Kreis Pinneberg. 107 Fälle im Kreis, davon vier Gewalttaten, listet der Verfassungsschutzbericht auf. 2019 waren es noch 262 Fälle

2020 sind die politisch motivierten Straftaten in Schleswig-Holstein um 18,3 Prozent zurückgegangen. Es wurden laut dem kürzlich vorgestellten Verfassungsschutzbericht 1033 Fälle gezählt, ein Jahr zuvor waren es 231 Taten mehr. Auch im Kreis Pinneberg ist der rückläufige Trend spürbar. Hier spielten sich 107 Fälle ab, darunter vier Gewalttaten. Der Rückgang ist hier besonders augenfällig. 2019 registrierte der Verfassungsschutz im Kreisgebiet noch 262 politisch motivierte Straftaten, darunter acht Gewalttaten.

Im Landesvergleich, wo der Kreis noch 2019 den unrühmlichen ersten Platz belegte, liegen jetzt die Landeshauptstadt Kiel (171 Fälle, 21 Gewalttaten) und Lübeck (145 Fälle, zehn Gewalttaten) vorn, ehe der hiesige Kreis auf Platz drei folgt. Hinter Kiel (87 Straftaten) und Lübeck (80) liegt der Kreis Pinneberg mit 71 Straftaten auch auf Platz drei, was die Fälle rechter Straftaten angeht. Die Landesregierung benennt den Kreis in diesem Punkt als regionalen Kriminalitätsschwerpunkt.

Starker Rückgang bei linksextremistischen Straftaten

Besonders bei den Straftaten aus dem linksextremistischen Spektrum ist der Rückgang in der hiesigen Region sehr stark ausgeprägt. 2018 wurden 138 solcher Fälle aktenkundig, 2019 waren es dann sogar 150. Im vorigen Jahr sank diese Zahl auf lediglich 18 Fälle. Das liegt daran, dass 2018 der Kommunal- und 2019 der Europawahlkampf viele derartigen Straftaten ausgelöst haben. So wurden diverse Wahlplakate insbesondere rechtsgerichteter Parteien gestohlen oder auch beschädigt. Zwei Drittel dieser Straftaten resultierten etwa 2019 aus dem Europawahlkampf. Im besonderen Fokus der linken Szene war die AfD, deren Plakate in Massen beschädigt oder entwendet worden wurden.

Das linksextremistische Personenpotenzial in Schleswig-Holstein erhöhte sich 2020 um 30 Personen auf 730, das gewaltbereite Personenpotenzial lag bei 340 (plus fünf). Im rechtsextremen Spektrum sticht die NPD heraus, die landesweit 120 Mitglieder hat und die leicht ansteigende Zahlen aufweist. Der Uetersener Ingo Stawitz hat im Oktober 2020 nach acht Jahren den Landesvorsitz an Mark Proch aus Neumünster abgegeben. Laut dem Bericht stieg das rechtsextremistische Personenpotenzial um elf Prozent auf 1180 Personen an, was dem Mitgliederzuwachs bei der NPD und dem sogenannten Flügel der AfD zu verdanken ist, dem in Schleswig-Holstein 130 Personen zugerechnet werden.

Wedeler nach Amoklauf in Wien im Fokus der Ermittler

663 Straftaten wurden landesweit dem rechten Spektrum zugerechnet (minus 46). 71 Fälle (minus 11) entfielen davon auf den Kreis Pinneberg. Wie auf Landesebene stellen die Propagandadelikte den größten Anteil dieser erfassten Straftaten dar – also die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen etwa durch Anbringen von Hakenkreuzen oder sonstigen verbotenen NS-Symbolen innerhalb des öffentlichen Raums. Mit großem Abstand folgen dann Volksverhetzungsdelikte, Beleidigungen und Sachbeschädigungen.

Der Verfassungsschutzbericht führt wie in den Vorjahren als neonazistischen Personenzusammenschluss die „Jugend für Pinneberg“ (JfP) auf, die öffentlichkeitswirksam kaum in Erscheinung tritt. Schlagzeilen machte voriges Jahr dagegen der Fall eines Wedelers, der nach dem Amoklauf in Wien ins Visier der Verfassungsschützer geriet. Das damals 22 Jahre alte Mitglied der jihadistisch-salafistischen Szene galt als enge Kontaktperson des Attentäters. Er soll sich über längere Zeit ebenfalls in Wien aufgehalten haben und zudem überregional in der Jihadistenszene vernetzt sein. Es fanden Durchsuchungen bei dem Mann statt. Straftaten konnten ihm jedoch offenbar keine nachgewiesen werden.

Arbeit der Sicherheitsbehörden durch Corona beeinflusst

Auch ein Vorfall aus Henstedt-Ulzburg, an dem ein 19 Jahre alter Elmshorner beteiligt war, fand einen Eintrag in den Bericht. Am 17. Oktober rammte der 19-Jährige am Rande einer nicht angemeldeten Gegendemonstration gegen eine AfD-Kundgebung mit seinem Wagen vier der etwa 60 Teilnehmer. Drei von ihnen wurden verletzt. Der Vorfall erregte deutschlandweit Aufmerksamkeit in der linksextremistischen Szene, die den Fahrer dem rechten Spektrum zuordnete, und führte zu Solidaritätsbekundungen aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Ermittlungen gegen den Fahrer sind mittlerweile abgeschlossen, eine Anklageerhebung ist bislang noch nicht erfolgt. Die Staatsanwaltschaft kann den Vorfall als versuchtes Tötungsdelikt bewerten, es kommt auch eine gefährliche Körperverletzung infrage.

„Auch die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden wurde im vergangenen Jahr natürlich ganz wesentlich durch die Corona-Pandemie beeinflusst“, so Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie hätten den Trend zur Digitalisierung auch bei denjenigen verstärkt, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufbegehrten. „Die Beobachtung des Cyber- und Informationsraums erhält deshalb eine immer größere Bedeutung“, so Sütterlin-Waack. Auch die Kritiker der Maßnahmen – bis hin zu so genannten Coronaleugnern – beschäftigten die Sicherheitsbehörden. In Schleswig-Holstein gebe es bislang keine Anhaltspunkte, dass die öffentlichen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung von Rechtsextremisten oder Reichsbürgern gesteuert oder maßgeblich beeinflusst würden. 380 Reichsbürger (plus 14 Prozent) waren 2020 landesweit erfasst. Dem islamistischen Spektrum werden 845 Personen (plus 18 Prozent) zugerechnet.