Pinneberg. Polizei und Staatsanwaltschaft berichten von zunehmender Zahl falscher Dokumente. Und diese zu erkennen, wird immer schwieriger.
Echt oder nicht? Kritisch beäugt der Pinneberger Apotheker Christoph Schostek einen Impfausweis, die Stirn runzelnd, was ihm dieser Tage alles vorgelegt wird. Erst nach gründlicher Überprüfung kann er ein Corona-Impfzertifikat ausstellen.
Für viele Menschen ist das wichtig. Denn wer noch am gesellschaftlichen Leben teilhaben möchte, braucht eine Corona-Impfung – oder einen Fake-Impfausweis. Das Geschäft mit gefälschten Impfpässen floriert. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, falsche Papiere zu identifizieren.
Gefälschte Impfpässe: Deutlicher Anstieg der Ernmittlungsverfahren
Insbesondere seit Einführung der 2G-Regel am 22. November, meldet das Landeskriminalamt (LKA) Schleswig-Holstein einen deutlichen Anstieg. Die Polizeieinsätze in Apotheken häufen sich. Ein Viertel aller Fälle in Schleswig-Holstein entfällt auf das Gebiet der Polizeidirektion Bad Segeberg, die auch für den Kreis Pinneberg zuständig ist.
Auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Itzehoe bestätigt einen Anstieg der Ermittlungsverfahren gegen Impfpassbetrüger im zeitlichen Zusammenhang mit der 2G-Regel. Bemerkt wird der Impfpass-Schwindel vor allem in Apotheken, wo die Fälscher versuchen, sich ein offizielles digitales Impfzertifikat zu erschleichen. Doch eine genaue Kontrolle, bei der jede Fälschung entlarvt wird, können die meisten Apotheken gar nicht gewährleisten.
Strafmaß für die Betrüger ist umstritten
Inzwischen ist es kinderleicht, an einen Fake-Impfpass zu kommen. Auf diversen Internetplattformen und sozialen Medien werden die Pässe verkauft. Für 130 bis 200 Euro werden die Nachbildungen per Post direkt nach Hause geliefert. Die Fälscher bleiben dabei anonym und gehen zum Teil sehr professionell vor, sodass die Fälschungen kaum noch von den Originalen zu unterscheiden sind.
Umstritten ist aktuell das Strafmaß für die Betrüger. Das Herstellen der Fälschungen ist ganz klar strafbar. Doch bei der Benutzung sah es lange anders aus. Bislang hieß es im Strafgesetzbuch, wer von einer Fälschung „zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht“, mache sich strafbar. Dies galt jedoch nicht bei Privatunternehmen – und zu denen zählen Apotheken.
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Vorlegen einer Fälschung ist erst seit Kurzem strafbar
Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), forderte Anfang November eine Gesetzesänderung: „Impfpassfälschungen sind kein Kavaliersdelikt, man gefährdet damit nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen. Die Abschreckungswirkung nimmt sicherlich zu, wenn eine strafrechtliche Verfolgung droht, sobald man einen gefälschten Impfpass in Social-Media-Foren kauft und benutzt.“
Seit dem 24. November gibt es nun eine solche Gesetzesänderung, die für den Gebrauch eines gefälschten Gesundheitszeugnisses eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vorsieht – egal, wo die Fälschung vorgelegt wird (Paragraf 279 StGB).
Deutlich mehr Arbeitsaufwand bei dubiosen Impfausweisen
Derweil herrschen in den Apotheken chaotische Zustände. Theoretisch ist der Digitalisierungsprozess der Impfzertifikate ganz einfach. Über ein Online-Portal werden Name, Geburtsdatum, Impfstoff sowie Datum und Anzahl der Impfungen eingetragen und ausgedruckt. Das dauert gerade einmal zwei Minuten. Doch kommt ein Impfausweis den Apothekenangestellten dubios vor, bedeutet das einen ganz anderen Arbeitsaufwand. Zunächst müssen die Stempel und Chargennummern überprüft werden.
In vielen Fällen stimmt der Name des Arztes nicht mit der Praxis überein. Das gilt es dann nachzuverfolgen, was oft eine halbe Stunde dauern kann. Während dieser Zeit müssen die Kunden dann oft hingehalten werden. Denn laut Polizei ist es am besten, die Täter auf frischer Tat zu ertappen.
