Kreis Pinneberg. Der Kreis Pinneberg ist außergewöhnlich im Norden: Immer mehr junge Menschen leben in der Region. Was den Kreis so attraktiv macht.
Der Kreis Pinneberg ist außergewöhnlich – vor allem, wenn man ihn mit anderen Regionen in Schleswig-Holstein vergleicht. Hier gibt es nicht nur besonders viele Menschen, sondern es werden – laut einer Vorausberechnung – auch immer mehr.
Kreis Pinneberg: Anteil junger Leute an Bevölkerung wächst
Der Kreis Pinneberg ist auch einer von nur zwei Kreisen (der andere ist Stormarn) im nördlichsten Bundesland, dem ein Wachstum der jüngeren Bevölkerung vorausgesagt wird. Und tatsächlich: In den vergangenen zehn Jahren zogen stets mehr Menschen zwischen 20 und 29 in die Region als aus ihr weg. Inzwischen leben mehr als 30.000 Menschen dieser Altersspanne in der Region. Das liegt nicht nur an der Nähe zu Hamburg, wie Lena Halle und Victoria Kuczka erzählen. Die beiden jungen Frauen leben gern im Kreis Pinneberg – allen Klischees zum Trotz.
Lena Halle ist 26 Jahre alt. Sie ist in Pinneberg geboren, aufgewachsen – und geblieben: „Ich fühle mich hier zu Hause, einfach angekommen.“ Lena Halle lebt direkt in der Innenstadt, über ihrem Sofa hängen Bilder von Freunden, Familie und Urlauben. Auf einem Regal steht ein Lego-Feuerwehrauto. Das alles hält die junge Frau mit blonden Haaren in Pinneberg: Familie, Freunde, Feuerwehr.
Kreis Pinneberg: Leistungsdruck und Weltreisen
Dabei schrumpft ihre Clique nach dem Abitur 2015. Ihre Freunde ziehen aus. Sie packen Kartons in Autos, um zum Studieren nach Bremen, Osnabrück oder München zu ziehen. Sie hieven Rucksäcke auf ihre Rücken, um durch Thailand oder Australien zu reisen. Aber Lena Halle will am großen Aufbruch nicht teilnehmen. Sie bleibt erst einmal in ihrem Kinderzimmer: „Ich glaube, dass unsere Generation von einem enormen Leistungsdruck geprägt ist. In den Köpfen schwirren Ideale rum: Selbst wenn man in einer Großstadt aufwächst, sollte man wegziehen. Man soll ins Ausland gehen, in der Regelzeit studieren, den Partner für das Leben finden und zehn Jahre Berufserfahrung anhäufen. Alles, bevor man überhaupt in das Arbeitsleben einsteigt.“
Damals muss Lena Halle ihr Bleiben rechtfertigen: „Ständig hieß es, warum ich nicht studieren wolle, wozu ich Abi gemacht hätte.“ Alles, was Halle will ist: „Nicht mehr lernen, sondern etwas in die Hand nehmen.“ Sie muss nur zwei Bewerbungen schreiben, um einen Ausbildungsplatz zu finden, und wird 2015 Fluggerätetechnikerin bei Airbus.
Kreis Pinneberg: Engagement in der Kommunalpolitik
Ganz anders war es bei Victoria Kuczka. Die 25-Jährige mit roten Haaren und Brille wuchs in Halstenbek auf, ging aber in Hamburg zur Schule. „Ich fühlte mich immer als Hamburgerin. Halstenbek war für mich nur eine S-Bahn-Station.“ Trotzdem lebt sie mit ihrem Freund immer noch dort. Denn kurz vor ihrem 19. Geburtstag wird Halstenbek für sie zur Heimat.
