Rellingen. Adventskalender, Maske 1: Rellingens Kantor Oliver Schmidt kürzt das Weihnachtsoratorium auf sieben Akteure runter.

Bachs Weihnachtsoratorium lässt sich zur Not auf sieben Beteiligte herunterkürzen, sagt Oliver Schmidt. Denn eine solche Schmalspur-Version des monumentalen Hauptwerkes sei immer noch besser als gar kein Weihnachtsoratorium, da ist sich Rellingens Kantor sicher. Wo sonst also 140 Sänger und Musiker Bachs himmlische Musik bis unter die barocke Kuppel der herrlichen Rellinger Kirche schicken, soll im Coronajahr wenigstens die Miniaturfassung möglich werden, hofft Schmidt, der zur Zeit alles umarrangiert.

Seit rund zehn Jahren ist er an der Rellinger Kirche für das musikalische Leben zuständig. Er gibt sehr viele Konzerte und arbeitet unermüdlich auf allen Ebenen seines Bereiches. Doch in diesem Jahr musste er eine ganz neue Art des Krisenmanagements dazulernen. Wie oft muss ich ein Orgelkonzert spielen, damit genügend Menschen es hören können? Das war so eine Frage. Als er im Mai eines bereits zweimal vor je 50 Zuhörern gespielt hatte und wegen der Abstandsregelungen immer noch 40 Musikfreunde wegschicken musste, spielte er es kurzerhand ein drittes Mal. Und sie kamen.

Rellinger Chor hat von März bis September nicht geprobt

Das Geld aus der Kollekte wird in diesem Jahr für einen Sonderfonds genutzt, um Instrumentalisten und Sängern, die seit Monaten fast keine Auftritte mehr haben, Honorare zu zahlen, die aus den Rücklagen aufgestockt werden. „Damit haben wir kein Leben gerettet, aber es ist eine Geste“, sagt Schmidt. Seit dem zweiten Lockdown plant der Kirchenmusiker dreischichtig. Variante eins: Konzerte werden normal gespielt. Variante zwei: Die Besetzung wird zusammengestrichen. Variante drei: Festlegen, wann die Beteiligten angerufen werden müssen, wenn doch alles ausfällt.

Traurig ist, dass der 100 Sänger starke Rellinger Chor, die Kantorei, von Mitte März bis September nicht geprobt hat und auch jetzt, trotz offizieller Genehmigung für Laienchöre, nach kurzer Arbeitsphase wieder aus Angst vor Ansteckung pausiert. Aber die Corona-Phase hat für Schmidt auch positive Seiten: In der ersten Phase der Isolierung hat er alle Chormitglieder persönlich abgeklappert. „Ich habe allen eine gelbe Durchhalte-Rose vorbeigebracht. Denn das Wichtigste ist, in Kontakt zu bleiben. Und was Musikalisches anzubieten.“

Eine bestehende Gemeinschaft hält die Krise aus

Deshalb hat der Mann mit dem wilden Schopf dann für die Chormitglieder Audio-Aufnahmen gemacht: „Die habe ich als MP3-Datei verschickt. Und für die vier Stimmen Sopran, Alt, Tenor und Bass habe ich die einzelnen Partien aufgenommen und mit ein paar Erklärungen zu den heiklen Stellen versandt“, sagt Schmidt. Damit hätten tatsächlich einige geübt. Als es für kurze Zeit wieder losging, hat er den Chor in 16er-Gruppen aufgeteilt, damit die zweieinhalb Meter Abstand eingehalten werden konnten. Selbst der Bläserchor konnte zwischendurch in der Kirche proben, nur zwölf Posaunen und Trompeten auf einmal.

Die Gelegenheit, die anderen aus der Gemeinschaft zu sehen und sich auszutauschen, die fehlt vielen Chormitgliedern. „Mir auch“, sagt Schmidt. Um diese Gemeinschaft durch so eine Krise zu erhalten, müsse „eine gewisse Vorarbeit geleistet worden sein“. Denn die Gemeinschaft müsse bereits bestehen und belastbar sein, um nicht auseinanderzufallen. „Vor 20 Jahren hätte ich wildere Wege genommen. Ich hätte an jedem Gartentor Gespräche geführt, Einzelne unter freiem Himmel versammelt, für drei Leute auf dem E-Piano gespielt. Gerade jetzt darf man sich auf keinen Fall ins Schneckenhaus verziehen“, sagt er.

Gute Musik helfe, über so eine Krise hinwegzukommen. „Ich denke noch mehr darüber nach, was für eine Rolle die musikalische Arbeit für die Leute spielt“, sagt der Musiker. Schließlich sei es die Gemeinde, die das alles bereitstelle, um musikalische Ideen umzusetzen. Die Musik des barocken Thomas-Kantors Bach mag er besonders gern, weil sie theologische und zwischenmenschliche Botschaften enthalte, das Verständnis dafür jeder fühlen könne. „Bei wenigen Komponisten geht das alles gleichzeitig so ab wie bei Bach“, sagt der Kantor. Aber auch Bruckner, Schostakowitsch und Mendelssohn gehören zu seinen Favoriten.

Am Mittwoch lüften wir die zweite Maske

Am Mittwoch lüften wir die zweite Maske.
Am Mittwoch lüften wir die zweite Maske. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Seit Corona einen Teil des öffentlichen Lebens lahmgelegt hat, findet er mehr Zeit zum Üben, „an ruhigen Tagen sind das vier, fünf Stunden täglich“, sagt er. Noch ein positiver Effekt der Corona-Zeit. Die Reaktionen vieler Menschen aus Rellingen zu erleben, den Umgang mit den Beschränkungen und den wenigen Möglichkeiten – „das ist eine schöne zwischenmenschliche Erfahrung“, sagt er. „Man lernt die Dinge im nahen Umfeld wieder stärker zu schätzen, und man lernt Dankbarkeit. Für den Freundeskreis, die Bibliothek zu Hause, mehr Zeit zum Lesen und zum Komponieren und um die Dinge, für die ich nie Zeit habe, endlich anzupacken.“

Natürlich ist da die Kreativität in neuer Weise gefragt, denn nur wenig läuft so weiter wie immer. „Beerdigungen waren so ziemlich das Einzige, was wir gemacht haben. Ich habe auf dem E-Piano an der offenen Grabstelle unter freiem Himmel gespielt. Das hat den Leuten so gut gefallen, dass wir das jetzt weiter anbieten.“

Musikalischer Gottesdienst mit Weihnachtsoratorium, So 13.12., 10 u. 19 Uhr; geistlich-musikalische Gottesdienste mit weihnachtlicher Orgel- und Geigenmusik Sa 19.12., 17 u. 19 Uhr. Verbindliche Anmeldung unter www.rellinger-kirche.de.