Kreis Pinneberg. 50 Jahre in 50 Wochen. Diesmal geht es um 1988, als auch das Bewusstsein für die Umwelt wuchs und die SPD Wahlsiege einfuhr.
Ein Jahr und zwei Monate nach Einführung des Führerscheins auf Probe seien „die Fahranfänger im Kreis Pinneberg auf den ersten Blick besser als ihr Ruf“, meint das Abendblatt Anfang 1988. Bei 4227 ausgestellten Probe-Führerscheinen gab es 45 auffällige Fahranfänger, die zur Nachschulung mussten. Das entspricht einer Quote von rund einem Prozent. Allerdings werden nur die ertappten „Führerschein-Frischlinge“ nachgeschult, deren Verkehrsverstöße einen Bußgeldbescheid von mindesten 80 Mark auslösen.
Der Pinneberger Straßenverkehrsamtsleiter Dietrich Kowitz fordert: „Wir wünschen uns eine deutliche Absenkung der Bußgeld-Grenze.“ Erst ab einer Geschwindigkeit von 76 Kilometern pro Stunde innerhalb geschlossener Ortschaften wird jene beispielsweise erreicht.
„Pinneberg – Einkaufsstadt der langen Wege?“
Urlaubsziele werden immer exotischer: Die Türkei ist kostengünstig zu erreichen und ein sehr beliebtes Reiseziel im Frühjahr. „Hier findet der Tourist Strand, Sonne und fremdartige Kultur“, sagt Francoise Grabowski-Schmidt vom Tui-Reisebüro in Pinneberg. 7000 Besucher lockt zudem eine Tourismus-Messe in der Kreisstadt an.
Die Zweitliga-Basketballer des SC Rist besiegen im Pokal-Achtelfinale völlig überraschend den Erstligisten TV Langen mit 76:67 und ziehen erstmals in ihrer Clubgeschichte ins Viertelfinale ein. Später verspielen sie dann einen möglichen Erstliga-Aufstieg.
Durch die geplante Umwandlung der unteren Dingstätte und der Bismarckstraße zu „fußgängerfreundlichen Einkaufsparadiesen“ wird der Ruf nach neuen Parkmöglichkeiten laut. „Pinneberg – Einkaufsstadt der langen Wege?“ titelt das Abendblatt und wirft den Planern der Fußgängerzonen unverblümt vor, die Parkplätze vergessen zu haben.
Uetersener Feldmühle investiert 500 Millionen Mark
In Uetersen soll eine dritte Papierstraße gebaut werden. Der Vorstand der Feldmühle gibt bekannt, 500 Millionen Mark in den Bau zu investieren, der zwei Jahre später beginnen soll. Weniger Geld – etwa vier Millionen Mark – nimmt die Gemeinde Barmstedt in die Hand, um den Verkehr an der Innenstadt vorbei zu leiten. Für 130 Millionen Mark soll in Schenefeld ein Einkaufszentrum entstehen, das „Stadtzentrum“ entstehen. Einen Spatenstich gibt es jedoch das ganze Jahr nicht, dafür viel Streit um dieses „Mammut-Projekt“.
In Kindergärten des Kreises werden PCP-Giftstoffe als Teil von Holzschutzlasuren festgestellt – das Gesundheitsamt wird eingeschaltet. Die hiesigen Baumschulen und Landwirte sollen die Produktion umstellen, weil große Trinkwasserschutzgebiete ausgewiesen werden müssten. Die Qualität des Grundwassers soll durch weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gesteigert werden.
Im Sport bahnt sich das Schlagballspiel Baseball aus den USA seinen Weg in den Kreis Pinneberg: Nach Gründung im Herbst 1987 besucht das Abendblatt Ende Februar die 20-köpfige Mitgliedersparte des TSV Uetersen.
Mehr tödliche Unfälle mit Radfahrern und Fußgängern
Im März vermeldet das Abendblatt einen Anstieg von drei Prozent in der Unfallstatistik. 6591 Unfälle mit dem Auto gibt es. Die Hauptursachen sind überhöhte Geschwindigkeit und Alkohol. Die Zahl der Toten sinkt auf 22. Allerdings sind darunter elf Radfahrer und Fußgänger. „Wir haben zu viele Rechthaber im Straßenverkehr, und unsere Straßen sind zum Leidwesen der Schwachen zu gut, fahrzeuggerecht, ausgebaut“, moniert Polizeihauptkommissar Ingo Kopka. Die Wedeler Firma J.D. Möller Optische Werke unterhält traditionell Geschäftsbeziehungen mit der Sowjetunion. 14 Operationsmikroskope werden für zwei Millionen Mark für die UdSSR gebaut.
Das Umweltamt fordert auf, Gebäude auf den krebserregenden Stoff Asbest zu untersuchen. Auf der ersten Elbe-Schutz-Konferenz in Wedel wird die Renaturierung des Flusses gefordert, da die Lage immer bedrohlicher werde. „Der Fluß wird durch Deiche drangsaliert und eingeschnürt und mit Schadstoffen permanent überlastet“, sagt Konferenzleiter Jens Vollert (SPD).
