„Mit OK nie k.o.“ – So lautete der Slogan der einst größten Kaugummifabrik Deutschlands, die auch in der DDR für den Westmarkt produzieren ließ.
Der Firmensitz der Rowa Group – ein Produzent für unter anderem Farben, Lacke und Kunststoffe – an der Pinneberger Siemensstraße ist von Weitem zu erkennen. Eine Reihe metallener Silos reckt sich gen Himmel. Da wirft der Unwissende gar keinen Blick auf das Sheddach-Gebäude dahinter. Dabei befand sich unter ebenjenem Sägezahndach einmal ein Betrieb, der den Geschmack Amerikas nach Deutschland holte und als Mosaikstein der deutsch-deutschen Geschichte nicht in Vergessenheit geraten sollte.
Verkettung unglücklicher Umstände führt zur Gründung
Vier kleine Pfefferminzdragees und dazu ein Sammelbildchen von Buffalo-Bill: So einfach war die Jugend der 50er-Jahre zu beeindrucken. Und das für zehn Pfennig! Für OK-Kaugummi Pinneberg war die bald entbrannte Bildchen-Sammelwut junger Kauboys und -girls eine Goldgrube. Denn der Kaugummihersteller legte immer neue Fotoserien als Beigabe zu seinen Bubblegums auf und avancierte darüber zu einem der erfolgreichsten Unternehmen der Bundesrepublik. Egal ob „Der Schatz am Silbersee“, die „Olympischen Winterspiele Oslo 1952“ oder „Filmgrößen der Gegenwart“ – die insgesamt 43 Editionen boten Sammelspaß für jedermann. Oft war ein zugehöriges Album erhältlich.
Doch die Bildchen von Fix und Foxi und Co. waren nicht nur „der Grundstock für die Wirtschaftskraft der Firma“ wie es Gerhard Klußmeier formuliert. Sie waren auch Ausgangspunkt für dessen Recherchen. Der Hamburger Klußmeier arbeitete vor einigen Jahren für eine Karl-May-Zeitschrift an einem Artikel zu den Wild-West-Sammelbildern, die die Firma OK verlegt und mit den Kaugummis verkauft hatte. Daraufhin beschäftigte sich der heute 82-Jährige mit der Pinneberger Firma, und bald hatte er solch einmalige Erkenntnisse zutage gefördert, dass er flugs ein Buch über den Aufstieg und Fall der Kaugummifabrik schrieb. „Vom Wirtschaftswunder-Erfolg über die DDR ins Nichts“, so heißt sein 2012 erschienenes Werk. Der Titel ist treffend.
Doch von vorn: Der Hamburger E. A. Walter Schumann durfte aufgrund seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Nazis „nur“ Drogist werden und nicht studieren. Also entschied er sich dazu, pharmazeutische chemisch-technische Präparate zu produzieren. Doch auch dieser Wunsch bleibt ihm verwehrt. Denn die damalige britische Militärregierung erteilt ihm keine Produktionserlaubnis. Dass Schumann sich letztlich als Kaugummihersteller etabliert, ist also einer ganzen Reihe nicht allzu glücklicher Umstände zu verdanken.
Von 1949 an verkauft er Kaugummis; schon damals mit beigelegten Bildchen und „amerikanischer Qualität entsprechend“, wie es auf der Verpackung hieß, aber unter dem Namen Schumamint. Erst 1952 nennt er seinen Betrieb „OK Kaugummi“ und verlegt den Sitz vom Heuboden einer Autoreparaturwerkstatt in Altona nach Pinneberg in eine ehemalige Luftwaffen-Nachrichtenkaserne.
Schumanns Kaumasse wird ein Renner – obwohl Eltern von Bubblegum-Liebhabern den neumodischen „Kram von den Amis“ nicht immer gänzlich ok finden. Oder gerade deshalb? OK-Kaugummi Pinneberg wächst jedenfalls zum deutschen Marktführer heran, beschäftigt 260 Mitarbeiter und macht 60 Millionen Mark Umsatz im Jahr. Die Dragierkessel, in denen die Kaugummimasse überzogen wird, drehen sich nun in einer modernen Fabrikhalle im Industriegebiet Nord. Die Pinneberger produzieren für Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Afrika und den Nahen Osten. Im noch näheren Osten wiederum lassen sie produzieren: Ende der 80er-Jahre nimmt ein OK-Kaugummi-Werk im „Billiglohnland DDR“ seinen Betrieb auf.
