Barmstedt. Attentat auf Graf Rantzau gilt als ungelöstes Verbrechen. Fall wird mit Führung und Sonderausstellung neu aufgerollt.

Intrigen, Machtspiele und ein politisches Attentat: Vor ziemlich genau 300 Jahren geriet Barmstedt kurzfristig ins Zentrum europäischer Machtpolitik. Der Reichsgraf Christian Detlev Rantzau ist an einem Novembertag des Jahres 1721 Vormittag auf der Schnepfenjagd im Vosslocher Forst aus dem Hinterhalt gemeuchelt worden. Und noch immer ist der Fall ungelöst.

Bruder des Grafen als Anstifter verurteilt

Sein Bruder Wilhelm Adolf Rantzau, der 1718 die Barmstedter Heiligen-Geist-Kirche errichten ließ, wurde zwar als verurteilter Anstifter bis zu seinem Tode in den Kerker geworfen, womit nach drei Generationen und 76 Jahren die Reichsgrafschaft Rantzau auf der Barmstedter Schlossinsel endete. Doch Fragen blieben.

Das 230 Quadratmeter große Gebiet um Barmstedt, Elmshorn und die Güter Breitenburg, Drage und Neuendorf, das zuvor quasi ein eigener Staat im Reich des Habsburger Kaisers Karl VI. gewesen war, ging 1726 an die dänische Krone und verfiel zu deren Provinz. „Das war damals ein echter Thriller mit Mord, Machtpolitik und wirtschaftlichen Interessen“, sagt Michael Theilig vom Museumsverein der Grafschaft Rantzau. Schon zuvor waren mehrere Attentate auf den Adligen gescheitert.

Zum 300. Jahrestag der Ermordung des bei seinen Untertanen verhassten Grafen am 10. November 1721 soll eine neue große Ausstellung Licht in das Dunkel der Hintergründe bringen. Mehr als 1000 Seiten Archivakten in Schleswig, Hamburg, Kopenhagen, Wien, Berlin und Schwerin will der Verein bis dahin studieren. Zum Teil sind sie erstmals öffentlich und digitalisiert zugänglich.

Museumsverein bietet Führung zum Tatort an

Zuvor können Besucher am Donnerstag, 5. August, an einer Führung zum Tatort teilnehmen. Der Platz der Ermordung liegt etwa einen Kilometer von der Schlossinsel entfernt mitten im Wald. Der ehemalige Forstamtsdirektor Hans-Albrecht Hewicker zeigt genau die Stelle an einer Waldlichtung, an der der Graf nichtsahnend auf dem Pferd sitzend niedergestreckt wurde. Eine tödliche Ladung mit einem Dutzend Kugeln aus einem schweren Vorderladergewehr traf ihn. Der Graf, erschossen, mitten im Wald.

Der Gedenkstein steht seit 1927 an der Stelle, an der das Attentat auf den Graen verübt worden ist.
Der Gedenkstein steht seit 1927 an der Stelle, an der das Attentat auf den Graen verübt worden ist. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

200 Jahre lang markierten eine Eiche und eine Buche den Tatort, bis 1927 in der Nähe des Tatortes ein Gedenkstein für den Grafenmord aufgestellt worden ist. Heute wird der geschichtsträchtige Stein von Kirschlorbeerpflanzen ziemlich überwuchert.

Hewicker wird für die Teilnehmer der morbiden Führung versuchen, den Hergang der heimtückischen Bluttat zu rekonstruieren. Ein Heckenschütze soll den Grafen seitlich getroffen und aus dem Sattel geschossen haben. Sein Leibjäger, der ihn begleitet und die Schnepfen aufzuscheuchen hatte, sei daraufhin zum Schloss zurückgeritten, um Hilfe zu holen. Als sie wieder zurückkehrten, war der Graf bereits tot. Vom Täter fehlte jede Spur. Unklar sei, ob der Leibjäger wie der Graf bewaffnet war oder der Graf aus Misstrauen gegen ihn dies verboten hätte, erklärt Hewicker.

Hintergründe der Ermordung sind bis heute unklar

Während also der Tatort auch 300 Jahre später noch genau zu lokalisieren und der Tathergang recht gut nachzuvollziehen ist, lägen die Hintergründe der Ermordung auch heute noch im Dunkeln, sagt Historiker Theilig. Anscheinend war es ein komplexes, toxisches Gemisch, das den Mord forcierte.

