Elmshorn. Verein Wendepunkt stellt Bilanz für 2020 vor. Während des Lockdowns sanken die Fallzahlen in der Beratungsstelle.
Im Lockdown zu Hause eingesperrt – für Kinder und Jugendliche, die missbrauch werden oder unter Gewalt leiden, kann das auch bedeuten, dass sie sich keinem anvertrauen können, dass niemand auf ihre Situation aufmerksam wird. Weil zum Beispiel Lehrer und Erzieher nicht genau hinsehen können. Rund 1000 Personen haben im vergangenen Jahr den Verein Wendepunkt um Hilfe gebeten, die kreisweit tätige Beratungsstelle bei sexuellem Missbrauch, körperlicher und psychischer Gewalt, Misshandlung und Kindesvernachlässigung. Es sind weniger als sonst, und in der Phase der Kita- und Schulschließungen waren es besonders wenige. Die Berater vermuten eine hohe Dunkelziffer.
Nach den Sommerferien, als die Schulen wieder geöffnet hatten, stieg die Zahl der Anfragen dann rasant. Denn es sind überwiegend die pädagogischen Fachkräfte in den Kitas und Schulen, die sich an den Wendepunkt wenden, wenn sie vermuten, dass ein Kind Hilfe benötigt. Da es zum Jahresende erneut zu Schließungen kam, ist nicht auszuschließen, dass nicht alle Hilfeanfragen die Berater erreicht haben. „Möglicherweise muss sich die Situation erst wieder normalisieren, bis alle Fälle sichtbar werden“, sagt Dirk Jacobsen, der die Beratungsstelle leitet.
Der Wendepunkt kümmert sich seit 1994 um kindliche Opfer sexueller Gewalt. In diesem Bereich erreichten die Experten 173 Anfragen von Betroffenen. Laut Kriminalstatistik 2020 für Schleswig-Holstein hat die häusliche Gewalt um 3,5 Prozent zugenommen. Der sexuelle Missbrauch von Kindern um erschreckende 15,8 Prozent.
Ein weiterer Arbeitsbereich ist das Interdisziplinäre Traumazentrum, das Menschen nach einem traumatischen Erlebnis schnelle und unbürokratische Hilfe bietet. Auch hier liegt der Schwerpunkt auf Kindern und Jugendlichen, die durch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern oder etwa vom Tod eines Angehörigen traumatisiert sind. 176 Fälle wurden aktenkundig.
Im Fachbereich Ambulante Rückfallprophylaxe und Täterarbeit sind die Beratungszahlen etwas angestiegen. Hier spiegelt sich der Trend wider, der auch in der Kriminalstatistik deutlich zu sehen ist: Die Verbreitung kinderpornografischer Schriften in Schleswig-Holstein ist gegenüber dem Vorjahr um 33,4 Prozent angestiegen. Bereits 2019 gab es hier einen vergleichbaren Anstieg. Auch in der Familien- und Erziehungshilfe ist der Wendepunkt tätig. 105 Familien wurden betreut. 2019 waren es 74.
„Es sind viele Stellen weggefallen, über die wir Meldungen bekommen haben. Trotzdem haben wir diese hohe Zahlen, sodass wir damit rechnen, dass, wenn alles wieder normal läuft, es exponentiell zum Anstieg kommen kann“ sagt Jacobsen.
Das zurückliegende Jahr war für die Mitarbeiter der Beratungsstelle, die Standorte in Elmshorn, Quickborn, Schenefeld und Hamburg unterhält, herausfordernd. Die Präventionsangebote und Veranstaltungen fielen weg, doch die Mitarbeiter waren jederzeit mobil und digital erreichbar. Persönliche Beratungen wurden und werden weiterhin am Telefon oder per Videokonferenz angeboten. Oder es fanden unter Einhaltung aller Sicherheitsauflage Gespräche im Freien statt.
In der ersten Phase der Schließungen hat Wendepunkt gemeinsam mit den Regio Kliniken und anderen Trägern auch eine telefonische Notfallversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger im Kreis Pinneberg eingerichtet. Wöchentlich wird jetzt ein Corona-Rundbrief mit vielen Tipps zum Umgang mit den Ereignissen, Hinweisen, Adressen und Links herausgegeben. Zudem wurde die Online-Präsenz verstärkt: YouTube-Videos zu jugendrelevanten Fragen und Themen wurden erstellt, ein Instagram-Profil etabliert sowie die Fort- und Weiterbildungsangebote um Webinare erweitert. Mittlerweile sind aber auch persönliche Beratungen an der Elmshorner Gärtnerstraße möglich.
Der Kreis Pinneberg finanziert zukünftig die Interdisziplinäre Trauma-Ambulanz Westholstein. Dieses Kooperationsprojekt hat Wendepunkt gemeinsam mit der Regio Klinik in den vergangenen sechs Jahren auf- und ausgebaut.