In unserer Geschichtsserie geht es dieses Mal um 2017, als der Landrat bedroht wurde und die AfD den Lichtermarkt geißelte.
Kreis Pinneberg Uetersens Politiker entscheiden sich im Januar für den Verkauf der Parkpalette in der Innenstadt. Mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit erhält ein Hamburger den Zuschlag. Er möchte 14,5 Millionen Euro zahlen, 95 Wohnungen und Gewerbeflächen bauen.
„Wir wollen die Flamme des sozialen Widerstandes aufrechterhalten“, sagt Hans-Günther Werner. Vor mehr als 30 Jahren hat er die „Wedeler Arbeitslosenselbsthilfe – Arbeit für alle“ gegründet. Immer montags ruft der Verein zur Demo gegen Hartz IV auf. Am 6. Februar gibt es die 600. Veranstaltung. Anfangs war es noch der „Jagoda-Tag“, nach dem damaligen Präsident der Bundesanstalt für Arbeit. Die alte Teilung in Arbeitslosen- und Sozialhilfe sei gerechter gewesen. Hartz IV habe die Spaltung in der Gesellschaft vorangetrieben.
Die Leichtathletin Ingrid Holzknecht (76) startet für die LG Elmshorn in der Altersklasse W75. Ihre Bilanz in der Seniorenleichtathletik ist beeindruckend. Sie ist unter anderem sechsmalige Weltmeisterin. Derzeit kämpft sie mit den Folgen eines Bergunfalls am Großglockner, bei dem sie 13 Knochenbrüche erleidet und erst nach sechs Stunden im Regen unterkühlt gerettet wird. Drei Tage lag sie im Koma. Am liebsten möchte sie im August bei der Deutschen Meisterschaft in den Wurfdisziplinen wieder dabei sein.
Elmshorn ist ab Ende des Monats „supernormal“. Die Bürger sind von der Imagekampagne mäßig begeistert. Immerhin berichtet die NDR-Satiresendung „Extra 3“.
Ein Pinneberger hat eine spezielle Sammelleidenschaft: Er hortet 114 Waffen, 71.000 Schuss Munition sowie Hülsen und Projektile im Gesamtgewicht von 2,5 Tonnen. Der Kreis hatte dem Mann alle waffenrechtlichen Erlaubnisse aberkannt. Wegen Drohungen gegenüber Landrat Oliver Stolz steht die Kreisverwaltung zeitweise unter Polizeischutz.
Die Craft-Beer-Bewegung kommt nach Pinneberg. Im Ziegeleiweg lässt der Prisdorfer Marco Hurtig die Pinnauer Provinzbrauerei entstehen. „Ich möchte etwas Gutes für die Region schaffen, mit dem sich die Menschen identifizieren können“, sagt er. Im Norden der Republik verpufft Windstrom ungenutzt, anderswo werden Versorgungsengpässe durch zusätzlichen Strom aus Kohlekraftwerken kompensiert. Das soll nicht mehr passieren, sagt Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) in Quickborn. „Je mehr Leitungen gebaut werden, desto günstiger wird die Energiewende für den Verbraucher – weil der ökologische Strom auch zu den Abnehmern kommt“, erklärt er. Ein Projekt der HanseWerk wird vorgestellt, bis 2035 soll zwischen Schleswig-Holstein als Energieexporteur und Hamburg als Großverbraucher ein 100-prozentiger Versorgungsgrad aus regenerativen Energien entstehen.
Wegen 160 Euro wird Silkata Sahin-Adu, seit 2014 Leiterin des Kommunalen Servicebetriebs Pinneberg, entlassen. Sie hatte Urlaub genommen für eine dreitägige Fortbildung im Vorjahr, weil die Bürgermeisterin keine Dienstreisegenehmigung erteilte. Die 160 Euro Seminarkosten waren aber – aus Versehen wie Sahin-Adu sagt – über die Stadt abgerechnet worden. Pinnebergs Bürgermeisterin Urte Steinberg wertet diesen Vorgang als Betrug und empfiehlt der Politik die Entlassung der Werkleiterin. Die Entlassene klagt auf Wiedereinstellung. Es gibt die Trennung in beiderseitigem Einvernehmen und eine Abfindung in Höhe von drei Monatsgehältern.
Die Wittenberger Straße in Elmshorn wird im April wegen eines Brückenabrisses gesperrt. Täglich müssen 20.000 Autos ausweichen. Durch die Stadt. Oder weiträumig. Erst im Dezember rollt der Verkehr über die neue Brücke. Der Tornescher CDU-Ortsvorsitzende Daniel Kölbl verkündet, dass sich die Partei einen Wirtschaftsfachmann aus der Region als Bürgermeister wünsche – und keinen reinen Verwaltungsfachmann. Das wird als Demontage von Roland Krügel – mit 31 Jahren Amtszeit dienstältester Bürgermeister im Kreis – gesehen. Ende Juni gibt dieser seinen Rückzug bekannt. Er wird im Mai 2018 nicht erneut kandidieren.
