Barmstedt. Vor 300 Jahren wurde Christian Detlef Rantzau erschossen – damals ein weltgeschichtliches Ereignis. Was Forscher jetzt wissen.
Es war wohl bis heute das einzige erfolgreiche Attentat auf einen Staatschef im Kreis Pinneberg: der Mord an Reichsgraf Christian Detlef Rantzau. Im November 1721, vor genau 300 Jahren, ist der dritte Rantzauer Reichsgraf mit Sitz auf der Barmstedter Schlossinsel von einem Heckenschützen im nahen Vosslocher Wald erschossen worden. Er wurde 51. Wie er zu Tode kam und wer seine Mörder waren, ist nie richtig aufgeklärt worden. So ranken sich jede Menge Legenden um den Grafenmord, die der Museumsverein der Grafschaft Rantzau jetzt nach jahrelanger Archivarbeit von zeitgenössischen Quellen in wahre und falsche Behauptungen aufzudröseln versucht. Ein erstes Zwischenergebnis zum Tathergang und seiner Vorgeschichte ist jetzt in einer ebenso akribisch wie liebevoll zusammengestellten Ausstellung im Museum, dem ehemaligen Amtsgericht von 1863, zu bestaunen.
Das Attentat auf Graf Christian Detlef Rantzau war nicht nur ein lokales Ereignis. Es leitete das Ende der Grafschaft nach nur drei Generationen ein, die 1726 mit der Verurteilung des 18 Jahre jüngeren Grafenbruders Wilhelm Adolph Rantzau zu lebenslänglicher Kerkerhaft an die dänische Krone fiel.
Für die damaligen Großmächte war die Grafschaft wichtig
Die Grafschaft, die das heutige Gebiet zwischen Barmstedt, Elmshorn, Hörnerkirchen und Ellerhoop umfasste, 230 Quadratkilometer, wobei zum Besitz der Grafen auch die Güter Breitenburg, Drage und Neuendorf gehörten, spielte eine Rolle im machtpolitischen Kalkül der damaligen Großmächte im Laufe des 20 Jahre wütenden Nordischen Krieges zwischen Dänemark, Russland, Preußen und Sachsen-Polen auf der einen sowie Schweden und Schleswig-Holstein-Gottorf auf der anderen Seite. Dessen zeitliches Ende ging einher mit der Ermordung des Grafen und brachte Dänemark das Herzogtum Schleswig und mit der Grafschaft Rantzau schließlich auch einen weiteren Teil der Herrschaft über Holstein ein.
Kein Wunder also, dass 22 Jahre später der Geschichtsschreiber Andreas Lazarus von Imhoff in seiner Weltchronik mit dem Titel „Neuer eröffneter Historischer Bildersaal, achter Teil“ unter dem Titel „Dänische Geschichten“ den „Meuchelmord des Grafen Ranzau“ nicht nur beschreibt, sondern auch anschaulich illustriert. „Der Grafenmord war damals ein Ereignis, das seinen Platz in dieser Chronik der Weltgeschichte fand“, sagt Michael Theilig vom Museumsverein, der zwei Jahre lang gut 2000 Seiten Archivmaterial aus Kopenhagen und Schleswig dazu studiert hat. Chronist von Imhoff beschuldigt darin gemäß der Dänemark-freundlichen Version den Grafenbruder als Täter, weil beide seit vielen Jahren in „Zwist und Feindschafft“ lebten und „es allbereit zu vieler Thätlichkeit zwischen ihnen gekommen“ sei.
Die Illustration dazu von 1733 hängt vergrößert und nachcoloriert nun mitten in der Ausstellung. Sie zeigt, wie Graf Christian Detlef an jenem 10. November 1721 von einem „starken Schuss“ getroffen, bereits aus dem Sattel geworfen, quer über seinem flüchtenden Pferd hängt. Verfolgt von drei Heckenschützen zu Pferde und beobachtet von seinem Leibjäger, der ihn auf dieser morgendlichen Schnepfenjagd begleitet hatte.
