Kreis Segeberg. Die „Königin der Instrumente“ hat auch in der Region in vielen Kirchen eine Jahrhunderte alte Geschichte.
Die Orgel gilt seit Jahrhunderten als „Königin der Instrumente“. In diesem Jahr bestimmten die Landesmusikräte die Orgel zum „Instrument des Jahres 2021“. Das Orgel-Jahr soll die Vielfalt der Orgeln in Kirchen und Konzertsälen erlebbar machen und ein Netzwerk zwischen Musikern, Instrumentenbauern und Publikum knüpfen.
Orgeln repräsentieren 500 Jahre Kirchenmusikgeschichte
Die Orgel ist das Hauptinstrument in den Kirchen, und auch Konzertsäle werden durch sie erst vollständig. Sogar in den Synagogen der liberalen jüdischen Gemeinden ist die Orgel zu Hause. Keine Orgel ist wie die andere, denn jedes Instrument wird genau für die Akustik des jeweiligen Raumes gebaut. Der Orgelbau spiegelt durch die Jahrhunderte technische Entwicklungen und stilistische Umbrüche wider, sodass heute an vielen erhaltenen und restaurierten Orgeln die Stilvielfalt von 500 Jahren Kirchenmusik zu erkennen und klanglich zu erleben ist.
Dazu zählen auch Orgeln in Norderstedt und der Region. Sie alle haben markante Merkmale, einige sogar liebenswerte Macken und Marotten. Ein herausragendes Beispiel für eine kunstvolle Orgelarchitektur ist die Hillebrand-Orgel in der Vicelin-Schalom-Kirche am Immenhorst in Norderstedt.
1994 beschloss der Kirchenvorstand den Bau der neuen Orgel, am 14. September 1997 wurde sie geweiht. 210.000 D-Mark ließ sich die Gemeinde das königliche Instrument damals kosten. Finanziert wurde sie durch Benefizkonzerte, zahlreiche Aktivitäten, mit dem Verkauf von Patenschaften für die Orgelpfeifen und mit Spenden.
Reiche Intarsienarbeiten aus edlen Hölzern
Das klangvolle Innenleben konstruierte der Orgelbauer Hillebrand aus Hannover. Für die Gestaltung des Orgel-Gehäuses konnte Jan Koblasa gewonnen werden, Professor für Bildhauerei an der Muthesius-Hochschule für Kunst in Kiel, der schon den Altar arbeitete, zu dem er auch den Orgelprospekt aus massiver Eiche entwarf.
Die reichen Intarsienarbeiten aus edlen Hölzern auf den Orgeltüren und -seiten lassen das Orgelgehäuse optisch schwingen. Kein gestalterisches Element der Orgel ist als Dekoration zu verstehen, sondern symbolisiert nach Jan Koblasa die Musik zu Ehren Gottes. Koblasa, 1932 in Tabór in Tschechien geboren und am 3. Oktober 2017 gestorben, war ein gläubiger Mensch, in dessen Werk Engel sehr wichtig sind.
Auch der Hillebrand-Orgel verlieh der Bildhauer zwei Engel als Symbole des Göttlichen. Rechts vom Orgeltisch intarsierte Jan Koblasa einen Engel aus südamerikanischem Edelholz mit einer Panflöte, den er als „Musik des Tages“ bezeichnete. Links fügte er als „Musik der Nacht“ einen Engel aus hellem Kirsch- und dunklem Ebenholz mit einer Laute ein. Damit korrespondiert die Orgel sowohl mit dem Altar als auch mit den Buntglasfenstern der Künstlerin Anna Andersch-Markus mit den fünf aufrechten und den fünf törichten Jungfrauen.
Das Bronze-Relief direkt über dem Spieltisch nimmt die halbkreisförmige, nach oben strebende Strahlenform der äußeren Flügeltüren wieder auf und wirkt wie eine Menora, das Symbol des Judentums.
Garstedter Kemper-Orgel bekam einen neuen Motor
Die Kemper-Orgel in der Garstedter Christuskirche wurde 1967 geweiht, mehrfach überholt und zuletzt im Sommer 2019 umfassend renoviert. „Der Orgelbauer Kurt Quathamer hat nicht nur das so lang von mir ersehnte neue Register, das Salizional 8’, in die Orgel eingebaut, sondern noch viele Instandhaltungsarbeiten vorgenommen“, freute sich Paul Fasang, Kantor der Emmaus-Kirchengemeinde, zu der die Christus- und die Paul-Gerhardt-Kirche gehören.
