Pinneberg. Die Pinneberger Fotografin Kathrin Wahrendorff segelte mehrmals auf dem Marineschiff mit. Ihre Fotos erscheinen nun in einem Buch.
Die Pinneberger Fotografin Kathrin Wahrendorff hat die „Gorch Fock“ auf mehreren Reisen begleitet. Sie schlief in einer Hängematte in den Mannschaftsräumen, speiste mit Kommandanten in der Offiziersmesse, erlebte heftige Stürme, den Tod einer Kadettin, bangte um die Zukunft des maroden Marineschulungsschiffes.
Sie kam der Crew so nah, wie kaum ein anderer ihrer Kollegen. „Mir ging es immer um die Menschen“, sagt die Pinnebergerin. Ihre beeindruckenden Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus zwei Jahrzehnten erscheinen nun in dem Buch „Mythos Gorch Fock“, herausgegeben von Oliver Wurm.
Wahrendorffs erste Begegnung mit der „Gorch Fock“ war Zufall. „Mein Mann Jost montierte im Sommer 1966 eine Navigationsanlage auf dem Forschungsschiff ,Planet’ in Kiel. Als ich ihn besuchte, lief gerade die ,Gorch Fock’ aus ihrem Heimathafen Kiel aus“, sagt die 75-Jährige. Sie griff zu ihrer Rolleiflex und drückte den Auslöser. Sie und ihr Mann sind selbst begeisterte Mitsegler. „Aber die ,Gorch Fock’ ist doch ein ganz anderes Kaliber.“ Damals ahnte sie nicht, dass sie das berühmte Schiff auf mehreren Fahrten begleiten würde.
1999 segelte die „Gorch Fock“ von Venedig ging es nach Nizza
An Bord kam Wahrendorff erst im Sommer 1999. Das Schulungsschiff der Marine lag in Kiel. Ein Anblick, den einige Künstler an der Pier festhielten. „Der Erste Offizier kam von Bord und schaute sich die Werke an. Wir kamen ins Gespräch, ich erzählte ihm, dass ich Fotografin bin. Er lud mich auf das Schiff ein“, erinnert sich Wahrendorff. Daraus ergab sich die Gelegenheit, bei einem eintägigen Törn von Kiel nach Rostock dabei zu sein – als einzige Frau an Bord. Einige abergläubische Seeleute sahen darin noch ein böses Omen, nicht so Kapitän John Schamong. „Ihm habe ich zu verdanken, dass ich wenig später zu meiner ersten großen Reise mit dem legendären Großsegler aufbrechen durfte.“ Von Venedig ging es nach Nizza.
Ein Oberleutnant und drei Kadetten holten sie mit dem Rettungsboot der „Gorch Fock“ ab, fuhren mit ihr durch die Kanäle und brachten sie auf das Schiff. Nur eine weitere Frau, die sich für den Sanitätsdienst in der Marine vorbereitete, ist mit an Bord. Der Kapitän stellt sie der Mannschaft vor, die Jungs stehen Spalier. „Ich habe meine Kamera erstmal in der Tasche gelassen und das Gespräch gesucht“, sagt sie. So gewinnt sie das Vertrauen, baut Berührungsängste ab. „Nach ein paar Tagen gehörte ich einfach dazu.“
Das Fotografieren bei stürmischer See ist herausfordernd. „Ich werde zum Glück nicht seekrank, aber bei Sturm wird das Fotografieren immer schwieriger und gefährlicher“, sagt die Pinnebergerin. Bei Wellengang stabilisierten die Kadetten sie auch mal mit einem beherzten Griff, damit die Fotos nicht verwackelten. Oder sie legte ihnen das Objektiv auf der Schulter ab, um die Kamera möglichst ruhig zu halten.
„Gorch Fock“-Unglück: 2008 geht eine Kadettin über Bord
Wahrendorff, eigentlich gelernte Drogistin, studierte Psychologie, kam spät zur Fotografie, wagte mit Mitte 40 den Neuanfang, studierte bei der Fotografen-Legende Jochen Blume. Heute drucken Magazine wie Mare, Spiegel oder das Zeit Magazin ihre Fotos von Waisenkindern in Tansania, der Manga-Convention, kriminellen Jugendlichen, der Wave-Gotik-Szene oder Transsexuellen in Pakistan.
