Elmshorn. Das Tier wird seit November regelmäßig in der Krückau gesichtet. Experten sagen, es bestehe kein Grund zur Sorge. Die Details.
Knopfaugen, rundlicher Kopf, lange Schnurrhaare: Was in diesen Tagen hin und wieder seine Nase aus der Krückau in Elmshorn steckt, ist eine absolute biologische Rarität in dem kleinen Nebenfluss der Elbe. Ein junger, expeditionsfreudiger Seehund hat sich offenbar das Brackwasser rund um die größte Stadt im Kreis Pinneberg als neuen Lebensraum ausgesucht. Schon seit November wird der Wattenmeerbewohner regelmäßig im Stadtgebiet gesichtet. Ein Grund zur Sorge besteht laut Experten vorerst aber nicht.
„Ich weiß erst seit dem vergangenen Wochenende von unserem neuen Gast in der Stadt“, sagt Jörg Schmidt-Hilger, Leiter des Sachgebiets Umwelt in der Elmshorner Stadtverwaltung. Andere Augenzeugen wollen den jungen Seehund schon seit November regelmäßig in Krückau, Hafenbecken und sogar im See am Steindammpark gesehen haben. Tatsache ist: Das Tier lebt jetzt schon seit Längerem in Elmshorn. Die Frage ist: Warum hat es sich ausgerechnet die Krückau als Lebensraum ausgesucht?
Robbe in Elmshorn: Seehunde wandern Flüsse hinauf
„Wir beobachten seit einigen Jahren, dass Seehunde vermehrt landeinwärts wandern“, sagt der zuständige ehrenamtliche Seehundjäger Henning Jürgens. Vermutlich folgen die Tiere dem reichen Nahrungsangebot in den immer sauberer werdenden Flüssen. „Darum ist es gar nicht so selten, dass die Tiere in Flüssen gesichtet werden. Das reicht in der Elbe bis nach Geesthacht, wo neulich ein Seehund an der dortigen Fischtreppe gesehen wurde.“ Für Elmshorn, so der Experte, sei der Seehundbesuch allerdings ungewöhnlich.
Deshalb gibt es im Rathaus kaum Erfahrungswerte im Umgang mit Robbenbesuch. Selbst Umweltamtsleiter Schmidt-Hilger musste sich zunächst Expertise in der Seehundstation Friedrichskoog holen. Tatsächlich, so die Auskunft, müsse man sich keine Sorgen um das Tier machen. Es sei freiwillig in die Krückau geschwommen, sehe weder krank noch unterernährt aus. Und wenn der Seehund wolle, sei er auch in der Lage, allein wieder zurück in die Elbe oder das Meer zu finden. Es gebe nur die grundsätzlich Bitte, den Seehund soweit es geht in Ruhe zu lassen.
Seehund in der Krückau – Ruheplätze sind rar
„Seehunde schwimmen nicht 24 Stunden am Stück, sondern benötigen Pausen, in denen sie sich ungestört an Land ausruhen können“, so Schmidt-Hilger. „Deshalb appelliere ich an alle verständlicherweise verzückten Elmshorner, dem Tier nicht zu nahe zu kommen oder gezielt auf Sichtungsjagd zu gehen.“ Insbesondere Hundehalter sollten ihre Tiere anleinen. Seehunde seien empfänglich für Krankheiten, abgesehen von dem Stress, den eine Begegnung mit einem Hund auslösen würde.
Für Seehundjäger Jürgens, einer von 40 ehrenamtlichen Experten in Schleswig-Holstein, besteht angesichts der bisherigen Lage kein Grund zum Eingreifen. Kurzzeitig sei zwar darüber nachgedacht worden, das Tier mit einem speziellen Netz zu fangen. Doch der Aufwand dafür wäre zu groß, zumal es der Robbe in Elmshorn offenkundig gut gehe. „Sollte sich das ändern, müssten wir noch einmal darüber nachdenken“, so Jürgens. Bisher will es aber auch die Stadt bei einem Appell an die Menschen belassen – und das Tier nicht weiter in Aufregung versetzen.
Gemeine Seehunde, etwa 90.000 leben an den europäischen Küsten, sind grundsätzlich Meeresbewohner. Studien zeigen, dass sie häufig mehr als 100 Kilometer weit ins offene Meer hinaus schwimmen. Allerdings brauchen sie Ruheplätze wie Sandbänke, die meist in Küstennähe liegen, oft in Gezeitengebieten oder Flussmündungen. Darum können die bis zu 1,7 Meter langen Tiere auch sehr gut in Brack- oder Süßwasser leben. Voraussetzung: Es gibt genügend Fische. Während Seehunde früher relativ regelmäßig die Flüsse hinauf geschwommen sind, machen es ihnen heute Schleusen und Wasserbauwerke schwer, in Binnengewässer vorzustoßen.
Auch die Krückau ist in Seestermühe mit einem Sperrwerk zeitweise von der Elbe getrennt. Experte Jürgens sagt aber, dass Seehunde kein Problem damit haben, bei den für die Schifffahrt geöffneten Toren mit hindurch zu schlüpfen und so den 37 Kilometer langen Elbnebenfluss hinauf zu schwimmen. Wo sich der junge Seehund in dem übersichtlichen Flussraum ausruht, ist bislang nicht bekannt. „Sollte sich das Tier einen festen Ruheplatz suchen, sollte man das Gebiet weiträumig absperren“, empfiehlt der Seehundfachmann.
Warum Süßwasser kein Problem für Robben ist
Der Wechsel des Speiseplans von Meeresfischen zu Süßwasserbewohnern in Flüssen bereite einem Seehund keine Bauchschmerzen, sagt Henning Jürgens. „Fisch ist Fisch“, so der Seehundjäger. Fotos anderer Seehunde im Süßwasser zeigen zudem etwa, wie sich ein Tier sogar an einem Hecht satt frisst. Auch mit Barschen, Karpfen und Aalen werden Seehunde mühelos fertig. Jüngst haben Wissenschaftler erstmals den Magen eines Seehundes, der im Süßwasser gestorben war, untersuchen können. Im Ijsselmeer, einem Binnengewässer an der niederländischen Küste, hatte sich das Tier vor allem von Flundern, Stinten und Flussneunaugen ernährt. Erwachsene Tiere tauchen im Meer sonst bis zu 200 Meter tief und 30 Minuten lang, um Heringen, Sardinen, Dorschen, Lachsen oder Plattfischen nachzujagen.
In Elmshorn handelt es sich allem Anschein nach um ein jüngeres Tier, die sich meist von Krebs- und Weichtieren ernähren. „Dafür spricht“, so Seehundjäger Jürgens, „dass der Seehund in der Krückau offenbar wenig Scheu vor Menschen hat oder sich nicht von der Nähe zu ihnen gestört fühlt.“ Es könnte sich sogar um eine Aufzucht aus der Seehundstation Friedrichskoog handeln, da diese Jungtiere den Umgang mit Menschen kennen.
Wie lange der Seehund bleibt? „Das kann niemand sagen“, meint Umweltamt-Chef Schmidt-Hilger. Meist machen dich die Flussbesucher nach einer Weile auf den Rückweg – und lassen sich mit dem Schleusenwasser wieder in die Elbe und damit zurück ins Meer spülen.