Der ehemalige Landrat Wolfgang Grimme wird wegen Untreue zu elf Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Er hat in seinem Amt als Kreis-Chef dreimal im Alleingang das Gehalt des Geschäftsführers der Regio-Kliniken – damals noch komplett in Kreis-Besitz – erhöht. Grimme akzeptiert das Urteil. Die Versuche, ihn wegen des entstandenen Schadens in Regress zu nehmen, werden eingestellt.
69 Apotheken gibt es noch im Kreis Pinneberg, sieben weniger als 2012. „Große Pharmafirmen locken mit attraktiven Konditionen und Jobmodellen“, sagt Frank Jaschkowski, Geschäftsführer der Apothekenkammer Schleswig-Holstein. Weitere Gründe sind bürokratische Hürden – unter anderem muss jede selbst gemixte Rezeptur dokumentiert werden – und Online-Apotheken mit Dumpingpreisen, nachdem der europäische Gerichtshof die Preisbindung für Versandapotheken aufgehoben hatte.
Die Schenefelder Floorballer von Blau-Weiß 96 gewinnen das Rückspiel gegen Leipzig 10:5 und steigen in die 1. Bundesliga auf. Als erstes Team aus Schleswig-Holstein überhaupt. Am 9. Mai gibt eine Frau radioaktiven Stoff sowie gefährliche Säure auf dem Recycling-Hof der GAB ab. Beides stammt aus der Auflösung einer Apotheke. Spezialisten der Feuerwehr rücken in Ganzkörperanzügen an, um die Stoffe zu entsorgen.
Etwa 2,4 Prozent „Störstoffe“ landen im Kreis im Bio-Abfall. Häufig ist es Plastik, vor allem Reste von Plastiktüten, die mühsam aus dem Komposthaufen gezogen werden müssen. „Wenn schon Plastik, dann gehört es in den gelben Sack“, sagt Jens Ohde, Geschäftsführer der GAB. Und hofft auf einen Sinneswandel.
Trauer herrscht bei den Landesliga-Fußballern der SV Halstenbek-Rellingen. Sie stehen zum dritten Mal im Pokal-Finale – und verlieren das dritte Mal. Tragisch: HR führt bis in die zweite Minute der Nachspielzeit gegen den klaren Favoriten Eintracht Norderstedt aus der Regionalliga mit 1:0. Norderstedts Jan Lüneburg springt wild in HR-Keeper Mirko Oest hinein, der einen hohen Ball daraufhin nicht festhalten kann. Der Schiedsrichter – es ist das letzte Spiel seiner langen Laufbahn – lässt weiterspielen, Sekunden später steht es 1:1. In der Verlängerung setzt sich Norderstedt 2:1 durch. Der Schiedsrichterfehler kostet den Oberligisten 140.000 Euro TV-Geld der ersten DFB-Pokal-Runde.
Casall, Hengst des Holsteiner Verbandes in Elmshorn, geht nach 18 erfolgreichen Jahren in den Ruhestand. Er hat 2016 allein 800.000 Euro Preisgelder ersprungen. Das Springpferd wird künftig in der Zucht eingesetzt – verbunden mit der Hoffnung, dass erneut ein leistungsfähiger Vierbeiner entstehen könnte.
An einem Wochenende im Juni wird in der Ernst-Barlach-Gemeinschaftsschule in Wedel eingebrochen. Die Einbrecher hinterlassen eine Spur der Verwüstung, sodass die Schäden erst „in Monaten“ beseitigt werden könnten, sagt Rektor Stephan Krumme. Teilweise verdecken zerfetzte Bücher und Zettel den Boden bis auf Kniehöhe. Viele Klassenräume sind „in blinder Zerstörungswut“ ähnlich demoliert. Entwendet wird Wechselgeld und Kücheninventar aus der Mensa – im Wert von 1000 Euro. Kurz darauf gesteht ein gefasster 19-Jähriger die Tat. Er ist kein Schüler.
Bundesweit gehen die Behörden im Juli von etwa 10.000 Reichsbürgern aus, die Gesetze missachten und Behörden mit Schriftsätzen beschäftigen. Im Kreis sollen es 16 sein. Darunter auch ein Waffenbesitzer. Sofern jemand „durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er sich nicht an unsere Rechtsordnung gebunden fühlt, wird das zum Entzug des Waffenscheines oder zu einem Waffenverbot führen“, sagt ein Kreissprecher.
„Wedels heimliche Nordumgehung“, titelt das Abendblatt. 1000 Autos durchfahren täglich – gemessen durch ein Gerät der Stadtverwaltung – den Gnäterkuhlenweg. „Das Ganze ist irgendwie schleichend passiert“, sagt einer der Bewohner von 30 Einfamilienhäusern am Wegesrand. Etwa 50 Autos haben die Anwohner. Alle sind genervt. Zumal auch 89 Prozent der gemessenen Durchfahrten zu schnell sind.
