Rellingen. Er will das Infektionsrisiko in Schulen minimieren und stellte in Rellingen das Klassenzimmer der Zukunft vor.
Winzige Partikel messen, das kann Christian Kähler . Vor allem solche, die das Coronavirus übertragen. Er ist Aerosol-Forscher. Seine Mission: das Infektionsrisiko in Schulen zu minimieren und alle Klassenzimmer mit Filtertechnik auszustatten.
So wie in der Caspar-Voght-Schule in Rellingen, wo Kähler nun einen Vortrag gehalten hat. Ihm zufolge sind es sogenannte „Raumluftreinigergeräte“, die uns aus der Pandemie leiten sollen. Es ist seine Kampfansage an das Coronavirus – und an die Empfehlungen des Umweltbundesamts (UBA). Sein Vortrag gefällt im Kultusministerium in Kiel nicht so sehr. Dazu später mehr.
Statt auf technische Geräte setzt das UBA auf Unterricht mit Maske und kalte Winterluft. Die Empfehlung lautet: Alle 20 Minuten drei bis fünf Minuten lüften. Mit dieser Maßnahme soll die Raumluft dreimal pro Stunde ausgewechselt werden. Nicht machbar, sagt Kähler. Denn das typische Klassenzimmer habe nur zu einer Seite hin Fenster. Oftmals ließen sie sich nur einen Spalt breit öffnen. Außerdem sinke die Innentemperatur bei ständigem Stoßlüften.
„Dann funktioniert das Lüften nicht. In 90 Prozent der Zeit findet sogar gar keine Lüftung statt. Das ist gefährlich“, sagt Kähler. Denn zum Lüften sei Wind oder ein großer Unterschied zwischen Außen- und Innentemperatur nötig. „Das ist simple Physik.“
Alltagsmasken überzeugen den Forscher nicht
Und selbst wenn die Theorie in der Praxis aufgehen würde, rät Kähler von nur drei Luftumschlägen pro Stunde ab: „Im Krankenhaus liegt der Wert bei zwölf bis 15. Wir müssen also nach oben gehen.“ Ein Kompromiss aus Schutz und Finanzierbarkeit seien sechs Luftumschläge pro Stunde. Mit reinem Lüften nicht zu schaffen, sagt der Aerosol-Forscher. Auch an der Maskenpflicht meldet er Zweifel an: Normale Alltagsmasken schließen seitlich nicht ab. Die ausgeatmeten Aerosole des einen Sitznachbarn atme der andere dann direkt wieder ein.
Weil die Maßnahmen des UBA den Forscher nicht überzeugen, setzt er auf ein Drei-Punkte-Konzept: Filteranlagen, Trennwände und Schutzmasken gehören ins Klassenzimmer der Pandemie-Zeit.
In jedem Raum steht ein Raumluftreiniger. Er saugt die Luft an, pustet sie erst durch einen feinen Hepa-Filter und gereinigt wieder heraus. Zurück bleiben Feinstaub und die Partikel, die das Coronavirus übertragen können. Wichtig ist, dass das Gerät die Luft sechsmal pro Stunde reinigt. „Dann kann die Virenlast nicht ansteigen“, sagt Kähler. Das senke die indirekte Infektionsgefahr.
Bundesweite Umsetzung würde 1,5 Milliarden Euro kosten
Um die direkte Ansteckungsgefahr für Sitznachbarn zu reduzieren, empfiehlt der Forscher auch Plexiglaswände auf den Tischen. Sie sollten nach hinten abstehen und bestenfalls mit einer Kante umsäumt sein, die die Aerosole umleitet und von anderen Sitzreihen fernhält. Kähler sagt: „Der Raum bleibt transparent, die Masken können abgenommen werden, sodass die Mimik erkennbar ist und ein Stück Normalität zurückkehrt.“ Wenn die Schüler aufstehen, müssen sie aber eine FFP2- oder FFP3-Maske tragen. Sie schließt auch an den Seiten ab, kann das Infektionsgeschehen auf dem Weg zur Tafel und auf Gängen senken.
Würde das Konzept bundesweit umgesetzt werden, rechnet Kähler mit Kosten von 1,5 Milliarden Euro. „Das ist eine Menge. Aber in Relation zu den Staatshilfen an TUI, Lufthansa oder hinsichtlich der Kosten des Lockdowns im letzten Monat… Das sind ganz andere Summen“, sagt er. Zumal ein weiterer Lockdown teurer sei als das Klassenzimmer der Pandemie-Zeit. Auch merkt er an, man müsse sich klarmachen, wer die Kosten zukünftig abbezahlt: die Schüler.
In der Caspar-Voght-Schule in Rellingen, wo Kähler seinen Drei-Punkte-Plan vorstellt, stehen schon vier Raumluftreiniger. Geschenke der Firma Viromed. Weitere Geräte stehen während des Vortrags zur Schau. Der Schulaufsichtsbehörde und dem Kultusministerium gefällt das nicht. Die Behörden sind in Sorge, es könne sich um einen Werbevortrag handeln.
Lehrer durften nicht „in dienstlicher Funktion“ zuhören
Als der Wissenschaftler anreist, weiß er noch nicht, dass die Behörden versuchen, den Veranstalter ausfindig zu machen. Sie telefonieren mit der Bundeswehruniversität München, wo Kähler arbeitet, der Gemeindeverwaltung, der Firma Viromed und der Schule. Es ist zu hören, die Schulaufsichtsbehörde solle der Lehrerschaft daraufhin verboten haben, an der Veranstaltung teilzunehmen.
Auf Abendblatt-Anfrage widerspricht Ministeriumssprecher David Ermes und verweist auf die beamtenrechtlichen Regeln: „Die Schulaufsicht [hat] die Schulleitung daran erinnert, dass Lehrkräfte der Schule nicht in dienstlicher Funktion an solch einer Veranstaltung teilnehmen dürfen.“ Zudem verantworte der Schulträger, die Gemeinde Rellingen, außerschulische Raumvergabe. David Ermes mahnt: „Unsere Schulen sind keine Kulisse für Werbeveranstaltungen, egal für welche Produkte.“ Außerdem stellt er klar, dass Trennwände und Filtergeräte nicht von der Maskenpflicht oder dem Lüften in Schulen befreien.
Der Agentur Yamaoka Brodmeier International PR zufolge, deren Sprecher während des Vortrags vor Ort war, sei Kähler beziehungsweise die Universität der Bundeswehr in München Veranstalter gewesen. Von den Werbevorwürfen spricht sich der Forscher frei. Er habe für den Vortrag kein Geld erhalten.