Auch die Gefährdung des Trinkwassers in Pinneberg steht auf der Abendblatt-Agenda. Diskutiert wird in der Ratsversammlung die Ausweisung eines Wasserschutzgebietes. Möglicherweise soll die Umsiedlung einer Seevetaler Lackfabrik auf das Gelände des ehemaligen Kaugummi-Herstellers Ok nicht in Gefahr gebracht werden. Setzen die Ratsmitglieder „bewußt die Gesundheit der Bürger aufs Spiel?“, fragt das Abendblatt.
Gewerkschaft der Polizei sieht Sicherheit im Kreis gefährdet
Alarm-Stimmung Anfang April gibt es bei den Familien des Kreises Pinneberg – trotz Geburtenrückgangs ist der Mangel an Kita-Plätzen akut – entweder hagelt es Absagen, oder es wird immerhin einen Platz auf Wartelisten angeboten. Ein Tierquälerei-Urteil in Hamm sorgt dafür, dass auch im Kreis Pinneberg das Wettfischen vorläufig verboten ist. Das stößt auch bei Angelfreunden auf Verständnis. Gerd Janssen (Arbeitsgemeinschaft zur Wiedereinbürgerung der Meerforelle) sagt: „Angeln sollte nicht zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden.“
Der Landesjugendschutzbeauftragte Bodo Kottenstein warnt: „Auf uns rollt eine Drogenwelle im ländlichen Raum zu“. Haschisch, LSD, Kokain, Crack und Aufputschmittel. Die Liste werde täglich länger. Auf einer CDU-Veranstaltung bekommen auch die Raucher unter den zwölf Zuhörern eine Ansage: „Rauchen ist eine Einstiegsdroge für Haschisch!“ Rauschgiftdelikte sind in Schleswig-Holstein um 18 Prozent gestiegen.
Die Gewerkschaft der Polizei sieht insgesamt die Sicherheit im Kreisgebiet gefährdet. Bei annähernd gleicher Einwohnerzahl komme in Lübeck ein Polizist statistisch gesehen auf 400 Bürger, im Kreis Pinneberg liegt „das Verhältnis bei 1:800“.
SPD gewinnt bei Landtagswahl alle vier Wahlkreise
Verzögerungen gibt es bei der Fertigstellung des Kreiskrankenhauses in Elmshorn. Statt Ende Mai soll die Einrichtung nun im September bezugsfertig sein. Bauprojekte werden 1988 massenweise angeschoben: In Elmshorn soll für elf Millionen D-Mark ein neues Gebäude der Waldorfschule, bislang untergebracht in der Elsa-Brändström-Schule, entstehen.
Im Mai gibt es Sorgen, dass die Uetersener Nordmark-Werke ins Ausland verlegt werden müssen. 700 Arbeitsplätze sind in Gefahr, weil die Einsparungen durch eine Reform des Gesundheitswesen unter Minister Norbert Blüm „viel zu stark zu Lasten der Arzneimittelindustrie gehen“, befürchtet Nordmark-Chef Dirk Wuppermann. Wenig später gibt es aber doch Entwarnung.
Große Freude bei der SPD, die erstmals alle vier Wahlkreise des Kreises bei der Landtagswahl direkt gewinnen kann. Die SPD-Sieger sind Ernst Dieter Rossmann, Jens Vollert, Horst Hager und Sabine Hamer. Das „schlechteste“ SPD-Ergebnis – bei einer Wahlbeteiligung von weit über 70 Prozent – kommt mit 48,2 Prozent aus dem Wahlkreis 21 (Quickborn, Barmstedt, Gemeinden an der B 4). Auskunftsfreudig zeigen sich die Stadtverwaltungen gegenüber dem Abendblatt: Die Uetersener Verwaltung arbeitet am kostengünstigsten kreisweit gesehen (Gemeinden über 20.000 Einwohner) – auf 214,25 Mark pro Einwohner belaufen sich die Verwaltungskosten.
Wedeler Krankenhaus wird grundsaniert
Von der Wegwerf- hin zur Sortiergesellschaft soll ein Umschwung gelingen. Die Suche nach Deponien im Kreisgebiet wird forciert und die Bürger sollen Abfälle trennen.
Für 37 Millionen Mark wird das Kreiskrankenhaus Wedel grundsaniert, heißt es im Juni. Auch in Pinneberg soll geklotzt werden: Die Stadt möchte mit weiteren Geldgebern 46 Millionen Mark in die Bauwirtschaft investieren – trotz einer bereits damals angespannten finanziellen Lage. Im Aufwind befindet sich die gesamtwirtschaftliche Lage, zumindest deutet dies eine Umfrage bei den Unternehmen im Kreis Pinneberg im Juli an. Ludwig-Schokolade aus Quickborn macht beispielsweise nach Investitionen von 25 Millionen D-Mark in die Modernisierung der Fabrik nun einen Umsatz von 125 Millionen Mark.