Bubblegum-Deals mit den Kommunisten
Von 1978 an produzierten die „Ossis“ erst in einem Dragee- und später auch in einem Streifenkaugummiwerk in Bernburg, heute Sachsen-Anhalt, Ware mit dem Markennamen „OK Kaugummi“. Die Pinneberger stellten den Bernburgern dabei die benötigten Maschinen und belieferten sie mit „Base“, dem Kaugummi-Grundstoff. Im Gegenzug sollte die DDR die produzierten Süßwaren nach Westdeutschland schicken, das damals wiederum in 52 weitere Länder exportierte. Einige Kaugummikugeln und -streifen landeten aber auch in den Regalen der DDR-Intershops. In diesen Geschäften konnten die Ostler gegen Devisen, also Westmark, heiß begehrte Artikel aus dem sogenannten Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) einkaufen. Dass viele der Intershop-Artikel gar keine Westgüter waren - wie die vermeintlichen Pinneberger OK-Kaugummis – wussten die meisten DDR-Bürger nicht. Doch auch die „Wessis“ wurden erst spät über die Bubblegum-Deals mit den Kommunisten behelligt.
Angebahnt hatte sich die sogenannte Gestattungsproduktion 1975, nachdem die OK-Geschäftsführung auf Axel Holger Suck und Hans-Jacob Schlicht übergegangen war. Die Gründe für die Ostexpansion des Kaugummiherstellers waren klar: Die BRD sah in der DDR ein „Billiglohnland“ und die Ostdeutschen waren scharf auf die Devisen, für die sie den Bubblegum produzieren würden.
„Außerdem wurde allerhand Kaugummi in die DDR geschmuggelt. Das sollte mit der eigenen Produktion unterbunden werden“, erklärt Gerhard Klußmeier. Der 82-Jährige sprach im Rahmen der Recherche zu seinem Buch mit ehemaligen Mitarbeitern und Managern der Firma, warf aber auch Blicke in umfangreiche Stasi-Akten. Der Aufbau des Kaugummiwerkes in Ostdeutschland wurde vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) natürlich argwöhnisch beäugt. Doch auch der westdeutsche Bundesnachrichtendienst (BND) machte sich seine Notizen.
1977 legte OK-Kaugummi den Grundstein für das Werk in Bernburg. Wenig später stand die neun Millionen Westmark teure Fabrik. „Tatsächlich ist die Bernburger Produktion wesentlich moderner und durchautomatisiert – in Pinneberg gibt es noch sehr viel Handarbeit“, notiert Christiane Arndt damals unter einem anderen Namen für das MfS. Die inoffizielle Mitarbeiterin (IM) war eine der Verhandlungsführenden in der Sache.
Lange Zeit wurde das ostdeutsche Werk „halb- oder ganz geheim behandelt“, berichtet Axel Holger Suck in Klußmeiers Buch. In der BRD wurde das Werk erst 1979 der Öffentlichkeit bekannt – und kontrovers betrachtet. „Kau Westdeutsch, Genosse!“, mokierte sich etwa die „Hamburger Morgenpost“.
Obwohl die Produktion zum beiderseitigen Gewinn vonstatten geht, sind sich die Beteiligen aus DDR und BRD nicht immer grün. Denunziationen der IMs im Werk haben ihren Teil dazu beigetragen. Sie notierten beispielsweise, welcher westdeutsche OK-Mitarbeiter „verstärkt Gaststätten aufsucht“ und meldeten dem MfS vermeintliche Liebschaften des Klassenfeindes. „Den Großteil der Stasi-Akten machen aber im Grunde genommen Arbeits- oder Werksberichte aus“, sagt Klußmeier. Nur hin und wieder findet sich ein Satz zum Schmunzeln oder Kopfschütteln in den Dokumenten. Etwa folgender, auf einer Geschäftsreise notiert: „Anschließend wurde von Vertretern der DDR und der BRD ein Kegelspiel veranstaltet, wobei die DDR gegen die BRD kämpfte. Das Spiel endete fast unentschieden.“
Missmanagement fährt OK-Kaugummi in die Grütze
Auch der frühzeitig absehbare Konkurs des Pinneberger Partners lässt sich aus den Stasi-Dokumenten herauslesen. Der Niedergang von OK-Kaugummi Pinneberg war eine dreckige Angelegenheit. Zwar schob die Firmenleitung die Pleite auf Arbeitsgerichtsklagen ihrer Mitarbeiter, die es nie gab. Doch der ehemalige Betriebsrat Uwe Foth weiß Genaueres: „Ich habe das alles kommen sehen, die finanziellen Engpässe. Da wurden Firmen übernommen, die auch Schwierigkeiten hatten. Der Überblick ging verloren, weil das Imperium zu verschachtelt war.“
Gerhard Klußmeier vermutet, dass die Pleite des Unternehmens schon mit frühen Fehlentscheidungen angefangen hat: „Schumann hat sich damals mit den Sammel-Alben verhoben. Die Sammelei hörte zu schnell auf, das war eine Jugendwelle. Aber er druckte weiter Alben, die sich nicht mehr verkaufen ließen“, sagt er. Der Unternehmensgründer wollte nicht akzeptieren, dass die Sammelbildchen OK-Kaugummi zwar prosperieren ließen, aber genau so gut in den Bankrott führen konnten. Anschließend hätten diverse Fehlinvestitionen und Missmanagement die Firma „immer weiter in die Grütze gefahren“, so Klußmeier. Während der Konkursphase haben die anfangs noch rund 260 Mitarbeiter weiterproduziert. „Ich hatte schlaflose Nächte, doch habe Tag und Nacht um die Firma gekämpft“, erinnert sich der 82-Jährige Foht. Bei der schleswig-holsteinischen Landesregierung hat er die Zusage für einen acht Millionen schweren Kredit erkämpft. Außerdem werden die „Jetties“ ein zuckerfreies Kaugummi für Erwachsene, das den Markt des auf Kinderkaugummi spezialisierten Unternehmens erweitern soll, binnen vier Wochen entwickelt und in die Regale gebracht. „Die Jetties sollten der Ausweg aus Krise sein. Immer wieder haben wir Hoffnung geschöpft. Aber am Ende wurde zu viel investiert und dafür zu wenig Gewinn gemacht“, so Foth.
