Ellerhoop. Der Klimawandel steigert die Bedeutung der Betriebe und ihrer grünen Produkte. Messe Florum 2021 zeigt, worauf es jetzt ankommt.
Nach 18 Monaten Corona-Abstinenz und etlichen WochenVorbereitungs- und Abstimmungszeit hat am Mittwoch im Gartenbauzentrum Ellerhoop die Florum Messe eröffnet. Zahlreich kommen die nach Austausch und Wissen hungernden Besucher, in den Pausen brummt der Grill von Peter Raabe, und 50 Aussteller-Stände finden reges Interesse in zwangloser Atmosphäre. Besonders spannend sind die Fachvorträge. Heute geht es weiter mit dem Symposium „Grün in der Stadt“.
Kritik an Besteuerung der Baumschulen
Ebenso wie alle anderen Redner, ist auch Helmut Selders, Präsident des Bundes Deutscher Baumschulen (BdB), ein Mann der Praxis, dessen Erfahrungsschatz in seine Rede einfließt. Er stellt fest: „Nie war das Wissen um die grüne Infrastruktur so wichtig, und noch nie war sie in der Bevölkerung so schwach ausgeprägt wie heute.“ Baumschulware sei so gefragt wie lange nicht, „europaweite Knappheit ist das Thema. Viele Pflanzen fehlen, denn viele Baumschulen sind ausgestiegen“, sagt Selders.
Unverhohlen kritisiert er, was die Regierung beschlossen hat, etwa die höhere Besteuerung der Baumschulen oder die CO2-Abgabe. Zudem moniert er die Handelsbeschränkungen und das beschränkte Zukaufrecht von Flächen: „Warum müssen wir eine CO2-Abgabe zahlen?“, fragt er. „Wie müssten doch eigentlich etwas wiederbekommen, denn wir stellen Dinge her, die CO2 speichern. Auch Hecken haben da ein riesiges Potenzial.“ Hecken verschwänden aber aus landwirtschaftlichen Flächen, „da müssen wieder welche gepflanzt werden.“
„Grüne Infrastruktur schleunigst ausbauen“
Außerdem würden drei Milliarden Euro gebraucht, um die vielen Bäume zu ersetzen, die ausgefallen seien: „In Berlin wurden 10.000 Bäume nicht nachgepflanzt.“ In München würde dagegen sehr streng darauf geachtet. „Da müssen wir wieder hinkommen. Es muss auf dem schnellsten Weg nachgepflanzt werden!“
Auch Axel Huckfeldt, Vorsitzender des BdB Schleswig-Holstein, macht vor dem Hintergrund des Klimawandels kein Hehl aus seiner Einstellung: „Lange haben wir unter der geringen Wertschätzung unserer Produkte gelitten. Aber unsere Gehölze sind von existenzieller Bedeutung, denn die grüne Infrastruktur ist schleunigst auszubauen!“
Ebenso wie die nachfolgenden, hochkompetenten Redner kritisiert Huckfeldt die staatliche Vorgabe, nur noch heimische und bienenfreundliche Gehölze zu pflanzen. „Standortgerecht heißt das Zauberwort!“ kontert der Baumschuler.
Masterplan für die Artenvielfalt
Geballtes Wissen feuert Hartmut Balder von der Berliner Beuth-Hochschule ins Auditorium und ermutigt seine Zuhörer, das eigene Wissen besser an die Kundschaft zu bringen: „Seit 300 Jahren verstehen wir, wie Bäume nach der Pflanzung behandelt werden müssen, damit sie gesund groß werden“, ist einer seiner Kernsätze. „Scheuen Sie da nicht den Konflikt.“ Es gehe darum, die Kunden zu unterstützen. Das Weißbuch Stadtgrün sei zum Wohle der Pflanzen geschrieben worden, „es geht aber an der Praxis vorbei, weil es kaum jemand kennt“, sagt Balder. Alsbald demonstriert er, was drinsteht.
Zunächst brauche es einen Masterplan für die Artenvielfalt, dann gehe es um die Verbesserung der Böden. Ein weit verbreitetes Problem seien Baumwurzeln, die hochkämen und die Asphaltdecken zerstörten. Das passiert offenbar meist bei mageren Böden, es gelte also, schon beim Anpflanzen Substrate hinzuzufügen, damit die jungen Bäume genügend Nährstoffe vorfänden. Um Aussagen über Bäume tätigen zu können, die für den Klimawandel gewappnet sind, brauche es mehr als zehn Jahre. „Es ist verfrüht, darüber zu reden.“
Obstbäume sind gefragt wie nie
Ebenso zündend der Vortrag von Klaus Körber von der Bayrischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau, der über Gehölze der Zukunft spricht. Die blendenden Verkaufszahlen bei Pflanzen sieht er nicht als Strohfeuer: „Uns stehen rosige Zeiten bevor. Wenn wir Fachkräfte finden.“ Allein in Bayern hätten sich die Absatzzahlen verdoppelt. „Obst verkauft sich wie blöd, besonders alte Apfelbäume. Denn Jungpflanzen haben ein größeres Anzuchtrisiko“, so Körber.
Am schnellsten wachse der Kiribaum, aber auch Purpur-Erlen, Maulbeerbäume oder Ulmen seien fix. Im Trend lägen Naschobst und historisches Beerenobst, wobei alte Sorten nicht per se besser als neue seien – „lasst uns eine Mischung machen!“ Auch heimische und nichtheimische Arten seien unbedingt zu mischen, heimische Insekten naschten gern an fremden Sorten wie dem schwarzen Holunder oder einer Samthortensie. Für alle Aussagen liefert Körber Zahlen. Felsenbirnen sind laut Körber ein Mekka für Vögel, und Feigen seien ganz groß im Kommen.
Baumschulen aus der Region zeigen ihre Arbeit
sBei der zunehmenden Trockenheit gedeihen Sommerflieder, neue Hibiskussorten, Bartblumen und Mönchspfeffer, Blauraute, Potentilla in vielen Farben oder die rote Blasenspiere.
Draußen und in der Halle präsentieren dann diverse Baumschulen ihr besonderes Angebot, das in der Mitte des Hofes in einem „grünen Schaufenster“ liebevoll dekoriert zusammengefasst wurde: Neuheiten wie die kolchische Pimpermuss und Renner wie die Rose „Augusta Luise“. In der Halle informiert die Firma Stender über Wachstumssubstrate, John Cordes erzählt, dass er rund 600 Apfelsorten anbaut, und Kai Thies von der Baumschule Stahl erklärt, warum Unterlagen bei der Apfelkultur unumgänglich sind. Andreas Wrede von der Landwirtschaftskammer klärt dann in seinem sehr informativen Vortrag über den winzigen Anteil des Torfabbaues an der CO2-Produktion auf, und warum es so kompliziert ist, für Torf einen vollwertigen Ersatz zu finden.