Im August brennt die RCS Sportwelt in Schenefeld nieder – 400 Einsatzkräfte können dies nicht verhindern. Auslöser sind Schweißarbeiten am Dach. Erst nach 24 Stunden ist das Feuer aus. Betreiber Vattenfall räumt erstmals Probleme mit dem Wedeler Kohlekraftwerk ein. Mehrfach gab es Proteste wegen Partikelausstößen. Im Sommer ist die Anlage wegen Modernisierungs- und Wartungsarbeiten abgeschaltet. Auch um den Partikelregen zu minimieren.
Die neue Elmshorner Gleichstellungsbeauftragte Heidi Basting setzt sich im September für geschlechterneutrale Formulierungen in der Verwaltung ein. Aus Antragssteller/Antragsstellerin wird „wer den Antrag stellt“, aus „fachmännisch“ „fachkundig“ oder aber Mitarbeiter/Mitarbeiterin einfach „Mitarbeitende“. „Ich befasse mich mit der Frage: Wie können wir geschlechtergerecht schreiben, ohne die Sprache zu verkomplizieren“, sagt sie. In Schenefeld bahnt sich ein 50-Millionen-Euro-Projekt an. Der Stadtentwicklungsausschuss stimmt einem Bebauungsplan zu. Die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein wollen am Osterbrooksweg einen neuen Busbetriebsbahnhof für Elektro-Busse planen.
„Das ist der größte Erfolg der Vereinsgeschichte“, sagt Jörn Maier, Trainer der Elmshorn Fighting Pirates. Die Footballer sind Regionalliga-Nord-Meister, setzen sich in der Aufstiegsrunde durch und werden 2018 in der 2. Bundesliga antreten. 1700 Zuschauer sind beim 45:28-Sieg gegen die Berlin Bears dabei.
Michael von Abercron (CDU) und Ernst-Dieter Rossmann (SPD) bleiben im Bundestag. Vom Wahlergebnis der Bundestagswahl sind aber beide enttäuscht. Die großen Parteien haben viele Prozente verloren – auch im Kreis (-6 und -8,4). FDP und Grüne feiern Zugewinne. „Der Verlust auf Bundesebene ist bitter“, sagt von Abercron, der das Direktmandat gewinnt. Rossmann spricht von einer „historischen Zäsur“ und nennt die AfD die „Trump-Partei aus Deutschland.“
Heinz Oertel wird im Oktober 100 Jahre alt. Er wohnt im Heinz-Oertel-Stieg in Bönningstedt. 1943 kam der gebürtige Thüringer als Soldat in den Norden und blieb. „Aktiv bleiben“, ist seine Formel. „Ich koche und mache mein Bett noch selbst“, sagt der langjährige Journalist Oertel, der Bönningstedt prägte. Er brachte etwa eine Städtepartnerschaft mit Seaford (England) auf den Weg.
Sturm Xavier trifft insbesondere Hasloh und Quickborn hart. Insgesamt rückt die Feuerwehr kreisweit zu 400 Einsätzen aus. Der „Halunder Jet“ bricht zu seiner letzten Reise auf. 14 Jahre hat das Schiff Passagiere über die Elbe nach Helgoland chauffiert. Im November gibt Spielwaren Körner am Lindenplatz in Pinneberg die Schließung nach 14 Jahren bekannt. Es wurde kein Nachfolger gefunden. „Man kann von dem Geschäft leben, muss aber viel arbeiten.“ Neben Kritik an Entscheidungen der Stadt werden auch der Online-Handel und Spielzeuge in Discountern als Problem benannt. Auch Spielwaren Zobawa in Rellingen wird es nicht mehr geben.
AfD-Anhänger hetzen gegen den Elmshorner Lichtermarkt. Die Stadt distanziert sich von der Behauptung, mit der Umbenennung von Weihnachtsmarkt in Lichtermarkt werde deutsches Kulturgut zerstört. Schließlich heißt jener seit 2007 so. Im Dezember setzen mehr als 1000 Menschen ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit.
In der Pinneberger Brahms-Schule zahlen Eltern Geld auf das Konto ihrer Kinder ein, diese können mittels biometrischer Erfassung mit ihrem Finger in der Cafeteria bezahlen. 800 von 1036 Schüler nutzen diese Methode. Datenschützer mahnen. Die alternativ angebotene Chipkarte wird jedoch kaum genutzt. Das System wurde wegen veränderter Gesetzeslagen beim Thema Buchhaltung eingeführt. Es hätte eine Registrierkasse angeschafft werden müssen.
Über mehr Fahrten, eine längere Betriebszeit und flächendeckend klimatisierte Fahrzeuge freuen sich Bus-Mitfahrer. Der Kreis führt Verbesserungen ein – und auch Halstenbek und Schenefeld sind dank der verlängerten Buslinie 186 miteinander verbunden. In Elmshorn werden die Siegerentwürfe zum Neubau des Rathaus für 2024 vorgestellt.