohner fühlen sich von den Autolawinen vor den Schulen belästigt. Und: Eltertaxis beeinträchtigen den Busverkehr. „Weil immer mehr Eltern ihre Kinder zur Schule bringen, ist außerdem die selbstständige Mobilität rückläufig“, sagt Katja Wohlers, Sprecherin des Kreises. Dabei stärke genau die das Selbstbewusstsein der Kinder, zumal sich auf dem Schulweg hervorragend soziale Kontakte knüpfen ließen. „Am Ende ist es für Kinder ein Stück Selbstständigkeit, das sie sich erobern”, so Wohlers.

Frederik Meißner vom VCD drückt es so aus: „Sie erschließen Räume für sich, in denen sie sonst gar nicht stattfinden würden.” Dabei gehe es um so einfache Dinge wie den Besuch der Eisdiele. Mobile Kinder könnten das allein mit Freunden statt mit Eltern erleben. Da schmecke die eigenständig erworbene Kugel Stracciatella gleich doppelt so gut.

Es gebe also genügend Gründe, die Masse an Elterntaxis zu reduzieren. Ein Projekt dafür ist im Kreis Pinneberg gerade gestartet und soll bis zum Sommer 2024 laufen. Es versteht sich als eines von insgesamt vier sogenannten Reallaboren im Leitprojekt „Mobilitätsmanagement“ der Metropolregion Hamburg und wird zum größten Teil aus Mitteln der Metropolregion finanziert.

Neues Projekt soll helfen

Ziel des Projekts sei es, Verkehrsprobleme zu lösen. Weiterhin gehe es um die Mobilitätserziehung von Kindern, die Sensibilisierung von Eltern und Lehrkräften für das Thema sowie die Erprobung und Umsetzung von Maßnahmen. Im ersten Schritt soll eine Online-Befragung der rund 200 Schulen sowie Kindertagesstätten der Projektregion Pinneberg den Ist-Zustand hinsichtlich der Elterntaxis erfassen.

Die Studienteilnehmer sollen dabei die eigene Verkehrssituation im Schulumfeld beschreiben und bewerten. Im Sommer ist eine Präsentation und Diskussion der Ergebnisse mit Schulträgern und -behörden, Lehrern, Schülern und Eltern sowie ÖPNV-Trägern, Unternehmen des Nahverkehrs, Verkehrsverbänden und der Polizei geplant. „Wir wollen wissen: Welche Voraussetzungen helfen dabei, dass nicht mehr zum Elterntaxi gegriffen wird”, sagt Wohlers.

Welche Maßnahmen dann ergriffen werden sollen, steht noch nicht fest. Sie richten sich nach den Ergebnissen der Umfragen und weiteren Analysen zum jeweiligen Standort. „Andere Projekte ähnlicher Art ergeben in der Regel einen Mix aus verkehrstechnischen Maßnahmen, baulichen Maßnahmen und verkehrsrechtlichen Anordnungen, ergänzt durch verkehrspädagogische Projekte, Anreiz-Programme oder auch die Einrichtung von Hol- und Bringzonen”, berichtet Kreissprecherin Wohlers.

Fahr- und Schulgemeinschaften bieten sich an

Wer seinen Chauffeurposten schon jetzt aufgeben möchte, hat dazu aber natürlich die Möglichkeit. „Wenn Kinder mit dem Auto gebracht werden müssen, bieten sich Fahrgemeinschaften an“, schlägt Meißner vom VCD vor. „Der nächste Schritt sind Schulweggemeinschaften. Wenn Eltern Sorge haben, ihr Kind allein loszuschicken, kann es mit anderen Kindern gemeinsam im öffentlichen Nahverkehr oder mit dem Fahrrad fahren – oder zur Schule laufen.“

Rainer Pregla, Sprecher beim ADAC, rät dazu, den Schulweg mit den Kindern zu üben. Eltern sollten Wert darauf legen, ihnen das Meistern schwieriger Verkehrssituationen beizubringen: „Wie stehe ich an einer Haltestelle? Wie verhalte ich mich im Bus? Wie überquere ich eine Straße? Wenn wir den Kleinsten solche Sachen beibringen, machen wir sie zu sicheren Verkehrsteilnehmern.”

Nicht zuletzt böten viele Grundschulen Verkehrserziehungsprogramme an, oft in Kooperation mit dem ADAC. „Allein in Schleswig-Holstein nehmen wir jedes Jahr von 20.000 Kids die Fahrradprüfung ab”, sagt Pregla. Und einen Hinweis für all jene, bei denen die Fahrt im Elterntaxi unumgänglich ist, hat er auch: „Wenn ich schon mit dem Elterntaxi vorfahre, dann sollte ich mich bitte an die Verkehrsregeln halten, und nicht in der morgendlichen Hektik vorpreschen. Wildes Rumparken gefährdet leider oft Fußgänger – und das sind in dem Fall vor allem Kinder.”