„Mein Großvater beschwerte sich damals ständig über alles. Ich warf ihm an den Kopf, er solle aufhören, sich zu beschweren und anfangen, etwas zu tun.“ Das Problem: Auch Kuczka beschwert sich gern. „Deswegen musste ich selbst tätig werden.“ Die damals 18-Jährige tritt in die SPD ein – und zwar in den Ortsverband Halstenbek. „Bei der Kommunalpolitik ist man an den Ort gebunden. Damals schob sich ein Riegel vor Hamburg.“ Mit 19 Jahren diskutiert sie im Ortsverband mit, grübelt im Umweltausschuss über Knickgehölze, die an Wegesrändern wachsen und fängt an, die Gemeinde mit anderen Augen zu sehen: „Plötzlich merkte ich, was wir alles zu bieten haben: Sportvereine, Museen, Theater. Plötzlich wusste ich, was in den Gebäuden ist, die ich vorher gar nicht wahrnahm. Plötzlich war Halstenbek eine eigenständige Gemeinde.“
2016 macht sie ihr Abitur und entscheidet sich erst einmal zu bleiben. Obwohl ihre Genossen deutlich älter sind: „Der Altersdurchschnitt in der Kommunalpolitik ist hoch. Man braucht viel Zeit, die haben vor allem Rentner. Zu Beginn musste ich mir viele Fragen anhören. Da hatte ich den Eindruck, es sei am besten, ich komme wieder, wenn ich Kinder habe und immer noch in Halstenbek wohne.“ Doch das motiviert sie nur, sie sagt sich: „Jetzt erst recht. Ich bleib da, ich nerve.“
Kreis Pinneberg: Kuczka wird 2018 jüngstes Mitglied im Kreistag
2017 stellt die SPD ihre Liste für die Kommunalwahl im nächsten Jahr zusammen. Kuczka wird gefragt, ob sie kandidieren will, ob sie auch für die nächsten Jahre in Halstenbek bleiben will. Kuczka will. In die Gemeindevertretung schafft sie es nicht. Dafür wird auf Kreisebene ein Listenplatz frei. Wieder wird er Kuczka angeboten, eine Frau und noch dazu eine junge, die will man eben halten. Und Kuczka will gehalten werden. „Ich hatte mich endlich in die Themen eingearbeitet, konnte endlich mitreden. Die Kreisebene war der nächste logische Schritt.“ 2018 wird Kuczka das jüngste Mitglied im Kreistag Pinneberg.
Lena Halle fährt seit 2015 täglich nach Hamburg-Finkenwerder. „Von Tür zu Tür brauche ich maximal eine Stunde.“ Auch das Pendeln ist für sie kein Grund, in die Großstadt zu ziehen: „Kollegen, die in der Stadt wohnen, brauchen oft länger zur Arbeit als ich. Warum sollte ich dahinziehen, wo die Mieten teurer sind, wo ich mir einen neuen Sportverein suchen muss und keine Sau kenne?“
Außerdem: Für Halle gibt es hier genug Neues. Mit zwölf Jahren trat sie der Jugendfeuerwehr bei, seit sie 18 ist, ist sie ständig in Alarmbereitschaft: „Kein Einsatz ist wie der andere. Da komme ich aus meiner Wohlfühlblase.“ Als die Schulfreunde gingen, kamen die Feuerwehrkameraden: „Sie sind eine kleine Ersatzfamilie.“ Als sie mit 23 eine eigene Wohnung in Pinneberg sucht, vermitteln die Kameraden sofort. Beim Umzug wuchten sie gemeinsam Möbel und Kartons in den dritten Stock. Ob sie auch ohne die Feuerwehr in Pinneberg geblieben wäre? „Wahrscheinlich nicht. Dann wäre es sehr einsam geworden.“
Kreis Pinneberg: Ohne die Feuerwehr wäre Halle nicht mehr hier
