Helgoland. Einzigartige Tierwelt, tolle Landschaft: Das ist das Geheimnis von Deutschlands einziger Hochseeinsel.
Bei den „Ornis“ gehört Helgoland zu den ersten Adressen im Reisekalender. „Ornis“, abgleitet vom Begriff Ornithologen, begeistern sich für die Vogelwelt und nehmen als Hobby-Vogelkundler und -beobachter oftmals lange Anfahrtswege auf sich. „Unsere aktuellen Reisen nach Helgoland im Frühjahr und im Herbst sind komplett ausgebucht“, sagt beispielsweise Alina Schneider, Mitarbeiterin des süddeutschen Reiseanbieters Birdingtours. Vogelfreunde mit und ohne Kamera nutzen dabei mehrere Tage lang die Gelegenheit, unter fachkundiger Führung den Treffpunkt Zehntausender von Vögeln mitten in der Deutschen Bucht kennenzulernen.
Für Vogelbeobachter ist Helgoland ein wahrer Glücksfall. Deutschlands einzige Hochseeinsel ist gleichermaßen Brutstätte und Ruheplatz für die Tiere. Dort nisten Seevögel, die sich sonst nur in Skandinavien oder Großbritannien finden lassen: Trottellumme, Tordalk, Eissturmvogel, Basstölpel und Dreizehenmöwe. Eine wohlverdiente Rast machen die „Durchreisenden“: Auf dem roten Felsen lassen sich Tausende von Zugvögeln nieder, die dort auf ihrer Route zwischen Skandinavien und Südeuropa Kraft schöpfen und Nahrung aufnehmen.
In den Jahren 2014 bis 2019 flog ein Albatros die Insel an
Ab und an taucht auch mal ein seltener Besucher auf. Der Albatros etwa, der in den Jahren 2014 bis 2019 mehrfach Helgoland anflog und damit Hobby-Vogelkundler und hauptberufliche Ornithologen gleichermaßen in Verzückung versetzte. Denn der imposante Gast – genauer gesagt handelte es sich um einen Schwarzbrauenalbatros – mit seiner Spannweite von 2,40 Metern ist normalerweise nur auf der Südhalbkugel der Erde unterwegs. Er führt ein „Life On Wings“ und segelt zum Teil wochenlang ohne Pause über das Meer, kann dank ausgefeilter Gleitflugtechnik auch mal Etappen von 15.000 Kilometern ohne einen einzigen Zwischenstopp zurücklegen.
In den vergangenen zwei Jahren ließ sich der antarktische Stargast nicht über dem roten Felsen blicken, wurde jedoch über Sylt gesichtet. Offenbar fühlt er sich im Nordseeraum recht heimisch. Jochen Dierschke, der Leiter der Vogelwarte Helgoland, kann sich daher gut vorstellen, dass der exotische Besucher Helgoland noch einmal ansteuert. Die Kameras mit den langen Teleobjektiven dürften auf jeden Fall „schussbereit“ sein.
Der promovierte Biologe gehört auch der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Helgoland (OAG) an, die auf ihrer Homepage verdeutlicht, zu welcher Jahreszeit sich welche Vogelarten am besten auf Helgoland beobachten lassen. Denn während bei den Brutvögeln und Überwinterern ziemlich sicher ist, wann sie zu den jeweiligen Jahreszeiten angetroffen werden können, ist das bei den „Durchreisenden“ anders. Bei ihnen hat die jeweilige Wetterlage einen großen Einfluss darauf, wann sie erscheinen. Auch der Klimawandel spiele eine immer größere Rolle, so Jochen Dierschke, und beeinflusse die Zugzeiten, die sich mitunter sogar um Wochen verschieben können.
Basstölpel sind bis Mitte Oktober anzutreffen
Der Frühjahrszug beginnt meist in den ersten warmen Tagen im März, „wobei vor allem Amseln und Feldlerchen gut zu beobachten sind“, heißt es weiter. Um die Monatswende März/April bis in den Mai folgen Trauerenten, Waldschnepfen und Zilpzalpe über Wiesenpieper, Rotkehlchen und Singdrossel bis zu Steinschmätzer und Dorngrasmücke. Wenn dann Mitte Juni der Frühjahrszug abgeschlossen ist, haben sich viele weitere Fluggäste von Teich- und Sumpfrohrsänger und Gelbspötter bis zum Grauschnäpper sehen lassen.
Eine besondere Attraktion bietet im Sommer der sogenannte Lummensprung, wenn sich von Anfang Juni bis Anfang Juli die Küken der Trottellummen in der Dämmerung vom Lummenfelsen rund 40 Meter tief ins Meerwasser stürzen. Dort werden sie von einem Elterntier in Empfang genommen. Manche Küken schaffen es nicht ins Meer und landen unbeschadet auf dem Felsen – wo ihnen dann von Mitarbeitern und Helfern der Vogelwarte und des Vereins Jordsand geholfen wird, den Weg ins Meer zu finden.
Nach diesem spektakulären Ende der Elternzeit nimmt die Zahl der im Lummenfelsen sitzenden Trottelllummen und Tordalken schnell ab. Eissturmvogel und Dreizehenmöwen sind noch bis in den August hinein anzutreffen, Basstölpel sogar noch bis Mitte Oktober.
Im Herbst wird die Insel wieder zum Magneten für die Zugvögel. Zu hohen Beständen von Fitis, Trauerschnäpper und Gartengrasmücke kommen in guten Zugnächten laut OAG „spektakuläre Mengen von Watvögeln“, die die Insel lautstark überqueren. Raubmöwen und mit Glück auch Sturmtaucher kommen in Sturmnächten vorbei, ab Ende September melden sich Buchfink, Bergfink, verschiedene Drosseln und Wiesenpieper an.
Der Oktober ist traditionell der Monat, in dem die meisten Vogelbeobachter Helgoland besuchen. Dann kommen zu den bereits erwähnten „Durchreisenden“ noch Arten vom Waldpieper über den Gelbbrauen-Laubsänger bis zur Zwergammer. Im Herbst schließen die Amseln meist das Zuggeschehen ab. Auch im Winter gibt es noch einiges zu sehen rund um den roten Felsen. Einige Arten lassen sich vor allem an den Stränden und Molen beobachten, etwa Meerstrandläufer, Steinwälzer und Strandpieper.
Insgesamt verzeichnet die OAG bislang die Beobachtung von mehr als 430 Vogelarten auf Helgoland, darunter auch Exoten wie der in Ostasien beheimatete Middendorf-Laubsänger, der Tausende von Flugkilometern zurücklegen musste, bevor es ihn nach Helgoland verschlagen hat – zur Freude der „Ornis“, die den seltenen Gast nicht aus den Augen und Teleobjektiven ließen.