Helgoland. Auf der Insel schrieb Hoffmann von Fallersleben nicht nur das „Lied der Deutschen“ – auf dem roten Felsen gelang Werner Heisenberg auch der Durchbruch in der Quantenmechanik.

Von Heine, Kafka und von Kleist über Strindberg, Liszt und Morgenstern bis zu Lichtenberg, Haeckel und Heisenberg – seitdem Jacob Andresen Siemens 1826 das Seebad Helgoland gründete, war der rote Felsen Magnet für viele bedeutende Dichter und Denker, Maler und Mimen. Sie alle waren fasziniert und wurden inspiriert von der Natur und der Hochseelage der Insel. Leben und Werk von manchem hing eng mit dem Aufenthalt auf Helgoland zusammen. Dazu zählt auch Hoffmann von Fallersleben, der sich wohl kaum hat vorstellen können, welche schicksalhaften politischen Ereignisse mit seinem 1841 auf Helgoland gedichteten „Lied der Deutschen“ einmal verbunden werden sollten.

So ertönte am 10. August 1890, als Kaiser Wilhelm II. das bis dato britische Helgoland „in den Kranz der deutschen Inseln“ aufnahm und die Reichsflagge gehisst wurde, erstmals das Deutschlandlied als Hymne. Fraglich ist, ob alle Sänger damals wussten, dass der Text auf jenem roten Felsen entstanden war. Im Bewusstsein des großen Moments, so ist es überliefert, brach die Menge jedenfalls in Hochrufe aus und stimmte „Deutschland, Deutschland über alles“ an – eben jene erste Strophe, die das „Lied der Deutschen“ später zum wahrscheinlich schwierigsten Kapitel vertonter Lyrik einer Nation machen sollte.

All dies konnte der Verfasser des Liedes, der Schriftsteller, Germanistik-Professor und politische Freigeist August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) nicht ahnen. Der Kämpfer gegen Kleinstaaterei, zersplitterte Adelslandschaft und Verfechter eines deutschen Vaterlandes hatte den Text mit seinen drei Strophen am 26. August 1841 auf Helgoland verfasst.

Von Fallersleben versuchte auch, auf der Insel eine unglückliche Liebe zu verarbeiten

Das Eiland war dabei für Hoffmann mehr Zufluchts- als Erholungsort. Seine nationalliberale Haltung, die 1840 in der Gedichtsammlung „Unpolitische Lieder“ deutlich wurde, hatte ihm eine Außenseiterrolle und später sogar Verfolgung eingetragen. Auch im August 1841 wurde er verfolgt, was ihn ins damalige Ausland trieb – eben auf die damals noch englische Insel Helgoland, wo er sich mit gleichgesinnten deutschen Patrioten traf. Ganz nebenbei versuchte Hoffmann von Fallersleben auch noch, eine unglückliche Liebe zu verarbeiten…

Gesellige Abende, aber vor allem die einmalige Natur der Insel verdrängten bald die düsteren Gedanken des Dichters. So notierte er in seinen Erinnerungen: „Wenn ich dann so wandelte einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zu Mute, ich musste dichten und wenn ich es auch nicht gewollt hätte.“

Das „Lied der Deutschen“ floss dem Dichter quasi zwangsläufig aus der Feder, nicht zuletzt inspiriert von Trinksprüchen aus geselliger Runde. Als Melodie für seine Zeilen wählte Hoffmann von Fallersleben die Kaiserhymne von Joseph Haydn. Nur wenige Tage nach Entstehen des Liedes soll Hoffmanns Hamburger Verleger Julius Campe das Werk für vier goldene Louisdor gekauft und veröffentlicht haben. Kurz darauf erklang es erstmals öffentlich bei einem patriotischen Fackelumzug in Hamburg, doch erst knapp 50 Jahre später im Jahr 1890 – wiederum auf Helgoland – erlangte es erstmals hymnenartigen Charakter.

Zur offiziellen Nationalhymne aber wurde das Deutschlandlied erst 1922 aufgrund einer feierlichen Erklärung des damaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Nachdem die Hymne unter den Nationalsozialisten mit dem „Horst-Wessel-Lied“ verknüpft worden war, fiel sie nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Bann der Alliierten und wurde zunächst verboten. Erst 1952 bekam die dritte Strophe in der Bundesrepublik mit („Einigkeit und Recht und Freiheit …“) den Status der Nationalhymne. Nach der Wiedervereinigung erlangte die dritte Strophe 1991 offiziell den Status der gesamtdeutschen Nationalhymne. An Hoffmann von Fallersleben und sein auf Helgoland geschaffenes Werk erinnert ein Denkmal am Beginn der Landungsbrücke.

Übrigens widmete sich von Fallersleben künstlerisch nicht nur schwerem politischen Stoff, er verfasste auch Hunderte von Kinderliedern. Zu den bekanntesten zählen „Alle Vögel sind schon da“, „Ein Männlein steht im Walde“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, „Summ, summ, summ“ und „Kuckuck, Kuckuck ruft‘s aus dem Wald“.

Mondäner Treffpunkt bos in die 20er-Jahre

Mehr als 100 Jahre lang, bis in die 1920er-Jahre hinein, war die Insel mondäner Treffpunkt unter den Nordseebädern. Zu den damaligen „Promis“ der Kulturszene zählte der Schriftsteller Heinrich Heine. Mehrfach war er für längere Zeit Gast auf Helgoland, verfasste dort einige seiner bekannten Nordsee-Gedichte. Im Brief an einen Freund schrieb der „Hofdichter der Nordsee“, wie er später auch genannt wurde, 1829 nach der Ankunft auf der Insel: „Ich habe mich nach einem kleinen Seesturm glücklich hierher gefunden, wo ich mich wohl und heiter auf dem roten Felsen ergehe…. Ich wünschte, du sähest mal das Meer, vielleicht begriffest du die Wollust, die mir jede Welle einflößt“.