Nach den Recherchen des Museumsvereins hat sich das Attentat allerdings etwas anders abgespielt. Die Heckenschützen lauerten im Gebüsch und schossen stehend hinter einer alten Eiche verborgen auf den Grafen. Ein Stück der Eiche und etwas Unterholz aus dem Vosslocher Wald sorgt für authentische Atmosphäre im Museum. „Wir haben den Wald des Tatortes nachgebaut“, sagt Hans-Albrecht Hewicker, der diesen Wald mehr als 30 Jahre lang als Förster betreut hat.
Auf den Grafen waren viele Attentate verübt worden
Es war auch nicht das erste Attentat auf Christian Detlef, der 1697 nach dem Tod seines Vaters Detlef Rantzau als ältester von noch drei lebenden ursprünglich 14 Geschwistern die Reichsgrafschaft übernahm. Schon 1705 musste er sich mit Unterstützung von 60 Gottorfer Dragonersöldnern blutig eines Bauernaufstandes erwehren, der sich gegen seine tyrannische Herrschaft richtete. Statt ihm zu helfen, verdrängten sie ihn jedoch von der Macht. Im Sommer 1720 kehrte Christian Detlef nach fünfjähriger Haft in Brandenburg und Preußen zurück nach Barmstedt. Der preußische König Friedrich-Wilhelm I. hatte ihn 1715 wegen angeblicher Sodomie verhaften lassen, wie damals die unter Strafe stehende Homosexualität bezeichnet wurde.
Inzwischen hatte sein Bruder Wilhelm Adolph die Grafschaft übernommen und die neue Heiligen-Geist-Kirche errichten lassen. Diesen vertrieb Christian Detlef auf den Landsitz Drage bei Itzehoe mit Hilfe von Söldnern aus Hamburg. Als er die nicht bezahlen wollte oder konnte, meuterten sie und plünderten das Schloss und schossen auf den Grafen, der sich in seinem Schlafzimmer verbarrikadierte. Dabei kam sein Kammerjäger ums Leben. Dieser Aufstand und Mordversuch ist ebenfalls in einem Modell im Museum liebevoll nachgestellt.
Grafenmord: Forscher vom Museumsverein haben och nicht alle Fragen geklärt
Wenige Wochen später wäre der wieder inthronisierte Graf Christian Detlef nach einer möglichen Vergiftung beinahe einem Blutsturz erlegen und von „maskierten Kerlen“ an der Brücke Thiensen in Ellerhoop beinahe überfallen worden. Und im Frühjahr 1721 überlebte er einen Brandanschlag, der auf seine Villa in Hamburg verübt wurde, wo der Graf meist in Saus und Braus gelebt haben soll. Kurz darauf verfehlten ihn zwei Schüsse, die bei seinem Besuch auf Gut Kaden in Alveslohe aus dem Hinterhalt auf ihn abgegeben wurden.
Für den Museumsverein endet diese „spannende und aufregende Geschichte“ hier noch längst nicht. „Unsere Forschungsarbeit geht weiter“, kündigt Theilig an. Es müssten noch Quellen in Schwerin, Berlin und Wien, wo Kaiser Karl VI. residierte, gesichtet und eingeordnet werden. Nach der detailgenauen Darstellung des Tatverlaufs und seiner Vorgeschichte, die bis Ostern 2022 im Museum zu sehen ist, soll der Mordprozess vor dem Criminalgericht beschrieben werden, das vier Jahre lang in Rendsburg tagte und 1725 mit der Verurteilung des angeblichen Mörders Detlef Prätorius und 1726 mit der lebenslangen Einkerkerung seines angeblichen Auftraggebers, des Grafenbruders Wílhelm Adolph, beendet wurde. Prätorius, Sohn des damaligen Elmshorner Kirchspielbevollmächtigten und Leutnant der sächsischen Armee, wurde mit dem Tod bestraft. Er ist geköpft und gerädert worden, was in dieser Reihenfolge damals als „die humanere Todesstrafe“ galt, erklärt Hewicker vom Museumsverein. Alle Zeugenaussagen sind damals unter Folter zustande gekommen. Und der Leibjäger des Grafen, der Zeuge der Ermordung war, ist nie befragt worden.