Hamburg/Rensburg. Arztschiff aus Hamburg ist ein schwimmendes Denkmal. Wer den Kapitän falsch anspricht, zahlt zwei Euro in die Kombüsen-Kasse.

Gerade zeigte sie sich stolz bei der Parade der Traditionsschiffe beim Elbfest. Die Hafenarztbarkasse „Hafendockter“ ist ein Hingucker. Auch auf der Elbe. Im Nord-Ostsee-Kanal. Auf der Ostsee. Im Elbe-Lübeck-Kanal.

Unterwegs heißt es, große Pötte gucken und kleine Segler, der rasanten Helgolandfähre ausweichen, unter Europas höchstem Strommast bei Hetlingen kreuzen und gegen die Tide anstampfen, wenn die Flut von der Nordsee in den Hafen drängt. Gemütlicher ist es auf dem Nord-Ostsee-Kanal trotz seiner angriffslustigen Schwäne und versnobten Nonnengänse, die es zu umschiffen gilt, während es sich am Ufer Angler, Picknicker und Sonnenhungrige gutgehen lassen und den Kanal-Schippern fröhlich winken. Wer die Barkassen-Kapitäne „Skipper“ nennt, zahlt zwei Euro in die Kombüsen-Kasse, denn Skipper heißen bekanntlich nur die Captains der Segler.

Hafenarztbarkasse: Auf der Elbe Richtung Rendsburg

Es ist ein besonderer Törn, mit zirka fünf bis zehn Knoten mit der „Hafendockter“ Elbe abwärts zu fahren, dann rechts in den Nord-Ostsee-Kanal einzubiegen und damit das geschäftige Dröhnen auf der behäbigen Elbe gegen das beschauliche Plätschern des idyllischen Kanals zu tauschen. Dieser Kanal, den Kaiser Wilhelm II. bauen ließ und der folglich bis 1948 Kaiser-Wilhelm-Kanal hieß, entschleunigt. Auch dann, wenn ein Riesen-Container-Pott sich scheinbar unaufhaltsam von hinten an die „Hafendockter“ heranschiebt wie etwa die „Boldwind“, ein Windkraftrad-Transport-Gigant, der hohe Wellen schlägt und den Kahn mächtig ins Schaukeln bringt.

Schipper Christian Patza genießt die Fahrt nach Rendsburg.
Schipper Christian Patza genießt die Fahrt nach Rendsburg. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Die Crew der „Hafendockter“ bleibt gelassen. Da kann die Schnellfähre „Halunder Jet“ nach Helgoland mit noch so viel Speed vorbeirauschen, die Mannschaft hat alles im Griff, allen voran die Schipper Marco Schütte und Christian Patza, die sich bei der Fahrt ablösen. Ruhezeit muss sein, am besten direkt ganz oben auf dem Sonnendeck, während unten in der Kombüse Kaffee gekocht, Brötchen fürs Frühstück belegt, Salate und Würstchen fürs Mittagessen bereitet oder Kuchen für die Kaffeestunde geschnitten werden.

Tangstedter Ehepaar hat am Wiederaufbau mit angepackt

Allerdings: Wer mit der „Hafendockter“-Crew durch Häfen und Kanäle, über See und Flüsse schippern will, sollte nicht nur see-, sondern auch humorfest sein und (über sich selbst) lachen können, bis – buchstäblich auf diesem Kahn – der Arzt kommt. In dieser munteren Crew ist auch ein Tangstedter Ehepaar stark involviert – Erika Ahrens-Bülck und ihr Ehemann Klaus Bülck. Beide haben am Wiederaufbau des ehemaligen Sanitätsschiffs im Hamburger Hafen tatkräftig mit angepackt, geflext, geschleift, gepinselt und gemalt, Suppe gekocht und Kuchen gebacken. „Jeder Tag auf diesem Schiff ist wie ein Tag Urlaub“, sagen Erika und Klaus Bülck.

