Kreis Pinneberg. Nach dem langen zweiten Lockdown feiert das Ensemble Hamburger Ratsmusik sein 30-jähriges Bestehen mit Konzerten und neuer CD.

Früh übt sich, was ein Meister werden will: Auf wenige Menschen trifft dieses Sprichwort so zu wie auf Musiker, die sich der historischen Aufführungspraxis verschrieben haben. Simone Eckert, die in Ellerhoop lebt, war acht Jahre alt, als ihr Berufswunsch feststand. Bis heute ist sie eine international gefragte Gambistin und der künstlerische Kopf des Ensembles Hamburger Ratsmusik, das jetzt sein 30-jähriges Bestehen feiert und an eine Tradition anknüpft, die 1522 in Hamburg begonnen hat. Am 12. Juni findet in der Kummerfelder Osterkirche das erste Konzert für Präsenzpublikum nach dem langen zweiten Lockdown statt. Zeit zum Aufatmen nach einer schweren Zeit, die aber auch Früchte getragen hat.

Fast 40 CDs in 30 Jahren aufgenommen

Diese zuletzt gereiften Früchte hält Simone Eckert in Form einer neuen CD in den Händen: Sechs Sonaten für Pardessus de Viole (eine Gambe) von Jean-Baptiste Barrière, aufgenommen vom Ensemble Hamburger Ratsmusik mit Lautenist Ulrich Wedemeier, von Anfang an Mitstreiter Simone Eckerts, und der Cembalistin Anke Dennert, die seit 2016 dabei ist.

„Von allen 250 erhaltenen Stücken für Pardessus de Viole haben wir die bedeutendsten eingespielt“, sagt Simone Eckert. „Es sind ganz berührende, eingängige Melodien von Barrière mit sehr viel Beweglichkeit, Humor und Virtuosität. Sie sind abwechslungsreich und einzigartig, denn er lässt sich mit niemandem vergleichen. Er hat sich lediglich an den italienischen Geigen-Virtuosen seiner Zeit orientiert.“

Sehr lange habe sie an der technischen Bewältigung seiner Sonaten getüftelt, „weil er keine Vorreiter hatte und wir die Ersteinspielung gemacht haben. Ich hoffe, wir können damit in Frankreich gastieren.“ Das ist sehr wahrscheinlich, denn in der Kulturnation Frankreich ist die Alte-Musik-Szene reich, der Staat fördert die Ensembles und finanziert ihnen sogar eine Sekretärin.

In Deutschland ist es ungleich schwerer, sich über Wasser zu halten. Dem Ensemble Hamburger Ratsmusik ist das dank Simone Eckerts Engagement gelungen. Fast 40 CDs haben die Musiker in den vergangenen 30 Jahren aufgenommen.

Alte Musik auf historischen Instrumenten

Seit der Dirigent Nikolaus Harnoncourt der Alten Musik zu einem bis dahin ungeahnten Höhenflug verholfen hat, der rund drei Jahrzehnte anhielt und ein internationales Phänomen wurde, hat sich viel getan in der Szene, doch die Wiederentdeckung dieser ebenso vielfältigen, prächtigen wie feinsinnigen Musik ist in letzter Zeit wieder etwas abgeflaut.

Was auch dadurch kommt, dass die großen öffentlich-rechtlichen Sender stärker quotenorientiert dem Mainstream folgen, den großen Namen hinterherjagen und die vielfältige Szene nicht mehr so abbilden und neugierig verfolgen wie früher.

Simone Eckert, die in Ellerhoop lebt, hat schon als Kind entgegen dem Rat ihrer Eltern unbeirrt ihr Ziel verfolgt. Während der Schulzeit begann sie ein Parallelstudium an der Hamburger Musikhochschule, später hat sie dann an der renommierten Schola Cantorum Basiliensis in Basel studiert, zuerst bei Hannelore Mueller und dann bei Jordi Savall.

Auch hat sie sich nie als reine Instrumentalistin verstanden, sondern nebenbei in Archiven geforscht und ungehobene Schätze ausgegraben. Bis heute trägt sie neben diesen beiden anspruchsvollen Aufgaben die Organisation und das Management des Ensembles aus eigener Kraft. Nebenbei ist wohl der richtige Ausdruck, denn täglich übt sie morgens und nachmittags jeweils zwei Stunden auf ihrem wunderschönen Instrument aus dem Jahre 1685.

Musikalische Reichtümer aus den Archiven

Anfangs als Duo, sind Wedemeier und sie viel in Kirchen, Kulturvereinen und Kulturzentren aufgetreten, später hat der NDR viele ihrer Konzerte aufgenommen und übertragen. „Bald sind wir mit Geigen und Sängern aufgetreten, um noch mehr von dem Hamburger und norddeutschen Repertoire spielen zu können“, sagt die Musikerin.

Mit ihren Ausgrabungen konnten sie diverse CD-Labels überraschen, denn Ersteinspielungen wiederentdeckter Musik war etwas Verlockendes für sie. „Wir hatten damals viel Spielraum. Ich bin noch selbst in die Archive und Bibliotheken gereist. Das ist heute oft nicht mehr nötig, weil die Bestände digitalisiert sind. Mittlerweile haben viele Ensembles die Archive abgegrast.“

Dank ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen hat Simone Eckert aber einen gewaltigen Wissensvorsprung. Durch ihre Arbeit wurden vergessene Kompositionen von Georg Philipp Telemann, Johann Philipp Krieger, William Brade oder Johann Theile wieder gehört, aufgeführt und nachgespielt, denn „jedes Abtauchen fordert Reichtümer zutage“, sagt sie.

Hamburger Ratsmusik erhielt zwei Echo Klassik

Zum ersten Mal wurde das Ensemble im Jahr 2006 mit dem Echo Klassik ausgezeichnet.
Zum ersten Mal wurde das Ensemble im Jahr 2006 mit dem Echo Klassik ausgezeichnet. © Privat | Privat

2005 nahm das Ensemble Hamburger Ratsmusik Kompositionen „Lübecker Virtuosen“ auf. „Das war ein Türöffner. Wir bekamen den Echo Klassik 2006“, erzählt Simone Eckert. Plötzlich seien alle Rundfunksender interessiert gewesen, Plattenfirmen riefen an, das Schleswig-Holstein Musik Festival klopfte an.

2010 folgte der nächste Echo Klassik, und 2017 wurden die Musiker zum Bostoner Early Music Festival eingeladen. „Daraus haben sich viele Kontakte entwickelt.“ Als einziges deutsches Ensemble wurden sie in das europäische Netzwerk für Alte Musik aufgenommen.

40, 50 Konzerte gibt das Ensemble im Jahr, es hat auf angesehenen Festivals im In- und Ausland bis nach Asien gastiert, bis die Corona-Pandemie alles zum Erliegen brachte. Ein Vorlauf von drei bis fünf Jahren sei nicht selten bei der Zusammenstellung eines Tour-Planes, sagt Simone Eckert.

Umso schlimmer war es dann, als im Mai wieder Absagen kamen, weil das Leipziger Bachfest oder das Musikfest Stuttgart 2021 doch coronabedingt ausfallen müssen. Aber viele andere Auftritte klappen, auf Sylt, in Berlin, Stralsund oder dem französischen Festival Itinéraire Baroque.

Musikalische Lesung mit Werken von Bach, Vivaldi, Händel oder Lully; Sa 12.6., 17 Uhr, Osterkirche Kummerfeld. Covid-Test oder Impfnachweis nötig, Eintritt frei, Spende willkommen.