Quathamer, Orgelbaumeister aus Bornholm befreite die Trompetenbecher von Wespen und verpasste der Orgel einen neuen Motor, der die Orgelpfeifen mit einem ruhigeren und vor allem stromsparenden Wind versorgt. 23.000 Euro kosteten die Renovierung und das neue Register. Zum Orgel-Festjahr hat Paul Fasang für den 26. September ein Konzert mit dem Kammerorchester Nova consonanza geplant.
Die Glashütter Thomaskirche musste drei Jahrzehnte mit einer Truhenorgel auskommen. Doch seit April 2015 beeindruckt eine Andresen-Orgel ganz in Weiß und mit einer Höhe von 4,30 Meter bis knapp unter der Decke. Gebaut hat sie Orgelbaumeister Hans-Ulrich Erbslöh aus Hamburg-Rissen. Die neue Orgel kommt aus Süderlügum kurz vor der dänischen Grenze. Ein Ehepaar spendete der dortigen Kirche eine neue Orgel. Als die Kirchengemeinde ihr bisheriges Instrument vor gut vier Jahren für 125.000 Euro zum Verkauf anbot, griffen die Glashütter sofort zu.
Orgel in der Kreuzkirche Henstedt-Ulzburg für 45.000 Euro saniert
Auf Romantik wie sein Kollege Paul Fasang setzte auch Kantor Martin Hageböke bei der Restaurierung der Orgel in der Ulzburger Kreuzkirche im Januar 2018. Seitdem hat die Führer-Orgel einen Zymbelstern, und Martin Hageböke lässt das feine Geläut so oft erklingen wie möglich. Mehr als 50 Jahre spielt die mechanische Schleifladen-Orgel aus der Wilhelmshavener Werkstatt Alfred Führer in der Kreuzkirche. In den 1990er-Jahren wurde sie restauriert. Vor drei Jahren war eine Generalüberholung fällig, denn einige Teile waren einfach kaputtgespielt, die Orgel klang schräge, der Staub von mehr als 50 Jahren musste raus. 45.000 Euro veranschlagte Orgelbaumeister Claus Sebastian für die Renovierung, und dank vieler Spenden konnte Ulzburgs Königin wieder strahlend klingen.
Eine denkmalgeschützte Grande Dame ist die Marcussen-Orgel in der Kaltenkirchener Michaeliskirche mit 141 Jahren. Im August 2019 zerlegte ein Orgelbauer sie und reinigte die 1500 Pfeifen. Die alte Lady war verstimmt, und das fiel auch beim Orgel-TÜV auf. Etwa alle 20 Jahre prüft ein Orgelbauer die Marcussen-Orgel aus dem 19. Jahrhundert. Daniel Zimmermann, seit 2015 Kantor an der neugotischen Michaeliskirche, attestiert der Marcussen-Orgel warme Klangfarben und einen prächtigen Gesamtklang. Auch heute klingt sie wie zur Zeit der ausgehenden deutschen Romantik, als sie gebaut wurde.
Insgesamt 40.000 Euro kostete die Restaurierung der Marcussen-Orgel. Sie ist auf einer Empore gebaut, deren Holz dem Klang eine romantische Stimmung verleiht. Die Orgel entstand noch unter dänischer Regentschaft. Die Michaeliskirche blieb vom Zweiten Weltkrieg verschont. Fast zumindest. Denn das NS-Regime raubte das hochwertige Zinn der Prospektpfeifen, um es für Waffen einzuschmelzen.
Erster urkundlicher Bericht stammt aus dem Jahr 1573
Die Orgel der 700 Jahre alten Maria-Magdalenen-Kirche in Bad Bramstedt kann im übernächsten Jahr sogar den 450. Orgel-Geburtstag feiern, denn ein erster urkundlicher Bericht über eine Orgel wurde bereits im Jahr 1573 geschrieben. 1667 baute die Gemeinde eine neue Orgel ein, weil schwadronierende Krieger das Instrument schwer beschädigt hatten.
Die Folge-Orgel spielte bis 1845, bis der Orgelbauer Wohlien aus Altona eine neue Orgel einbaute. Sie hatte 19 Register und hielt bis 1917. Denn auch der Erste Weltkrieg forderte Orgel-Opfer. Der Orgelbauer Marcussen musste die Prospektpfeifen aus Zinn für Kanonen ausbauen. 1925 konstruierte der Orgelbauer Sauer sie neu, und der Flensburger Orgelbauer Emil Hansen baute die Pfeifen ein. 1936 veränderte Orgelbauer Wurthwengel Hammer aus Hannover das Instrument mit neuen Einbauten, darunter eine Gambe, Trompete, Dulcian und Krummhorn.