Gigantisch: Die „Boldwind“ transportiert Windkrafträder.
Gigantisch: Die „Boldwind“ transportiert Windkrafträder. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Entstanden ist nicht nur ein Elb-, Kanal- und Ostsee-tüchtiger Kahn, sondern gleich ein ganzer Verein, der Betreiberverein „Hafenarztbarkasse Hafendockter“. Das war 2014. Bis dahin hat die Barkasse so manchen Sturm überstehen müssen. 1929 ging sie als „Hafenarzt 1“ in Dienst und versorgte kranke Matrosen im Hamburger Hafen. Als die auch mit Hubschraubern von ihren Schiffen geborgen werden konnten, ging der schwimmende Hafenarzt in Rente und die Barkasse in den Verkauf. Doch wechselnde Besitzer taten dem Schiff nicht gut. Es sank an der Kehrwiederspitze, rostete dann im Wasser bei einer Werft vor sich hin, bis Schiffsmotoren-Freak Marco Schütte sein historisches Potenzial und seinen Charme entdeckte.

Mit der Barkasse elbabwärts Richtung Rendsburg

Die „Hafendockter“ wurde 1929 als Arzt-Schiff in Dienst gestellt und liegt heute im Museumshafen Oevelgönne.
Die „Hafendockter“ wurde 1929 als Arzt-Schiff in Dienst gestellt und liegt heute im Museumshafen Oevelgönne. © Klaus Bülck Betreiberverein Hafenarztbarkasse Hafendockter e.V. | Klaus Bülck Betreiberverein Hafenarztbarkasse Hafendockter e.V.

Marco Schütte suchte und fand Gleichgesinnte, die das alte Arzt-Schiff mit ihm in tage- und nächtelanger Arbeit und mit viel Geld wieder flottmachten – und schließlich in den Museumshafen Oevelgönne schleppen lassen durften. Seit 2016 steht die „Hafendockter“ auf der Liste der beweglichen Denkmäler der Hansestadt Hamburg. Vor allem auch, weil sie mit ihrer Originalausstattung glänzen kann, darunter das originale Steuerrad, originale Lampen, Holzelemente in Salon und Kombüse und Technik im Maschinenraum. Die „Hafendockter“ ist regelmäßig beim Hafengeburtstag, beim Elbfest und der Parade der Traditions- und Museumsschiffe dabei.

Wer sie indes so richtig gründlich erleben will, kann beim Betreiberverein einen Törn buchen, beispielsweise durch den Hafen, bei dem auch entlegene Ecken angefahren werden wie der Schiffsfriedhof, auf dem auch die „Hafendockter“ fast gelandet wäre. Oder elbaufwärts quer durch Hamburgs Gemüsegärten.

Spannend ist auch die Tour elbabwärts bis Brunsbüttel und dann rechts ab in den Nord-Ostsee-Kanal. Start ist in aller Frühe, wenn noch Nebel über die Elbe wabert, der die markante Silhouette der Elbphilharmonie in ein mystisches Märchenschloss verwandelt. Derweil findet jeder Gast an Bord der „Hafendockter“ seinen Platz und sichert sich einen guten Foto-Ausguck. Wenn allerdings die Containerriesen vorbeistampfen, können die Schiffs-Spotter schon mal von einer Bugwelle geduscht werden. Samt Kamera.

Strommasten und in die Jahre gekommene Kraftwerke

Immer wieder ein interessanter Anblick: das Schiffswrack bei Blankenese.
Immer wieder ein interessanter Anblick: das Schiffswrack bei Blankenese. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Rechts erhebt sich Blankenese, ein Schiffswrack am Strand erzählt von besseren (Ge-)Zeiten, das Mühlenberger Loch tut sich auf, und immer wieder Leuchttürme, rechts und links. Ein besonders verwunschenes Exemplar ist ein graues, fast fensterloses Haus, wie gemacht für einen Gruselfilm – und in der Tat spielte es auch schon in einem Krimi eine Rolle. Es steht am Elbstrand von Juelssand, gilt als Wahrzeichen von Hetlingen und ist seit 2017 im Besitz eines Leuchtturm-Fans aus Finkenwerder. Vorher jedoch schippert man unter Europas höchste Strommasten hindurch, von denen einer auf der Insel Lühesand und einer auf dem schleswig-holsteinischen Festland bei Hetlingen steht.

