Barmstedt. Adventskalender, Maske 2: Theaterbetreiber Matthias Grütz bekommt kaum Geld vom Staat. Bürger tragen ihn durchs Corona-Jahr.
Die Künstler und Kulturschaffenden durchleben und erleiden durch den Corona-Lockdown schwere Zeiten. Besonders hart getroffen hat es die Kulturschusterei in Barmstedt. „Es war ein Jahr zum Vergessen“, sagt Betreiber Matthias Grütz, der vor genau fünf Jahren das ehemalige Saturn-Kino seines Vaters zum Veranstaltungsort für Theater, Konzerte, Kino, Kabarett, Comedy, Filmabende und Lesungen umgestaltet hat – und der sehr erfolgreich damit war, bis Anfang März jedenfalls. „Wir brauchen jetzt einen Neustart“, sagt Grütz, der um seine Existenz kämpfen muss. „Hier steckt meine ganze Leidenschaft drin.“
Ein schwerer Abwasserschaden Mitte des Jahres machte ihm das Geschäft zwischen den beiden Lockdowns kaputt. Da sein Programm ohnehin immer eine Sommerpause einlegt, entdeckte Grütz erst spät, dass ein undichtes Abflussrohr in der Wand aus den darüber liegenden Wohnungen zu einem totalen Schlamassel im ehemaligen Kino geführt hatte. Das Foyer und der Keller waren vollgelaufen. „Es stank fürchterlich“, sagt Grütz. Mit Hilfe seines Vaters und einer Rohr-Fachfirma reparierte er den Schaden und flieste den Fußboden neu. Zum Glück habe die Versicherung den größten Teil abgedeckt, sagt Grütz.
„Retterbrillen“-Aktion brachte ihn um staatliche Hilfe
So konnte er nach dem letzten Comedy-Abend am 13. März erst wieder am 30. Oktober neu eröffnen, wenige Tage vor dem neuerlich verhängten Corona-Aus für Kulturstätten. Musiker Jon Flemming Olsen, bekannt als Imbissbetreiber der „Dittsche“-Folgen mit Olli Dittrich, versprühte an diesem ersten und letzten Konzertabend nach der Wiedereröffnung Optimismus. Er werde zahlreiche Kollegen dazu auffordern, ohne Gage in der Kulturschusterei aufzutreten, sobald das wieder möglich ist, versprach Olsen, der hier schon mehrfach aufgetreten war.
Denn trotz aller Bekenntnisse im Land, wie wichtig der Erhalt der Kultur sei, ist die Kulturschusterei weitgehend durchs Raster der Hilfsmaßnahmen gefallen. Von April bis Juni konnte er mit 4500 Euro der ersten Überbrückungshilfe zumindest noch die Miete für die Räume aufbringen. Doch seitdem sei er von staatlicher Seite leer ausgegangen, beklagt Grütz. So habe sich seine eigene Solidaritäts-Hilfsaktion, „Retterbrillen für die Kulturschusterei“ zu verkaufen, im Nachhinein als kontraproduktiv erwiesen. Wegen dieser 1100 Euro, die dabei zusammenkamen, erhielt er keine weitere finanzielle Unterstützung. Auch sein Hilfeantrag an die Stadt, den er Mitte September stellte, blieb lange unbeantwortet. Seine Idee: Die ohnehin eingeplanten Gelder für Stoppelmarkt und andere jetzt ausgefallene Stadtfeste sollten an bedürftige Kulturschaffende ausgezahlt werden.
Erst jetzt im Dezember befassen sich die politischen Gremien damit. Die BALL-Fraktion beantragt, der Kulturschusterei 4500 Euro zu bewilligen. „Kultur ist systemrelevant“, begründet Fraktionschef Günter Thiel diese Initiative. „Die Kulturschusterei ist eine der bedeutendsten Kultureinrichtungen in Barmstedt.“ So eine finanzielle Förderung durch die Stadt würde ihm „super helfen“, sagt Grütz.
Kulturfreunde haben einen Förderverein gegründet
Eine Welle der Hilfsbereitschaft hat sich inzwischen in Barmstedt entwickelt, die ihn freut und ihm bestätigt, dass die 65 Veranstaltungen mit rund 5000 Besuchern im Jahr offenbar nachhaltigen Anklang gefunden haben. Ein Freundeskreis Kunst und Kultur hat sich jetzt mit zunächst 15 Mitgliedern gegründet, dessen Ziel neben der allgemeinen Förderung der Kultur in der Stadt „auch der Erhalt des kleinen Theaters Kulturschusterei ist“, sagt die Zweite Vorsitzende Birgit Hesse.
Die Stadt solle offizielles Mitglied in diesem Verein werden, fordert Bürgermeisterin Heike Döpke. Sie sagt: „Die Kulturschusterei ist ein absolutes Highlight für Barmstedt. Es sollte deshalb in unser aller Interesse sein, dass sie erhalten bleibt.“ Auch sein Vermieter spiele mit und habe jetzt zunächst die Mietforderungen ausgesetzt, freut sich Grütz.
Am Freitag gibt’s Glühwein und Kaffee
Für Freitag, 4. Dezember, hat er eine weitere eigene Hilfsaktion ins Leben gerufen, die von Sponsoren kräftig unterstützt wird. So wird er an diesem Freitag von 16 bis 21 Uhr gestifteten Glühwein und Kaffee ausschenken und um Spenden bitten. Clou ist der Verkauf von bedruckten T-Shirts und Pullis, die ihm ebenfalls aus Solidarität von Geschäftsfreunden geschenkt worden sind. „Es ist jetzt ordentlich was im Gange, und ich hangele mich so durch“, sagt Grütz. Seine ganze Hoffnung liegt nun darauf, dass er im Frühjahr wieder mit dem Kulturprogramm starten kann, das weit über die Grenzen des Kreises Pinneberg hinaus Anklang gefunden hat.
So stellte der Hamburger Underground-Autor und Musiker Rocko Schamoni („Dorfpunks“, Studio Braun) im vorigen Jahr sein neuestes Werk „Große Freiheit“ ausgerechnet in der Kulturschusterei zum ersten Mal vor. In diesem Jahr hätte die Fernsehmoderatorin und Nachrichtensprecherin Linda Zervakis hier aus ihrer Autobiografie „Etsikietsi – Auf der Suche nach meinen Wurzeln“ gelesen, wenn er nicht hätte zuschließen müssen, bedauert Grütz. Mit 40 statt vorher 130 Plätzen und Plexiglasscheiben im Foyer und am Tresen hat er sein Theater längst auf die zwischendurch gültigen Hygiene-Auflagen vorbereitet.