Pinneberg. Vor wenigen Jahren saniert - jetzt einsturzgefährdet. 60 Mitarbeiter des Amtsgerichts müssen in ein Ausweichquartier.
Betonkrebs sorgt für einen Ausnahmezustand am Amtsgericht Pinneberg. Der gesamte Westflügel des 1975 errichteten Gebäudes, der quasi auf Stelzen über einer Parkfläche steht, ist einsturzgefährdet und musste geräumt werden. Betroffen sind etwa 60 der 130 Mitarbeiter des Amtsgerichts, für die ein Ausweichquartier gesucht werden muss.
Gericht kann ohne Einschränkungen weiterverhandeln
„Für die betroffenen Mitarbeiter ist das eine sehr große Herausforderung“, sagt Bernhard Flor, der Präsident des Landgerichts Itzehoe und oberster Dienstherr der Pinneberger Belegschaft. Für das Gericht komme es einem „Teil-Lockdown“ gleich. Zwar seien sämtliche Sitzungsräume nicht betroffen, die sich im linken Gebäudeteil befinden. „Wir können ohne Einschränkungen weiter verhandeln“, so Flor.
Allerdings würden sich im gesperrten Westflügel wichtige Abteilungen des Hauses befinden – etwa die Straf-, die Nachlass- sowie die Betreuungsabteilung sowie die gesamte Verwaltung. „Aktuell laufen in Pinneberg etwa 5000 Betreuungsverfahren, da wird es Probleme geben“, mutmaßt der Landgerichtsdirektor. Um so wichtiger sei es, dass möglichst schnell Ausweichräume gefunden würden. „Die Suche läuft seit Dienstag auf Hochtouren“, so Flor weiter.
Ersatzquartier für Mitarbeiter noch nicht gefunden
Zuständig ist die Gebäudemanagement Schleswig-Holstein (GMSH). „Unsere Mitarbeiter sondieren derzeit den Markt in Pinneberg“, sagt Barbara Müller, die Sprecherin der GMSH. Das sei nicht einfach, da verschiedenste Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Müller: „Wir brauchen Zugriff auf das Landesdatennetz, in dem unsere Mitarbeiter verschlüsselt arbeiten können.“ Wie schnell ein Ersatzquartier gefunden werde, stehe noch nicht fest.
Auch andere wichtige Fragen können noch nicht beantwortet werden. Bisher sei weder klar, wie eine Sanierung der Fundamente erfolgen könne noch wie lange sie dauern wird und welche Kosten entstehen werden. „Das alles müssen jetzt weitere Untersuchungen klären“, sagt die GMSH-Sprecherin.
Noch könnten diese jedoch nicht starten, da der einsturzgefährdete Westflügel erst mit großem Aufwand abgestützt werden müsse. Die Stützen würden sowohl außerhalb als auch innerhalb der Etagen aufgestellt. Dies werde sechs bis acht Wochen in Anspruch nehmen, so lange dürfe der Westflügel nicht betreten werden – auch nicht von den Mitarbeitern, um etwa Akten aus den Räumen zu holen.
Gebäude wurde vor wenigen Jahren saniert
„Natürlich sind wir mit der Situation nicht glücklich, wir sind auch verärgert“, sagt Gerichtsdirektor Flor. So sei das Amtsgericht erst in den Jahren 2015 und 2016 für 4,1 Millionen Euro umfangreich saniert worden. Die Erneuerung der Fassade stand an, 200 Fenster wurden ausgetauscht, Teile des Dachs ersetzt.
Kurzum: Am und im Gebäude wurde intensiv gearbeitet. Die Gerichtsverhandlungen wurden damals in die ehemalige Fachhochschule Akad am Rathaus ausgelagert, die Büroarbeiten fanden trotz des Baulärms im Gebäude statt.
Jetzt muss Knall auf Fall für die Büroarbeiten der Mitarbeiter eine Ausweichfläche gesucht werden. Homeoffice ist für die Mitarbeiter nur bedingt möglich. Zwar gibt es in Teilbereichen die digitale Akte, viele der Akten werden aber noch klassisch geführt.
2016 wurde Statik des Gebäudes geprüft
„Die Probleme mit dem Fundament sind damals aufgefallen“, berichtet Flor. Allerdings sei kein sofortiger Handlungsbedarf gesehen worden. Die Sanierung hätte ab 2022 erfolgen sollen, die Dauer war für zwei Jahre vorgesehen „Über die jetzt aufgetretene Dramatik der Situation sind wir erschüttert“, so der Landgerichtspräsident. Er und die Mitarbeiter hätten volles Vertrauen in die GMSH, die einen Weg finden werde, das Gebäude wieder voll nutzbar zu machen.
Bereits im November 2016 hatte das Abendblatt über Probleme mit dem Westflügel des Gebäudes berichtet. Damals war von Abplatzungen an mehreren der Betonstützen die Rede, auf denen das Gebäude steht. Laut der damaligen Amtsgerichtsdirektorin Bettina Morik war daraufhin sofort die Statik des Gebäudes geprüft worden. Das Ergebnis: Sie sei sicher.
Sanierung des Gerichts wird mindestens zwei Jahre dauern
GMSH-Sprecherin Barbara Müller bestätigt, dass die Sanierung der Fundamente in Kürze angestanden hätte. Bei den vorbereitenden Untersuchungen sei jetzt aufgefallen, dass der Schaden deutlich größer ist als, angenommen wurde.
Ursache sei eine Alkalie-Kieselsäure-Reaktion, die auch als Betonkrebs bekannt ist. Sie führt zu einer Zersetzung des Betons und reduziert die Tragfähigkeit der Betonbauteile. Die Fundamente des Westflügels seien derart stark geschädigt, dass sie nicht mehr sicher tragfähig sind.
Der Westflügel des Gerichts ist 23,7 Meter lang und 11,6 Meter breit. Er besteht aus einem Erdgeschoss und vier weiteren Etagen. Das fünfte Stockwerk war erst 2005 hinzugekommen, als das Amtsgericht als zentrales Registergericht ausgewählt wurde. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass im Westflügel mindestens zwei Jahre lang nicht gearbeitet werden kann. So lange wird die Sanierung im günstigsten Fall dauern.
Schneller wird die Fällung der großen Rosskastanie gehen, die seit Jahrzehnten vor dem Gebäude steht. Bei dem Baum ist ein weit fortgeschrittener Befall mit einem holzzersetzenden Brandkrustenpilz festgestellt worden, auch er ist wie das Gebäude nebenan nicht standsicher.