Pinneberg. Bäckereien und Gleichstellungsbeauftragte starten Kampagne gegen häusliche Gewalt. Frauenhäuser im Kreis überlastet.

Der gefährlichste Ort für eine Frau ist ihr Zuhause. Denn dort geschehen die meisten Gewalttaten. So starben im vergangenen Jahr bundesweit 117 Frauen durch die Hand ihres Partners. Etwa 18.000 Frauen mit fast ebenso vielen Kindern suchen jedes Jahr in einem Frauenhaus Schutz. Knapp 3900 Frauen im Kreis Pinneber g wurden 2019 Opfer häuslicher Gewalt . Und das sind nur die registrierten Fälle. Die Dunkelziffer ist vielfach höher. „Experten schätzen, dass sich nur 20 Prozent der Frauen, die Gewalt durch ihren Partner erfahren, Hilfe suchen“, sagt Halstenbeks Gleichstellungsbeauftragte Celia Letzgus.

Sie hat am Freitag stellvertretend für die Gleichstellungsbeauftragten und Mitarbeiterinnen in Beratungsstellen und Frauenhäusern im Kreis von Bäckermeister Jörn Dwenger einen symbolischen Scheck über 5327 Euro vor der Bäckerei Dwenger in Pinneberg entgegengenommen. Das Geld geht in gleichen Teilen an die drei Frauenhäuser in Wedel, Elmshorn und Pinneberg sowie an zwei Frauenberatungsstellen. Die Bäckerinnung ist seit 17 Jahren zuverlässiger Partner der Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“. Anlass ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November.

Häusliche Gewalt viel zu oft noch ein Tabu-Thema

In der kommenden Woche werden in den Bäckereien Brötchentüten mit der Nummer des bundesweiten Hilfstelefons ausgegeben, bei der sich Frauen und ihre Angehörigen melden können, wenn sie von Gewalt betroffen sind. Sieben Bäckereien im Kreis verteilen 13.000 Tüten. Längst hat die Idee aus dem Kreis Pinneberg Schule gemacht: In Schleswig-Holstein werden 320.000 Tüten werden in 275 Verkaufsstellen ausgegeben.

Und auch in Hamburg gibt es erste Nachahmer. „Wir haben viele Anfragen von Menschen, die unsere Brötchentüten bedrucken lassen möchten, weil sie wahnsinnig hohe Multiplikatoren sind“, sagt Jörn Dwenger. Bislang hat er seine Tüten aber nur einmal hergegeben, nämlich für die Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“. „Wenn die Tüte auf dem Frühstückstisch landet, sind Familie, Freunde oder Nachbarn vielleicht für das Thema sensibilisiert, und die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen, ist niedriger.“

„Das Thema ist viel zu oft noch ein Tabu“, sagt Letzgus. Wichtig sei deshalb, dass Opfer Hilfe bekämen und die Angebote den Bedarfen angepasst würden. „2019 mussten mindestens 100 Frauen und fasst ebenso viele Kinder, die sich in einem Frauenhaus im Kreis gemeldet hatten, abgewiesen werden, weil alle Plätze belegt waren. Das ist ein Skandal.“ Auch Therapieplätze für traumatisierte Frauen und Kinder seien rar. Spenden sollen an dieser Stelle investiert werden.

Auswirkungen der Corona-Krise noch nicht bekannt

Wie und ob sich der Corona-Lockdown auf die Fälle von häuslicher Gewalt auswirkt, ist bislang nicht an Zahlen festzumachen, da die kreisweite Kriminalitätsstatistik für 2020 noch nicht vorliegt. „In der Frauenberatungsstelle in Pinneberg gibt es derzeit sogar weniger Anfragen als sonst“, sagt Rellingens Gleichstellungsbeauftragte Nina Timmermann.

Sie erklärt es sich damit, dass die Frauen durch den Lockdown stärker isoliert sind und es für sie schwieriger wird, sich Hilfe zu holen. Kitas, Schulen und Vereine – Orte an denen Spuren von Misshandlungen auffielen – waren oder sind geschlossen. Auch Termine unter anderem bei Kinderärzten würden seltener wahrgenommen. Somit blieben blaue Flecken und Blessuren unentdeckt.

Timmermann weist darauf hin, dass die Beratungsstellen und Frauenhäuser auch während der Corona-Krise geöffnet haben und die Mitarbeiterinnen telefonisch erreichbar sind.

Unter der bundesweiten Telefonnummer 08000116016 finden Frauen rund um die Uhr kostenlos eine anonyme und niedrigschwellige Erstberatung in 18 Sprachen.