Pinneberg. Sperrzone Westflügel: Zum einsturzgefährdeten Amtsgericht Pinneberg haben nur noch zwei elektrische Kollegen Zutritt.
Surrend rollt er durch die Gänge des Amtsgerichts Pinneberg, überwacht von zwei Justizbeamten. Er fährt seine Greifarme aus, die bis zu 2,50 Meter hoch reichen. Sein Name: Telemax. Ein Entschärfungsroboter. Eigentlich kommt er beim Militär oder bei der Polizei zum Einsatz. Doch in Pinneberg hat er eine andere Aufgabe: Er und sein ebenfalls elektrischer Kollege Teodor müssen die rund 10.000 Akten bergen, die im Westflügel des Amtsgerichts liegen. Der ist, wie berichtet, einsturzgefährdet.
Roboter retten Akten aus Amtsgericht Pinneberg
„Wir haben alle Möglichkeiten ausgelotet, um an die Akten zu gelangen“, sagt Dirk Bahrenfuss vom Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein. Die Lösung boten letztendlich die beiden Roboter des Unternehmens Telerob aus Ostfildern bei Stuttgart, die nun durch den Westteil des Amtsgerichts rotieren.
Wie aber funktioniert denn so ein Roboter? Von allein bewegen sich die Geräte nicht. Es bedarf eines angelernten Mitarbeiters, der die Roboter über einen Bildschirm sieht und mit Kontrollhebeln steuert. „Damit kann ich den Roboter alle Bewegungen ausführen lassen, die ich auch mit einem menschlichen Arm machen könnte“, sagt Andreas Birke, ein Mitarbeiter von Telerob.
Der 150 Kilogramm schwere Telemax kann mit einer Geschwindigkeit von maximal vier Kilometern pro Stunde von Raum zu Raum gelenkt werden, um die Akten einzusammeln. Er „sieht“ mit seinen acht Kameras. Teodor, Telemax’ größerer Bruder, ist noch etwas schwerer. Er kann sogar im Weg stehende Möbel verrücken. Das war in einigen Räumen des Amtsgerichts nötig, um an die entsprechenden Akten zu kommen. Allerdings scheint es ausgeschlossen, alle Akten zu bergen. Da reiche eine falsche Bewegung mit dem Kontrollhebel, und die Akte sei im wahrsten Sinne des Wortes verloren, so Birke weiter.
Gerichtsbetrieb durch fehlende Akten eingeschränkt
Dennoch: „Die Bergung aller Akten hat für uns höchste Priorität“, hat Justizminister Claus Christian Claussen (CDU) unlängst gesagt. Dass bestimmte Akten nicht greifbar seien, schränke den Gerichtsbetrieb ein. Davon betroffen seien die Betreuungsabteilung, die Insolvenzabteilung, die Hinterlegungsstelle, die Zwangsvollstreckungsabteilung, die Verwaltung und zu Teilen auch das Registergericht, so der Justizminister. Zunächst würden die Betreuungsakten geborgen werden, weil diese die Lebensläufe der betreuten Personen enthielten – also persönliche Daten.
Die neuesten Maschinen von Telerob sind eine ebenso kostspielige wie zeitintensive Angelegenheit. Rund 80.000 Euro kostet die Bergung der notwendigen Akten monatlich. Um alle Akten zu bergen, brauchen die Roboter schätzungsweise zwei Monate. Pro Tag schaffen die Roboter 300 Stück.
Westflügel des Amtsgerichts ist einsturzgefährdet
Seit Ende Mai ist bekannt, dass der Westflügel des 1975 erbauten Gerichtsgebäudes nicht mehr betreten werden darf. Seit Kurzem ist klar, dass er wahrscheinlich sogar abgerissen werden muss. Grund dafür: eine Alkali-Kieselsäure-Reaktion im Fundament des Westflügels. Der sogenannte Betonkrebs gefährdet die Tragfähigkeit des Gebäudes. Es ist akut einsturzgefährdet.
Und nicht nur der Westflügel des Pinneberger Amtsgerichts ist vom Betonkrebs befallen. Der Ostflügel ebenfalls, er ist allerdings nicht einsturzgefährdet, muss aber so schnell wie möglich saniert werden. Ob es überhaupt wirtschaftlich ist, den Ostflügel zu sanieren, untersucht zurzeit die Gebäudemanagement Schleswig-Holstein (GMSH). Ein kompletter Neubau könnte die günstigere Lösung sein. „Auf Hochtouren“ laufe die Suche nach einem Ort für Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und künftige Gerichtsverhandlungen, sagt Barbara Müller von der GMSH.
Anwohner des Pinneberger Amtsgerichts in Angst
Insgesamt 126 Menschen brauchen einen neuen Arbeitsplatz. Zum 1. Oktober kommen 50 von ihnen in einem Bürogebäude in Quickborn unter. Ein Teil arbeitet nun von zu Hause aus, ein weiterer Teil im Co-Working-Space der GMSH in Prisdorf. Der Großteil jedoch ist in den Ostflügel umgezogen und muss trotz Corona auf sehr engem Raum arbeiten.
Sorge herrschte unterdessen kürzlich bei den Nachbarn des Gerichtsgebäudes. Die GMSH hatte berechnen lassen, welche umliegenden Bereiche im Falle eines Einsturzes gefährdet wären, darunter auch Privatgelände. Allerdings enthielt dieser Lageplan einen Fehler: Fälschlicherweise bezogen die Zuständigen auch den Ostflügel als Gefahrenzone mit ein. Also nahmen die Anwohner an, der Ostflügel sei ebenfalls einsturzgefährdet. Das löste bei ihnen unnötige Angst aus, wofür sich GMSH-Geschäftsführer Frank Eisoldt entschuldigte.
Ursprünglich gab es einen anderen Plan, um den Westflügel doch noch zu sichern. Die GMSH wollte unter dem Westflügel sowie in allen Stockwerken Stützen aufstellen. Da aber keine Personen den westlichen Gebäudeteil betreten dürfen, erübrigte sich dieser Plan.