Zum 100-jährigen Bestehen der Produktkennzeichnung „Made in Germany“ gewinnt der Pinneberger Geschäftsmann Lambert Hilkes: Sein Design-Vorschlag einer Schublehre (Messgerät) in Deutschlandfarben ist nun als Aufdruck einer Sonderbriefmarke der Bundespost zu sehen.
Loki Schmidt besucht Richtfest in Rellingen
Im August soll Loki Schmidt, Frau des ehemaligen Bundeskanzlers, zum Richtfest des Rellingers Otto Heuer, Leibwächter ihres Mannes, kommen. Der Bauunternehmer hat das Abendblatt heimlich informiert. Heuer ist davon nicht so angetan und beschuldigt ihn, der Übeltäter zu sein. Dieser murmelt etwas von „ein bißchen Werbung können wir ganz gut gebrauchen“ und zieht sich in den Neubau zurück. Loki kommt tatsächlich, allerdings ohne ihren Mann.
Schulexperten aus dem Kreis reagieren skeptisch auf die Pläne des Kultusministeriums, Jungen und Mädchen eventuell in Fächern wie Physik, Sozial- und Sexualkunde getrennt zu unterrichten, „wegen der rollenspezifischen Benachteiligung der Mädchen“. Trennungen haben ohnehin Hochkonjunktur: Immerhin 500 Ehepaare ließen sich 1987 im Kreisgebiet scheiden, so eine Meldung aus dem August 1988. „Rekord“ ist eine Hochzeit in Wedel, die schon nach sieben Monaten wieder annulliert wird.
Fünf Olympia-Teilnehmer aus dem Kreis Pinneberg
Das Ja zur Frauenquote des SPD-Bundesparteitages sorgt innerhalb der Kreis-Fraktion für Wirbel. „Einige Männer werden sicher hinten runter fallen“, sagt Gudrun Schlüter, stellvertretende Kreisvorsitzende der Sozialdemokraten. Für alle innerparteilichen Ämter und Funktionen gilt ab sofort ein Frauenanteil von einem Drittel, ab 1994 müssen es 40 Prozent sein.
Das Wedeler Unternehmen AEG hofft auf ein Investitionsvolumen von 40 Millionen Mark aus dem Etat der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Möglichst weit oben landen möchten auch die fünf Olympioniken aus dem Kreis bei den Spielen in Seoul: Rolf Danneberg (Diskus, Olympia-Sieger 1984), Ersatzreiter Herbert Blöcker (Reitsport, Silber 1976), Jens-Peter Wrede, Stefan Knabe und Matthias Adamczewsky (Segeln). Danneberg gewinnt letztendlich die Bronzemedaille, Blöcker kommt nicht zum Einsatz und die Wedeler Crew landet auf Platz 15.
Für den Schutz von Elbe und Nordsee soll das Klärwerk in Hetlingen für 70 Millionen Mark umgebaut werden. Wenn die Westumgehung in Pinneberg wirklich in ihre finale Planung geht, wollen die Tornescher Politiker ihren Widerstand zur Südumgehung (Kreisstraße 22) aufgeben.
Müllberg wächst und ist angeblich unbedenklich
Im Oktober steht fest, dass der Müllberg im Kreis immer größer wird: Es gibt einen Anstieg um acht Prozent im ersten Halbjahr 1988 im Vergleich zum Vorjahr. Ein dritter Verbrennungsofen soll in Tornesch-Ahrenlohe entstehen. Messungen des Umweltamtes ergeben angeblich keine bedenklichen Schadstoffwerte bei der Verbrennung des Mülls – das wird später von einigen Initiativen erheblich angezweifelt, die zumindest bei eigenen Untersuchungen erhöhte Blei-Werte feststellen können. Die Rede ist von „dilettantischen Messungen“ des Gesundheitsamtes.
Die Reichspogrom-Nacht jährt sich am 9. November zum 50. Mal, ein Historiker arbeitet am Beispiel Elmshorn heraus, wie die Juden systematisch aus der Krückaustadt vertrieben wurden.
Unterdessen steht die Landesregierung einer alternativen Energieerzeugung offen gegenüber, es wird geprüft, ob im Kreis Pinneberg Wasserkraftwerke entstehen können. Unter anderem durch den Umbau alter Mühlen.
Zwölf Millionen Mark für Umbau der Drostei
Der Umbau der Drostei in Pinneberg wird den Steuerzahler zwölf Millionen Mark kosten, heißt es im Dezember. Schon 1989 soll der Teileinzug in das Kreiskulturzentrum erfolgen.
Und dann das: Dreiviertel der Stellenanzeigen in den Kreis-Zeitungen verstoßen gegen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), da sie nicht geschlechtsneutral verfasst sind, wie sie sich spezifisch je nach Berufsfeld an Männer oder Frauen richten. Das Frauenbüro der Kreisverwaltung prangert diese Praxis an.
Die Polizei zieht zum Jahresende Bilanz: Die Unfallzahlen auf der A 23 sind durch Tempo 100 zwischen Pinneberg und Halstenbek von 34 im ersten Halbjahr nach Aufstellung der Schilder im zweiten Halbjahr auf 21 gesunken. Die Unfälle mit Personenschäden sind sogar um 50 Prozent zurückgegangen.