Tornesch/Kreis Pinneberg. Baurecht aufgehoben, weil Verkehrsgutachten erhebliche und nicht heilbare Mängel habe. Gehen Land und Kreis jetzt in die nächste Instanz?

Die 3. Kammer beim Verwaltungsgericht Schleswig unter Vorsitz des Richters Uwe Karstens hat den Planfeststellungsbeschluss (PFB) für die Kreisstraße 22 aus dem Jahr 2018 aufgehoben. Das bestätigt Gerichtssprecherin Martina Petersen. Der Richter habe „erhebliche und nicht heilbare Mängel“ im PFB festgestellt, zitiert Michael Krüger, einer der beiden Sprecher der beiden Kläger, aus dem mündlichen Urteil, das schriftlich noch nicht vorliegt.

K22-Gegner feiern, Bürgermeister fordern Verkehrsentlastung

Jetzt muss der Kreis Pinneberg mit dem Amt für Planfeststellung des Verkehrsministeriums als Beklagte bis etwa Mitte August entscheiden, ob sie dagegen Berufung einlegen. Die Kreispolitik erwartet dazu von der Verwaltung eine rechtliche Bewertung, ob das Oberverwaltungsgericht als nächste Instanz die Sachlage anders einschätzen könnte, also zugunsten des Kreises. Die Bürgermeister von Uetersen und Tornesch drängen weiter darauf, dass der Verkehr zwischen den beiden Orten endlich entlastet werden müsse.

„Wir haben nach dem Urteil in Schleswig schön gegessen, eine Flasche Sekt aufgemacht und etwas gefeiert“, sagt Krüger (68), der in der IG Südtangente fast so lange wie sein Co-Sprecher Jürgen Körner (82) gegen die K-22-Planung vorgeht und die beiden Kläger öffentlich vertritt. Seit 1979 kämpfen sie gegen die Kreisstraßenplanung.

Im Wesentlichen sei es das Verkehrsgutachten von 2007 gewesen, das das Verwaltungsgericht bemängelte, erklärt Krüger. In der knapp zweistündigen Sitzung seien die anderen Klagepunkte gar nicht erörtert worden. Einer der drei Berufs- und zwei Laienrichter der Kammer habe sich sogar vor Ort in Tornesch ein genaues Bild über die Planung gemacht.

Gericht kritisiert veraltetes Gutachten des Kreises

Knackpunkt für die Kläger ist, dass vom Wischmöhlenweg aus ein Tunnel unter der Bahnlinie hindurch und weiter zum Großen Moorweg und dann zur A 23 führen soll, der den Ortsteil Esingen zerschneiden, aber den Verkehr ihrer Ansicht nach kaum entlasten würde.

Unmittelbar betroffen wäre der Möllner Hof, in dem sich heute ein kleines Museum der Kulturgemeinschaft befindet und dessen Eigentümer Jürgen Mölln einer der beiden Kläger ist. Vor Gericht betonte der Landwirt, dass er heute zwar im Kreis Plön lebe, sich aber immer noch seiner Geburtsstadt Tornesch eng verbunden fühle.

Vier Punkte an dem 14 Jahre alten Verkehrsgutachten habe das Gericht kritisiert. So habe der Kreis es zwar mit Zahlen von 2015 aktualisiert, die aber nur hochgerechnet und nicht gezählt worden sind. So gehe das Kreisgutachten immer noch von rund 5000 Fahrzeugen am Tag auf der Friedrichstraße aus, wohingegen zwei Verkehrsgutachten der Stadt Tornesch von 2010 und 2014, die nicht bei der K-22-Planung berücksichtigt wurden, 9500 Fahrzeuge auf der L 107 ergeben hätten hätten.

Das ursprüngliche Gutachten von 2007 habe eine Entlastung der L 110 (Ahrenloher Straße) von etwa 20 Prozent angegeben, wenn die K 22 gebaut sei. Die nur neun Seiten umfassende Aktualisierung von 2015 spreche von 13 bis 17 Prozent, was das Gericht nicht habe nachvollziehen können, sagt Krüger.

