Kreis Pinneberg. Wiesen sind im Frühjahr die Kinderstube des heimischen Wildes. Ehrenamtliche spüren Tiere vor der Grasmahd mit Drohnen auf.
Das Kitz drückt sich reglos ins hohe Gras. Die Mutter kommt nur gelegentlich zum Säugen vorbei, um keine Duftspur zum Nachwuchs zu legen. So will sie ihr Junges vor natürlichen Feinden wie dem Fuchs schützen. Das Kitz selbst gibt kaum Geruch ab. Doch genau dieses Schutzverhalten wird vielen neugeborenen Rehen in der Grasmahd zum Verhängnis. Denn vor den scharfen Mähwerken schützt diese Taktik nicht – im Gegenteil.
Per Drohne retten Jäger Rehkitze
Immer mehr Mitglieder der Kreisjägerschaft Pinneberg setzen auf Rettung aus der Luft. Tobias Mathey aus Uetersen ist einer von ihnen. Er hat mehrere Tausend Euro aus seiner Tasche für eine Drohne mit Infrarot-Kamera investiert. Und er opfert seinen Urlaub, um Jungtiere im hohen Gras aufzuspüren, bevor landwirtschaftliche Maschinen sie zerfetzen. Denn wenn Rehe ihre Kitze in Wiesen abgesetzt haben, ist es für Landwirte sehr schwer, sie auszumachen. Selbst wenn der Trecker mit dem Mähwerk auf sie zu rumpelt, rühren sich die Tier-Babys nicht.
Wie viele Tiere durch die Mahd von Grünland getötet werden, lässt sich schwer beziffern. Allein in Deutschland wird die Zahl auf 500.000 pro Jahr geschätzt, davon etwa 100.000 Rehkitze.
Tiere im hohen Grad nur schwer zu sehen
Die erbärmlichen Schreie verletzter Kitze hatte Tobias Mathey im Hinterkopf, als er sich entschloss, per Drohne möglichst viele der Tiere zu retten. Derzeit hat er Hochbetrieb, fährt von Hof zu Hof befreundeter Landwirte, um frühmorgens, bevor die Sonne hoch steht, Wiesen zu überfliegen. Die Zeit drängt, denn später erfasst die Thermokamera der Drohne nicht allein die Kitze wegen deren Körpertemperatur, sondern auch Maulwurfshügel, deren dunkle Erde von den Sonnenstrahlen erwärmt werden.
Das Aufspüren der Kitze geht vergleichsweise schnell. Länger dauert es, die Helfer per Funkgerät genau an den Ort zu lotsen, an dem die Ricke ihr Junges abgesetzt hat. Im hohen Gras sind die Tiere optisch kaum auszumachen – selbst wenn man unmittelbar neben ihnen steht. Das gilt auch für Hasen-Kinder in ihrer Sasse und Kiebitzjunge. Auch sie werden bei der Drohnensuche quasi nebenbei entdeckt und gerettet.
Jäger und Bauern grünen Norddeutsche Wildtierrettung
Die Luftrettung macht Mühe, eine Drohne kostet zirka 6000 Euro, und Urlaubstage werden für die Aktion genutzt. Trotzdem ist es die Sache für Jäger Mathey wert. So schaffte er beispielsweise, gemeinsam mit seinem Jagdkameraden Klaas Seebandt und weiteren Helfern allein an drei Tagen gleich 26 Kitze per Hand zu retten und elf weitere, die schon über einen Fluchtimpuls verfügen, „Platzverweise“ zu erteilen. Tobias Mathey: „Ein schönes Gefühl!“
Die vorsichtig mit Gras oder Decke aufgehobenen Kitze werden im Schatten in einer Kiste „geparkt“ und nach dem Mähen wieder auf den Wiesen ausgesetzt, so dass sie von ihren Müttern gefunden werden. Das Vermeiden von direktem Körperkontakt ist wichtig, da anderenfalls die Muttertiere ihren Nachwuchs ablehnen könnten. Geld nimmt er für seinen Einsatz nicht, sondern bittet um Spenden für den kleinen Verein „Team Rehkitzrettung“, der sich 2018 im Kreis Steinburg gegründet hat.
„Unsere schleswig-holsteinischen Jäger engagieren sich flächendeckend für die Jungwildrettung und unterstützten die Landwirte, wo sie können - ganz im Sinne des Tier- und Naturschutzes“, sagt Wolfgang Heins aus Lutzhorn, Präsident des Landesjagdverbandes Schleswig-Holstein. Die Zusammenarbeit von sechs Landesjagdverbänden und zwei Landesbauernverbänden im Jahr 2019 mündete in die Gründung des Vereins „Norddeutsche Wildtierrettung“.
Hohe Anschaffungskosten für Drohnensysteme
Der Verein bietet eine Plattform für den Austausch und die Forschung zur Wildtierrettung. Die „Norddeutsche Wildtierrettung“ unterstützt auch bei der Suche nach „Kitzrettungsteams“ und berät bei der Anschaffung von Drohnen und Wärmebildkameras.
Aufgrund der hohen Anschaffungskosten werden Drohnensysteme noch nicht überall eingesetzt. Das Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft hat in diesem Jahr eine Förderung in Höhe von insgesamt drei Millionen Euro auf den Weg gebracht.
Im Wildtier- und Artenschutzzentrum in Klein Offenseth-Sparrieshoop werden derzeit vier Kitze von Hand aufgezogen. Sie sind zwischen zwei Tage bis zwei Wochen alt. Ihre Mütter kamen nicht wieder, weil sie von einem Auto angefahren wurden oder sie wurden zurückgelassen, weil sie zu schwach waren. Um sicher zu gehen, dass das Muttertier nicht zurückkehrt, müssen die Kitze beobachtet werden. „Wir empfehlen die Rücksprache mit den zuständigen Jägern und nicht, die Kitze einfach einzusammeln“, sagt Tierpflegerin Marie Töllner. Die Aufzucht ist sehr aufwendig. „Sie bekommen alle drei Stunden Milchersatz mit der Flasche.“ Im Herbst sollen sie dann ausgewildert werden. „Wir merken, dass der Einsatz von Drohnen was bringt. Erst gestern wurden 15 Kitze umgesetzt.“
Weitere Informationen: www.team-rehkitzrettung.de, www.norddeutsche-wildtierrettung.de, www.kjs-pinneberg.de