Auch Victoria Kuczka wird es in der kleinen Gemeinde nicht langweilig. Seit 2018 studiert sie in Hannover Politik und Evangelische Religion auf Lehramt. Ihr Einzug in den Kreistag fiel mit dem Studienbeginn in Hannover zusammen. Die 25-Jährige eilt vom Hör- in den Sitzungssaal: Für den Ortsverein, die Fraktion, den Kreistag und den Schulausschuss. Der vollste Tag ist der Mittwoch: „Da gibt es sowohl Treffen auf Orts- als auf Kreisebene. Ich stehe um 5.30 Uhr auf und studiere. Ab 16 Uhr gehen dann die Sitzungen los, die dauern auch schon mal bis 23 Uhr.“
Das geht seit Anfang 2020 gut: „Durch Corona muss ich nicht mehr pendeln.“ Doch auch wenn die Pandemie vorbei ist, ins „hässliche“ Hannover will sie nicht. „Wer einmal auf der Liste stand, zieht nicht mehr weg.“ Außerdem endeten die Diskussionen im Ortsverband mit so mancher Freundschaft – über Altersgrenzen hinweg: „Einer meiner Freunde ist Anfang 40. Mittlerweile scheint er mir gar nicht mehr so alt“, scherzt sie. Ohne die Liste, ohne die Genossen, die zur Freunden wurden, ohne die Ausschüsse und Sitzungen wäre sie wohl nach Hamburg gezogen. Jetzt lockt sie die Großstadt nicht mehr. „Ich habe ein politisches Amt. Ich habe einen Grund, hier zu sein.“
Kreis Pinneberg: Der Kampf mit den Klischees
Aber: Nur schön ist das Kleinstadtleben auch nicht. Es bringt nerviges mit sich – vor allem Klischees. Lena Halle kennt sie zur Genüge: „Wenn ich anfangs bei der Arbeit einparkte, hieß es immer: Achtung! Abstand! Die blonde Pinnebergerin parkt ein.“ Am Anfang habe sie das noch getroffen. Inzwischen steht sie drüber. Ihre Waffe gegen überhebliche Großstädter: Bodenständigkeit. „Wenn Witze gemacht werden, denke ich mir: Ich habe bereits mein eigenes Geld verdient, meine Wohnung und mein Auto selbst bezahlt. Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung und mache gerade ein Fernstudium zur staatlich geprüften Technikerin. Das sind meine Werte, das bin ich. Ich brauche keine Großstadt.“
Und was braucht es, damit die jungen Menschen bleiben? Fragt man Kuczka, spricht ganz die Politikerin: „Unbedingt der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Teile des Kreises muten ländlich an, man erreicht sie kaum. Das Himmelmoor ist so schön, aber da muss man erst einmal hinkommen! Und: leistbare Wohnungen.“ Dann weicht Kuczka auch noch vom Politikprofi-Sprech ab: „Wir bauchen eine Möglichkeit zu feiern. Am besten eine Bar, von der man auch gut nach Hause kommt. Ein Taxi kann sich kaum ein junger Mensch leisten.“
Auch Lena Halle träumt von mehr Gastronomie: „Ein paar mehr Restaurants wären toll. Pinneberg ist sehr griechenlastig.“ Und eine Bar, in der man Cocktails trinken kann: „Das geht hier nur in einer Shisha-Bar und in Cafés. Ich bin Nichtraucherin, und auch in Cafés schlürfe ich ungern meinen Drink, während ältere Damen Kuchen essen. Einfach eine Bar, die nur eine Bar ist. Das wäre toll.“ Ein weiterer Wunsch: Ein Ort, an dem sie im Grünen auch mit Geräten trainieren kann. „Das wäre ein Traum, vor allem zu Corona-Zeiten.“ Die habe sie übrigens besser überstanden, als so manch Bekannter in der Großstadt: „Viele waren da echt einsam. Hier war es zum Glück anders. Wenn ich in der Stadt Pinneberg herumlaufe, treffe ich fast immer jemanden, den ich kenne. Und da geht man dann spontan einen Kaffee trinken.“