Es gibt Forderungen nach einem fälschungssicheren Impfausweis
Für jedes ausgestellte Impfzertifikat bekommen die Apotheken zurzeit sechs Euro. „Dafür lohnt sich die Detektivarbeit und der damit verbundene Zeitaufwand einfach nicht“, sagt Christoph Schostek, Geschäftsführer der Pinneberger Flora Apotheke. Viele Fälschungen würden ohnehin nicht erkannt, weil sie mittlerweile täuschend echt aussehen.
Zur besseren Erkennung der rechtmäßigen Impfungen forderte der nordrhein-westfälische LKA-Chef Ingo Wünsch gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger: „Wir kommen an einem fälschungssicheren Impfzertifikat mit vergleichbaren Sicherheitsmerkmalen wie bei Bargeld und Passpapieren, in Zukunft nicht vorbei.“ Seit diesem Sommer verfügen die Impfaufkleber in den Pässen über ein Wasserzeichen, das jedoch nicht im Entferntesten mit dem auf einem Geldscheins oder mit den Hologrammen im Personalausweis vergleichbar ist. „Die neuen Aufkleber können genauso leicht gefälscht werden“, sagt Christoph Schostek dazu.
Ganz ordentlich ausgefüllter Impfpass weckt Misstrauen
Er zeigt auf einen Impfpass, den er zertifizieren soll. Aus Platzmangel wurde die Boosterimpfung einfach mitten auf die vorgedruckte Schrift des Passes eingetragen. Unterschrift und Stempel sind kaum zu erkennen. „Wie soll man bei so schlampigen Einträgen noch den Unterschied von Echt und Fake erkennen?“ Jeder Impfeintrag sieht anders aus. Jede Arztpraxis hat freie Gestaltungsgewalt für ihre Stempel. Die Stempel der Impfzentren ändern sich teilweise. „Unmöglich, da einen Überblick zu behalten“, sagt der Apotheker.
Wenn ein Impfpass mal sauber und ordentlich ausgefüllt wurde, weckt es eher das Misstrauen. Es fehle an Einheitlichkeit, die das Kontrollieren deutlich erleichtern würde. Sogar die Aufkleber fehlten manchmal. Und das schlicht, weil die Ärzte keinen mehr auf der Ampulle übrig hatten. „Wir brauchen klare Vorgaben von der Bundesregierung“, fordert Schostek.
Digitaler Impfpass schon seit drei Jahren in Planung
Das und die langsame Digitalisierung seien das Hauptproblem. Die ABDA kritisiert: „Gäbe es schon heute einen digitalen Impfpass oder eine zentrale Impfdatenbank statt des gelben Büchleins, dessen Vordruck jederzeit und überall zu bekommen ist, wäre diese Art der Fälschung überhaupt nicht möglich.“ In Schweden hat sich der digitale Impfpass bereits bewährt. In Deutschland ist dieser schon seit guten drei Jahren in Planung. „Es ist immer noch nichts dabei rumgekommen. Wir leben doch nicht mehr im 18. Jahrhundert,“ sagt Schostek dazu.
Die Digitalisierung der Corona-Impfungen sei nur aus der Not der Pandemie heraus vorgezogen worden. Die Digitalen-Zertifizierungen erfolgen bundesweit über ein einziges Online-Portal des Deutschen Apotheker Verbandes (DAV). Dort werden aktuell etwa 10.000 Zertifikate pro Stunde ausgestellt, was zu erheblichen Verzögerungen führt. „Das System ist einfach überlastet“, sagt Christoph Schostek.
Apotheker zertifiziert nur noch Impfpässe aus dem Kreis
Mittlerweile zertifiziert er nur noch Leute aus dem Kreis. Es sei schwer nachzuvollziehen, ob die Impfungen rechtens sind, wenn er die Praxen und Impfzentren nicht kenne. „Es ist schon verdächtig, wenn jemand aus Kiel oder sogar aus einem ganz anderen Bundesland sein Zertifikat in Pinneberg holt.“ Bei besonders zweifelhaften Exemplaren behält Schostek den Impfpass meistens ein und meldet es der Polizei. „Im ländlichen Raum, wo man einander kennt, ist es noch harmlos“, sagt Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein. Anonyme Großstädte lockten eher Fälscher an. Christiansen: „Die Apotheken sind zu einer Kontrolle verpflichtet, die in der gewünschten Gründlichkeit gar nicht umsetzbar ist.“