Als Kathrin Wahrendorff am 28. August 2008 in Kiel für ihre zweite große Reise mit der „Gorch Fock“ einschifft, sind 24 Frauen an Bord der mehrmonatigen Ausbildungsreise. Die meisten Frauen wollen nach der Offiziersausbildung Ärztin, Zahnärztin oder Apothekerin werden. Aber einige von ihnen möchten auch die klassische Marineoffizier-Laufbahn einschlagen. Die Reise sollte bis Cádiz in Andalusien gehen. „Den Frauen galt mein besonderes fotografisches Interesse“, sagt sie. Was sie beim Antritt der Reise nicht ahnen kann: eine Kadettin wird über Bord gehen und sterben.
„Über meiner Hängematte schlief eine 18-jährige Kadettin, die bei der Marine Medizin studieren wollte, um später als Ärztin bei der Bundeswehr zu arbeiten. Jeden Abend hat sie ihre wunderschönen rotblonden Haare gebürstet. Wir haben öfter miteinander geredet, etwa über unsere Lieblingsbücher“, erinnert sich Wahrendorff. In der Nacht vom 3. auf den 4. September 2008 geschieht das Drama. Die Kadettin hat kurzfristig ihren Dienst getauscht und gehört am Abend zu der 30-köpfigen Segelwache auf dem Posten Ausguck am Bug.
2019: Die Zukunft der „Gorch Fock“ ist ungewiss
Das Wetter ist schlecht, der Wind stark. Kurz vor Mitternacht kommt über Lautsprecher das Signal „Mann über Bord“. Der diensthabende Offizier fügt hinzu: „Dies ist keine Übung.“ „Die Kadettinnen und Kadetten springen förmlich aus ihren Hängematten, ziehen sich im Eiltempo an, laufen nach oben. Ich bleibe zunächst unter Deck. Mit den Offizieren habe ich es so vereinbart, falls ein Ernstfall eintreten sollte“, sagt sie.
Aus dem Bullauge beobachte sie, wie Suchscheinwerfer über das Meer gleiten. Der Lichtstrahl endet immer wieder an der nächsten hohen Welle. Die Besatzung sucht Stunde um Stunde, Küstenwache, Militär, Handelsschiffe kommen zur Hilfe – vergeblich. Der Leichnam der jungen Offiziersanwärterin, die einen Tag vor ihrem 19. Geburtstag ertrank, wird erst elf Tage später, am 15. September 2008, von einem Forschungsschiff etwa 120 Kilometer nordwestlich von Helgoland geborgen. Die Fahrt wird abgebrochen, endet im Marinestützpunkt Wilhelmshaven.
„Als ich die ,Gorch Fock’ am 21. Juni 2019 nach langer Zeit wiedersah, war ich erschrocken. Ich hatte natürlich von den Problemen bei den seit Dezember 2015 andauernden Sanierungsarbeiten gelesen, von der Kostenexplosion, von Korruptionsvorwürfen“, sagt Kathrin Wahrendorff. Aber der Anblick sei ein Schock gewesen. „Nur noch der mit grüner Schutzfarbe gestrichene Rumpf war zu sehen, ohne Aufbauten und Ausstattung.“
Schulungsschiff „Gorch Fock“ wird fertig saniert
Kommandant Nils Brandt hatte sie eingeladen. „Ich kannte den Kapitän noch von meiner ersten großen Reise von Venedig nach Nizza 1999, damals war er als Offizier an Bord gewesen.“ Nun wollte die Fotografin den Fortgang der Sanierung im Bild festhalten.
An diesem 21. Juni 2019 hatte die „Gorch Fock“ im Dock der Bredo-Werft in Bremerhaven nach dreieinhalb Jahren Sanierung erstmals wieder Wasser unterm Kiel. Vorausgegangen war ein monatelanger Streit zwischen den beteiligten Werften und dem Verteidigungsministerium. Der einstige Stolz der Marine galt angesichts der dramatisch gestiegenen Sanierungskosten als Millionengrab. „Ich wusste nicht, dass an diesem Tag noch hoher Besuch erwartet wurde: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.“
Während der Medientross, der sie begleitete, auf der Pier bleiben musste, konnte Wahrendorff als einzige Fotografin den hohen Besuch an Bord festhalten. Ende Juni 2019 entschied die Verteidigungsministerin, dass die Sanierungsarbeiten an der „Gorch Fock“ abgeschlossen und das schöne Segelschiff gerettet werden soll. „Ich war erleichtert.“
Lesen Sie auch „Auf der Gorch Fock zeigt sich der wahre Charakter“ auf Seite 10 mit einem Interview mit Kapitän Nils Brandt, der seit 2014 das Kommando auf der Gorch Fock hat.