Die Mitarbeiter werden sukzessive entlassen: erst rund 20, dann weitere 80, dann 120. Acht von ihnen bleiben übrig und „dürfen“ den Niedergang mitverwalten. „Es sind viele Tränen geflossen, damals“, sagt der ehemalige Betriebsrat. Die Belegschaft habe einer Familie geglichen, „und viele hatten nach der Entlassung kaum Chancen auf eine andere Stelle. Der Frauen- und Ausländeranteil in der Fabrik war groß, es gab viele Türken, Griechen, Spanier“, berichtet Foth.
Als er den ehemaligen OK-Angestellten sieben Jahre nach Schließung der Firma endlich die Abfindung ausbezahlen durfte, hatte sich diese von zwei Millionen auf 90.000 Mark amortisiert. Es sei Foth beinahe peinlich gewesen, wie wenig er den Menschen noch anbieten konnte. „Ich selbst habe am Ende 870 Mark bekommen. Meine Anwartschaft belief sich ursprünglich aber auf 23.000 Mark“, sagt er.
Um OK-Kaugummi noch zu retten, haben am Ende nicht einmal zwei Millionen Mark gefehlt, die die Gesellschafter für das Überleben der Firma hätten aufbringen müssen. Ob sie das Geld wirklich nicht hatten, bleibt Spekulation. Nachdem OK seinen Firmensitz 1986 nach Husum verlegt – eine Briefkastenadresse –, muss der Betrieb 1987 endgültig schließen. Kurz danach folgt die Versteigerung der Produktionsmittel, „und plötzlich waren die Hallen leer“, so Foth.
Letzte Überbleibsel der Firma in Bernburg und China
Obwohl noch jeder Tritthocker verscherbelt wurde und auch die letzten Plastiktüten mit Bubblegumkugeln zu verschenken waren – die Kaugummimaschinen fielen der Versteigerung nicht zum Opfer. Axel Holger Suck, einer der früheren Gesellschafter, hatte sie in letzter Minute aus der Insolvenzmasse gekauft. Und Suck machte, was OK-Kaugummi bisher gutgetan hatte: Er expandierte gen Osten.
Gemeinsam mit Foth hat er die Maschinen 1988 im Hamburger Hafen in 16 Container verladen und nach China verschiffen lassen. „Ende Oktober haben wir den Betrieb dort zum Laufen gebracht. Es gab eine große Einweihung mit Feuerwerk und hundert Tauben“, erinnert sich Foth. Das chinesische Werk war an die niederländische Firma Maple Leaf angegliedert. Im Jahr 2001 war Foth noch einmal in Wuxi, etwa 120 Kilometer von Shanghai entfernt, und suchte die Fabrik auf. Sie produzierte noch, wenn auch mit neuen Maschinen. Mittlerweile wird in den Werkshallen Kaugummi-Base für den Mondelez-Konzern hergestellt.
Übrigens: Das Bernburger Werk hat dank dem beherzten Einsatz der Mitarbeiter überlebt. Sie pflegten die Kontakte zu ihren Abnehmern und konnten die Fabrik so aufrechterhalten. 1993 wurde sie von Wohlgemuth Süßwaren gepachtet, später gekauft. Heute ist Wohlgemuth der einzige Kaugummikugelhersteller in Deutschland. Seine 26 Mitarbeiter beliefern 25 Länder mit Bubblegum-Kugeln und -Früchtchen, satte 100 Tonnen Kauspaß produzieren sie im Monat.
Übrig geblieben aus der Zeit des Wilden Westens sind die Pinneberger Kaugummimaschinen, etwa die 64 Dragierkessel. „Das sind aber natürlich aufgearbeitete und modifizierte Geräte“, sagt Betriebsleiter Jochen Wohlgemuth. Nichtsdestoweniger steckt in den Produkten „Bubblegum“, „Bubblegum exotic“ und „Bubblegum top sauer“ noch ein letzter Hauch OK-Kaugummi Pinneberg.