Auf die damalige Gästeliste schaffte es auch der Dramatiker August Strindberg, er gilt noch heute als einer der wichtigsten schwedischen Schriftsteller. 1893 heiratete er auf der Insel die österreichische Schauspielerin Frida Uhl. Die Ehe hielt allerdings nicht lange, geblieben ist aus dieser Zeit das Buch über „Strindbergs Hochzeit auf Helgoland – Briefe, Berichte und Bilder aus der Blütezeit des Seebads Helgoland“.

Der junge Franz Kafka, später einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller, genoss 1901 ein paar Tage lang die gute Nordseeluft auf Helgoland, um sich von den Strapazen des Abiturs zu erholen.

Vom Dramatiker und Lyriker Friedrich Hebbel ist nach einem Inselbesuch 1833 der Satz überliefert: „Die letzten fünf Tage war ich, wo mich niemand suchte, nämlich auf Helgoland.“ Das Eiland faszinierte den gebürtigen Wesselburener: „Denken Sie sich einen kolossalen steinernen Würfel, notdürftig mit Erde bedeckt, sodass Kartoffeln und Rüben eben gedeihen, überall steil abschüssig, vielfach zerklüftet und zersägt, und Sie haben Helgoland vor sich. Denken Sie sich ein emsiges Völkchen hinzu, das sich in ewiger Rührsamkeit ameisenhaft anklammert, als ob von dem ganzen großen Planeten nur noch dieser kleine, dem Zerbröckeln nahe Rest übrig geblieben ist, und Sie sehen die Helgoländer.“

Pudelwohl fühlte sich dem Vernehmen nach der österreichisch-ungarische Komponist und Dirigent Franz Liszt auf Helgoland. Ende August 1849 reiste er auf die Felseninsel, wo er in der Gesellschaft gleichfalls anwesender Freunde wie dem Schriftstellerpaar Adolf Stahr und Fanny Lewald und dem Dichter Franz von Dingelstedt und dessen Gemahlin, der Sängerin Jenny Lutzer, „fröhliche Wochen“ verbrachte. Nach seinen brieflichen Aufzeichnungen arbeitete Franz Liszt während seines Aufenthaltes auf Helgoland die Vormittage an einer italienischen Oper, nachmittags wurde gewöhnlich musiziert und „abends nach Tisch Whist gespielt“.

Ernst Haeckel, einer der bedeutendsten Zoologen, weltweit renommierter Entwicklungsforscher und späterer Freund von Charles Darwin, fasste seinen Entschluss Zoologe zu werden, als Zwanzigjähriger nach einem Aufenthalt auf Helgoland im Jahr 1854. Er badete gern auf der Düne, viel wichtiger aber war ihm das Sammeln und Erforschen der Natur. Seine lebenslange Verbundenheit mit Helgoland blieb, nicht zuletzt gilt er als einer der Ideengeber für die Gründung der Biologischen Anstalt auf Helgoland.

Hans Albers gehörte dem „Club von Helgoland“ an

Und auch das Schaffen eines weiteren Wissenschaftlers ist eng mit Helgoland verbunden: Der junge Atomphysiker Werner Heisenberg war 1925 am Heuschnupfen erkrankt und hoffte, diesen auf der pollenfreien Insel an frischer Seeluft auszukurieren. Bei seinen erholsamen Spaziergängen auf dem Oberland entwickelte er eine bahnbrechende Theorie, für die er 1932 den Nobelpreis erhielt. Auf einer Gedenktafel des Max-Planck-Institutes auf Helgoland heißt es: „Im Juni des Jahres 1925 gelang hier auf Helgoland dem 23-jährigen Werner Heisenberg der Durchbruch in der Formulierung der Quantenmechanik, der grundlegenden Theorie der Naturgesetze im atomaren Bereich, die das menschliche Denken weit über die Physik hinaus tief greifend beeinflusst hat“.

Dem legendären „Club von Helgoland“ gehörten in den 1920er-Jahren der Schauspieler Emil Jannings und der Schauspieler und Sänger Hans Albers an. Besonders Hans Albers war Helgoland sehr verbunden, von ihm stammt der Schlager „Kleine Möwe, flieg nach Helgoland“.

Einer, den viele gern auf der Liste illustrer Besucher auf Helgoland gesehen hätten, ist Goethe. Der ehemalige Inselpastor Eckhard Wallmann, der 2017 das wohl umfassendste und sehr lesenswerte Werk über die Kulturgeschichte der Insel namens „Helgoland“ herausbrachte, wird auf helgoland.de wie folgt zitiert: „Goethe hätte sich über den Mikrokosmos der Insel als Makrokosmos der Gesamtheit allen Seins sicher sehr gefreut, wenn er denn seinen Fuß selbst auf den einzigartigen Felsen in der Nordsee gesetzt hätte! Immerhin hat er sich von seinem langjährigen Freund und Musiker Carl Friedrich Zelter einige Gesteinsbrocken zu Forschungszwecken von Helgoland mitbringen lassen.“

Ein Schriftsteller indes nimmt eine Sonderrolle in der Helgoländer Kulturgeschichte ein. Kinderbuchautor James Krüss, 1926 geboren auf Helgoland und 1997 in seiner Wahlheimat Cran Canaria verstorben, dürfte der berühmteste Sohn der Insel sein – von seinem Leben und Werk soll noch an anderer Stelle berichtet werden.