Bürgermeister von Tornesch und Uetersen sind enttäuscht

Zudem habe es der Kreis laut Verwaltungsgericht versäumt, den Einfluss des öffentlichen Nahverkehrs in die Verkehrsplanung aufzunehmen. So seien in den vergangenen Jahren zahlreiche zusätzliche Buslinien nach Esingen oder Heidgraben geschaffen worden, deren Entlastungswirkung hätte untersucht werden müssen.

Damit nicht genug: Das ganze Verkehrsgutachten des Kreises habe ein viel zu kleines Gebiet betrachtet. Welche Auswirkungen der Bau auf die Verkehrszahlen in Moorrege, Heidgraben oder durch die neue Westumgehung in Pinneberg haben würde, sei nicht berücksichtigt worden.

Diese gravierenden Mängel, die das Baurecht für die K 22 nun zunächst zu Fall gebracht haben, hat sogar ein zusätzliches Sachverständigen-Gutachten herausgearbeitet, das der Kreis 2019 selbst in Auftrag gab und das nun – erst Anfang 2021 – vor Gericht eingebracht worden sei; es liegt dem Abendblatt vor.

Gutachten offenbart Mängel in der Planung

Dieses Gutachten sollte das Verkehrsgutachten des Kreises stützen. Darin heißt es aber: „Einziger Kritikpunkt ist der etwas zu klein gewählte Untersuchungsraum. Der Untersuchungsraum hätte aus Sicht des Gutachters das vollständige Straßennetz mit allen geplanten Maßnahmen zwischen Pinneberg und Elmshorn umfassen müssen.“

Zudem seien die Verkehre vom ursprünglichen Gutachten nur sechs Stunden gezählt worden. „Die Darstellung der Hochrechnung auf 24 Stunden fehlt“, heißt es. Noch dazu sei im Dezember gezählt worden, was „nicht regelkonform (sei), da normalerweise nur zwischen März und Oktober erhoben wird“.

K-22-Gegner Krüger: „Ich hätte als Kreismitarbeiter dieses zweite Gutachten für immer im Panzerschrank verschlossen.“ Dass der Kreis es jetzt im Prozess den K-22-Gegnern quasi auf dem silbernen Tablett präsentierte, wertet Krüger so, als habe sich der Kreis inzwischen selbst von der K-22-Planung verabschiedet und diese 40 Jahre alte Planung begraben wollen.

Kreis plant keine Sanierung der K22

Die betroffenen Bürgermeister wollen das nicht hoffen. Sabine Kählert (Tornesch) sagt: „Für die Verkehrsteilnehmer aus Tornesch und den umliegenden Kommunen, für alle Verkehrsteilnehmer, die diese Strecke nutzen müssen, sowie für die von Verkehrsbelastung geplagten Anlieger ist diese Entscheidung ein großer Rückschritt.“

Sie hadert zudem mit der hiesigen landesweiten Rechtsprechung, dass ein mangelhaftes Verkehrsgutachten nicht einfach überarbeitet und so das ganze Verfahren geheilt werden könne, wie es in den anderen 15 Bundesländern möglich sei. Für Kählert ist der Bau der K 22 „alternativlos“. Ihr Uetersener Amtskollege Dirk Woschei sagt: „Dass es jetzt in die nächste Instanz gehen muss, ist ein Drama ohne Ende. Es ist ein Trauerspiel. Es liegt auf der Hand, dass die Straße benötigt wird. Wer zwischen Uetersen und Tornesch im Stau steht, braucht kein Verkehrsgutachten, um das festzustellen.“

Kreissprecherin Silke Linne teilt auf Anfrage mit: „Seitens des Kreises warten wir zunächst die schriftliche Urteilsbegründung ab. Das VG hat ausdrücklich die Berufung zugelassen.“ Und: „Bislang wurden von der Kreisverwaltung keine Überlegungen dahingehend angestellt, auf den Ausbau der K 22 zu verzichten.“ Eine Sanierung der heutigen K-22-Trasse sei „in dem Sanierungsplan des Kreises nicht enthalten.“