Auf der rechten Seite elbabwärts kommen dann die Relikte alter Protest-Bewegungen in den Fokus – die Kernkraftwerke Brokdorf und Brunsbüttel. Stumpf und grau künden ihre Kuppeln von dem Aufruhr, den ihr Bau in den 70er- und 80-Jahren verursachte. Brokdorf, 1986 von der Preussen-Elektra in Betrieb genommen, stellt seinen Betrieb zum 31. Dezember 2021 ein. Das Atomkraftwerk Brunsbüttel ist seit 2011 stillgelegt.

Industrie und Natur wechseln sich ab

Einfahrt in den Nord-Ostsee-Kanal durch die Schleuse bei Brunsbüttel.
Einfahrt in den Nord-Ostsee-Kanal durch die Schleuse bei Brunsbüttel. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Spannend gestaltet sich die Einfahrt durch die Brunsbütteler Schleusen in den Nord-Ostsee-Kanal, besonders, wenn sich das Tor hinter der „Hafendockter“ schließt und das Tor zum Kanal noch nicht geöffnet ist. Besatzungsmitglieder des russischen und arg rostigen Allzweck-Transporters „Sormovskiy 3064“ aus St. Petersburg beobachten die Freizeit-Schipper und ihre Gäste mit gleichgültigen Mienen. Die „Hafendockter“-Crew samt Schipper-Duo nutzt den Stopp zum „Landgang“ und posiert auf dem schmalen Steg zwischen Schleusenkammerwand und Wasser gut gelaunt für ein Foto.

Der Törn ist beschaulich ländlich und führt an Anlegestellen wie dem Fährhaus Hochdonn mit der alten Eisenbahnbrücke, an Fischerhütte, Ostermoor und Oldenbüttel mit ihren typischen holsteinischen roten Backsteinhäusern vorbei, unter der A 23 hindurch, auf der der Fernverkehr gen Süden düst, während sich backbord die knallrote „Kess“ vorbeischiebt, gefolgt vom Öl- und Chemietanker „Finja“ aus Cuxhaven, während an Land die Kneipe „Kanal 33“ grüßt. Dann wieder Stille. Am Ufer blühen das lila Feuerkraut, die gelbe Sonnenbraut und weiße Kamille, und ab und zu glotzt eine schleswig-holsteinische Schwarzbunte über ihr Wiesengatter.

„Hafendockter“ – Auf dem Törn gibt es viel zu sehen

Die Rendsburger Hochbrücke mit Schiffsbegrüßungsanlage.
Die Rendsburger Hochbrücke mit Schiffsbegrüßungsanlage. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Ein spektakuläres Bauwerk ist die Rendsburger Hochbrücke mit der Schwebefähre, gleich daneben liegt die Schiffsbegrüßungsanlage mit Restaurant. Die kündigt aber nur die großen Pötte an, die kleine „Hafendockter“ bleibt unerwähnt.

17 Uhr: Hafeneinfahrt Rendsburg, rechts rein. Vorbei an Schiffsschrotthaufen bis in ein Becken mit vielen kleinen Seglern, genau hinter den ACO Severin Ahlmann Werken mit seinen vielen Werks- und Industriehöfen und der internationalen Kunstausstellung NordArt. Aber das ist dann schon Büdelsdorf.

Für einen Teil der Gäste ist der Törn zu Ende, die zweite Hälfte übernachtet in Rendsburg und fährt am nächsten Morgen weiter nach Kiel, unter der Autobahn 7 hindurch, passiert die Kieler Schleuse und schippert in die Ostsee bis Heiligenhafen kurz vor Fehmarn. Wer will, kann dann durch den Elbe-Lübeck-Kanal zurück in den Museumshafen Oevelgönne fahren. Das aber dauert. Na dann, Leinen los!