Doch der Zahn der Zeit nagte auch an der Bramstedter Marcussen-Orgel. 1970 beschloss die Gemeinde einen kompletten Orgelneubau durch den Kieler Orgelbauer Paschen, der das alte Gehäuse und einen Teil der 27 Register übernahm. 40 Jahre später reinigte der Orgelbauer Quathamer das Instrument gründlich und baute eine moderne Setzeranlage für 4000 Speicherplätze ein.
Marcussen-Orgel in Großenaspe hat 837 Pfeifen
Auch in der Katharinen-Kirche in Großenaspe spielt eine Marcussen-Orgel. Sie wurde 1880 in die 1772 geweihte Kirche eingebaut, die nach der russischen Zarin Katharina genannt wurde. Die Marcussen-Orgel in Großenaspe besitzt 837 Pfeifen. 2007 wurde sie gründlich überholt. Regelmäßig finden in der Katharinen-Kirche Orgelkonzerte statt.
Zu den schönsten Kirchen der Region gehört die Markus-Kirche in Sülfeld, die als Kirche von Solvelde erstmals 1318 im Lehnsbuch des Herzogs Otto von Braunschweig urkundlich erwähnt wird. Die erste Orgel baute Daniel Albrecht Scottelius 1732 auf der Orgelempore über dem Eingang. 1886 restaurierte der Orgelbauer Heinrich Vieth aus Celle die Sülfelder Königin. 1920 überholte die Hannoveraner Firma Furtwängler Hammer das Instrument gründlich. Während eines Sturms 1954 stürzte der Kirchturm in das Kirchenschiff und traf voll auf die Orgel. Ein Drittel des Pfeifenwerks und der Register, die für den Klang der Orgel jener Zeit typisch waren, konnten nicht mehr ersetzt werden.
Der Orgelbauer Hillebrand, der auch die Orgel in der Norderstedtedr Vicelin-Kirche baute, konnte 1994 in der heutigen Sülfelder Orgel nur noch wenige Originalteile von Heinrich Vieth verwenden. Erhalten geblieben ist jedoch der markante Orgelprospekt, die vordere Ansicht der Orgel.
Segeberger Orgel wurde mehrfach umgebaut
Der dänische Orgelbauer Marcussen aus Apenrade hat 1873 auch die Orgel in der Marienkirche in Bad Segeberg gebaut. Auch sie wurde mehrfach umgebaut, darunter 1937, 1959 und 1970 von Kemper Sohn aus Lübeck. 1976 und 1984 renovierte Orgelbauer Detlev Kleuker das Instrument, die letzte Generalüberholung erfolgte 2003.
Doch seit 2008 ist bekannt, dass sie nicht mehr zu retten ist. Viele Pfeifen sind mangelhaft, die Töne klingen dumpf oder schrill. Schadhafte Pfeifen sind gelötet oder einfach abgeschnitten worden und können nicht mehr gestimmt werden. Im Inneren der Orgel hängen Kabel frei herum. Das minderwertige Pfeifenmaterial zeigt Zinnfraß, der das Stimmen unmöglich macht. Die Hauptorgel steht zudem sehr weit hinten auf der Empore, sodass der Klang nur verzögert ins Kirchenschiff fließen kann. Jetzt plant der Kirchenvorstand ein dreimanualiges Instrument mit zirka 40 Registern.
„Die Orgel ist zwar noch bespielbar, aber wir sitzen auf einem Pulverfass“, sagt Kirchenmusikdirektor Andreas Maurer-Büntjen. Der Kirchenvorstand hat bereits mit dem Orgelbauer Claudius Winterhalter aus Baden-Württemberg eine Disposition über eine neue Orgel verabschiedet. 1,3 Millionen Euro soll Segebergs neue Königin kosten, 400.000 Euro hat die Kirchengemeinde bis jetzt gesammelt.
„Jetzt, wo Corona abklingt, hoffen wir, wieder Konzerte zugunsten der neuen Orgel geben zu können“, sagt der Maurer-Büntjen. Zurzeit wird die Marienkirche im zweiten Bauabschnitt renoviert und soll im November wieder eröffnet werden. Als vierter Bauabschnitt ist der Einbau der neuen Orgel geplant.
Spenden für die neue Orgel nimmt die Kirchengemeinde auf dem Konto IBAN DE 98 2305 1030 0510 7730 70, Sparkasse Südholstein, entgegen. Die Erfahrung hat bisher gezeigt: Wenn es um die Königin der Instrumente geht, werden selbst Menschen, die nicht so oft in die Kirche gehen, aktiv und spenden oder übernehmen die Patenschaft für eine Pfeife. Gerade in einer Region wie dem südlichen Schleswig-Holstein eine erstaunliche Tatsache.