Fest steht, dass der Grafenbruder Wilhelm Adolf vom dänischen König Friedrich IV., der auch Oberhaupt von Norwegen war, angeklagt, verurteilt und bis zu seinem Tod ins Gefängnis in der Festung Akershus in Norwegen geworfen worden ist. Fest steht auch, dass der zum Todesschützen erklärte Hauptmann Detlef Prätorius hingerichtet worden ist, ebenso wie andere angebliche Mitverschwörer. Denn Prätorius Vater Samuel war damals Kirchspielvogt in Elmshorn, was heute einem Bürgermeister entspricht. Und diesen ließ der verhasste Graf Christian Detlev absetzen und schwer misshandeln. Deshalb unterstellte man seinem Sohn ein Tatmotiv.

Auch der verurteilte jüngere Grafenbruder Wilhelm Adolf hätte ein Motiv gehabt. Fünf Jahre lang (1715 bis 1720) war er nämlich der Reichsgraf von Rantzau. Zu dieser Zeit saß der später ermordete Christian Detlev in Berlin-Spandau im Gefängnis. Dort hatte ihn der preußische König Friedrich-Wilhelm I. wegen angeblicher Sodomie verurteilen lassen, wie damals die unter Strafe stehende Homosexualität bezeichnet wurde.

Despotischer Graf Rantzau hatte viele Feinde

Tatsächlich blieb Christian Detlev zeit seines Lebens unverheiratet und kinderlos, ebenso wie sein Bruder. Als er aber 1720 wieder aus der Haft entlassen wurde, heuerte er in Hamburg Söldner an, mit denen er seinen Bruder Wilhelm Adolf mit Gewalt wieder vom Grafenthron stürzte. Es wäre also nur allzu verständlich, wenn Bruderherz Wilhelm Adolf auf Rache gesinnt hätte.

Eine stattliche Anzahl von historischen Waffen beherbergt das Museum.
Eine stattliche Anzahl von historischen Waffen beherbergt das Museum. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Auch die Bauern in der etwa 10.000 Einwohner umfassenden Grafschaft hätten jeden Grund zum Groll gegen den Grafen Christian Detlev gehabt. Der despotisch regierende Graf soll sie bis aufs letzte Hemd ausgepresst und gedemütigt haben. Das Geld verprasste er in seiner Villa in Hamburg, wo er dem großem Lebensstil huldigte. Nach einem Aufstand der Bauern gegen seine harte Regentschaft im Jahr 1705 ließ der Graf zu, dass die von ihm zur Hilfe geholten 60 Dragonersöldner aus Schleswig-Gottorf den Aufstand blutig niederschlugen und auch danach noch in der Grafschaft ihr Unwesen trieben.

Die offiziellen Verhöre und Zeugenaussagen dieser Kriminalgeschichte seien allerdings widersprüchlich und meist nur durch Folter zustande gekommen, berichtet Theilig. Vor allem verschwiegen sie die möglichen Beweggründe des dänischen Königs Friedrich IV.. Denn ein Erbschaftsvertrag von 1669, den Detlev zu Rantzau, der Vater der Grafenbrüder, mit dem damaligen dänischen König Friedrich III. schloss, besagte, dass die Grafschaft Rantzau an das dänische Königreich fallen sollte, wenn es keine Nachkommen gebe. Diese waren bei beiden Grafensöhnen nicht in Sicht – ein durchaus denkbares Motiv für den dänischen Regenten.

Hatte der dänische König etwas mit dem Mord zu tun?

Zumal sich der ermordete Graf zuvor trotz Absprache weigerte, die Tochter des norwegischen Vizekönigs zu heiraten. Christian Detlef dachte auch nicht daran, die dafür vereinbarte Vertragsstrafe von 30.000 Reichsgulden zu zahlen. Das alles dürfte ihm den Groll des dänischen Königshauses eingebracht haben.

Zudem tobte damals gut 20 Jahre lang der sogenannte Nordische Krieg um die Vorherrschaft der europäischen Großmächte an der Ostsee. Dabei verlor das lange mächtige schwedische Königreich in zahlreichen Schlachten gegen Dänemark, Russland, Preußen und Sachsen-Polen fast alle seine Ländereien in Norddeutschland und dem Baltikum.

So fiel auch das Herzogtum Schleswig schließlich 1720 an Dänemark, das bereits Holstein besaß und so mit der Grafschaft Rantzau ab 1726 über ganz Schleswig-Holstein herrschte. „Somit hat der dänische König alle Vorteile vom Tod des Grafen gehabt und könnte der eigentliche Mordanstifter gewesen sein“, schlussfolgert Theilig.

Die Führung zum Tatort des Grafenmordes von 1721 im Vosslocher Wald, Donnerstag, 5. August, Treffpunkt um 18 Uhr vor dem Museum der Grafschaft Rantzau auf der Schlossinsel in Barmstedt, Rantzau 13. Die Tour dauert etwa eineinhalb Stunden. Die Teilnahme ist kostenlos.