Elmshorn. Künstlerin Maiken Brathe setzt ihrer Heimat ein literarisches Denkmal. Warum „Tilda“ in Elmshorn spielt.
Der Name Maiken Brathe dürfte in Elmshorn vielen bekannt sein. Unter dem Titel „Mikrokosmos – kleine Schönheiten“ zeigte die Künstlerin 2015 im Johannis Hospiz farbenfrohe Makro-Fotografien von Insekten oder Schmetterlingen, die in Blüten nach Honig suchen oder zwischen Regentropfen sitzen.
Debütroman „Tilda“ spielt in Elmshorn
Doch nicht nur Grünflächen oder den Liether Wald kennt die gebürtige Hamburgerin, die bereits seit 1999 in der Krückaustadt lebt, sehr gut. „Elmshorn ist optimal und schön“, meint sie und daher sei es nur folgerichtig, dass ihr Debüt-Roman „Tilda“ in ihrer Heimatstadt spielt. Die Idee, ihn dort anzusiedeln, kam ihr, als sie mit dem Auto an den Siedlungshäusern an der Kaltenweide vorbei fuhr. Eine Frau fegte gerade den Bürgersteig vor dem Block aus den 50er-Jahren und unterhielt sich währenddessen mit einem Nachbarn. „Mir war sofort klar, Susanna, die Hauptfigur des Romans, lebt in genau so einem Haus.“
In dem Roman der 51-jährigen Schriftstellerin geht es um Susanna, die um ihre Lebenspartnerin Anna trauert, die bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben kommt. Zwei Jahre später stößt Susanna zufällig auf Notizen, die alles nur noch schlimmer machen. Sie entdeckt, dass es im Leben von Anna eine Tilda gab und fällt in ein rabenschwarzes Loch. Wie soll sie dort je wieder herauskommen?
Es ist der Fußpfleger Chrischi, der sie wieder auf die Füße stellt. Der halb so alte Liebhaber ihrer schrulligen Mutter bringt ihr den Professor vorbei: einen traurigen, kahlen Hund, der um sein Herrchen trauert. Susanna will weder ihre nervige Mutter, den naiven Chrischi noch den Hund, der „aussieht wie ein Verkehrsunfall“ um sich und flieht in eine Buchhandlung. Und dort trifft sie eine junge Buchhändlerin, die unwiderstehlich nach Blumenwiese duftet, die sie verzaubert, bis sie ihren Namen erfährt.
Geschichte von Loslassen, Liebe und Lebensmut
Maiken Brathe erzählt mit viel Empathie, mit Fingerspitzengefühl und sanftem Humor vom Loslassen, von Liebe und Lebensmut. Inspiriert wurde sie von der wahren Lebens- und Liebesgeschichte zweier Elmshornerinnen und späteren Freundinnen, die sie im Liether Wald während Spaziergängen mit ihrem Mischlingshund Fritzi kennengelernt hatte. Sie waren es auch, die das Exposé als erste lesen durften.
Auch sonst fließt viel Reales und Autobiografisches in diese Geschichte ein. So ist die weibliche Hauptfigur Journalistin, weil sie selbst bis 2019 als Redakteurin tätig war. Und Anna hegt und pflegt die Insektensammlung ihres verstorbenen Vaters. „Ich finde Insekten einfach toll“, erklärt die Autorin. Das erklärt auch, warum jedes Kapitel mit Erklärungen zu Flug- und Krabbeltieren beginnt und Motten das Cover des Taschenbuches zieren.
1970 in Hamburg geboren, wuchs Brathe auf dem platten Land auf. Mit zehn Jahren erkrankte sie unheilbar an Rheuma in allen Gelenken und wurde zum Pflegefall. Nach einer Odyssee durch Kliniken erkämpfte sie sich wieder mehr Mobilität und studierte Germanistik, Journalismus und Politische Wissenschaften. Zur Literatur kam sie schon früh. „Ich komme aus einem Bildungshaushalt, da muss man einfach lesen.“
Begeisterung fürs Schreiben in der Jugend gelegt
Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“ las sie mit 15 Jahren mit solcher Begeisterung, dass sie zum Abschluss ihres Studiums eine Magisterarbeit über die österreichische Schriftstellerin schrieb. Nach dem Studium schrieb sie für die Uetersener Nachrichten über Goldene Hochzeiten oder Frauenthemen. „Das hat mir viel Spaß gemacht.“ Heute verfasst sie Essays und Glossen für die Zeitschrift »mobil« der Deutschen Rheumaliga sowie Kurzgeschichten für Literaturzeitschriften und Anthologien. „Ich sehe überall Geschichten. Der Stoff wird mir nicht ausgehen“, sagt sie zuversichtlich.
2016 habe sie den Entschluss gefasst, Schriftstellerin zu werden. Seit Mai 2019 „erlaube ich zu sagen, dass ich eine bin“. Neben „Tilda“ erscheint Ende Oktober auch noch ein Sachbuch der Gewinnerin des Uli-Horn-Preises 2008 und Preisträgerin des Edgar-Stene-Prize 2018. „Leg schon mal die Handtücher auf die schönsten Wolken“ ist ein Sachbuch über die Sterbebegleitung ihrer Mutter. Die beschützende Mutter von einst ist nun diejenige, die ihre erwachsene Tochter braucht, um „Angstmonster zu bändigen“ und mit Würde den Kampf gegen den Lungenkrebs zu bestreiten. Fragen wie „warum gerade wir?“, „ist es normal, was ich fühle?“ und „was kann ich tun?“ werden beantwortet. Es gibt Einblicke, wie eine krankheitserprobte Familie die Ausnahmesituation bewältigt.
Eine Lesung „Tilda“ ist in der Stadtbibliothek an der Königstraße in Planung. Sie freut sich drauf, denn „ich lese schrecklich gerne vor“.