Pinneberg. Pinnebergs erster Streetworker Yasar Topkan hat diejenigen im Blick, zu denen Eltern und Stadt den Draht verloren haben.

Als Yasar Topkan an diesem späten Nachmittag seine Bürotür abschließt, begrüßt er die Reinigungsfrau auf dem Flur persönlich. Das ist nicht etwa ein unwichtiges Detail im Leben von Pinnebergs erstem Streetworker. Es zeigt, dass der 30-Jährige die Menschen in seiner Umgebung ohne Unterschied im Blick hat und spiegelt eine elementare Grundhaltung. Jetzt, wo seine Kollegen im Rathaus langsam nach Hause gehen, beginnt für den gebürtigen Pinneberger mit türkischen Wurzeln der wichtigste Teil seiner neuen Arbeit: Er geht nach draußen.

Nicht dahin, wo es bequem und vorhersehbar ist, geht Yasar Topkan. Sondern „dorthin, wo andere weggucken“. Unter die Hochbrücke. In die versteckten Winkel des Fahlt. Auf die Rückseite des Drosteiparks. Zum Gelände der ehemaligen Eggerstedt-Kaserne. Die klappert er ab. „Ich kenne die Orte, an denen Jugendliche sich aufhalten, die nicht nach Hause wollen und den Jugendzentren fernbleiben. Denn ich bin hier aufgewachsen“, sagt Topkan.

Topkan hat einen Master in islamischer Theologie

Sein Abitur hat er am Theodor-Heuss-Gymnasium gemacht, dann Zivildienst bei der Diakonie in der Abteilung soziale Wohnraumhilfe. Studiert hat er internationale Theologie mit einer pädagogischen Zusatzqualifikation. In islamischer Theologie hat er danach noch einen Master gemacht – mit dem Schwerpunkt Gemeindepädagogik und Seelsorge.

Als er selbst noch fast in dem Alter derer war, für die er jetzt Ansprechpartner sein will, hat Topkan eine Jugendgruppe in der Pinneberger Moschee geleitet, später in einem Kinderheim gearbeitet, an der Uni eine Fachschaft gegründet, im Gefängnis gejobbt.

Zweieinhalb Jahre war er dann hauptsächlich im Bereich Sozialarbeit bei einer Präventions- und Beratungsstelle gegen religiös begründeten Extremismus tätig, wo er auch Schulworkshops entwickelte. Alles mit dem Ziel, die Selbstreflexion und die Inklusion anzuregen, Angehörige und Bekannte der betreffenden Jugendlichen ins Boot zu holen und dazu beizutragen, dass Probleme benannt und möglichst angegangen werden. Religionen genau zu kennen war dabei nur von Vorteil.

Er weiß, dass er groß und stark wirkt

Er ist verheiratet, macht gern Fahrradtouren mit seiner Frau und hat zu Hause zwei Kleinpapageien. Ach ja. Ins Fitnessstudio geht er auch. Um sich auszupowern: Yasar Topkan ist der Klassiker eines Mannes, der als „groß und stark“ gilt. Das weiß er und sagt schlicht: „Ich hab‘ schon Selbstbewusstsein.“ Es muss wohl eine Gratwanderung zwischen Empathie und einer natürlichen Autorität sein, die ein Streetworker braucht. Denn was jemand vorgebe zu sein, werde von den Jugendlichen sofort durchschaut, sagt er.

Heiner Koch, Fachbereichsleiter Bildung, Kultur und Sport im Pinneberger Rathaus, ist die Freude anzusehen, einen Menschen wie Topkan gefunden zu haben. Die Stelle sei mehrfach ausgeschrieben gewesen. Ein Streetworker sei sehr wichtig für die Stadt. Das habe der Verbund der Jugendeinrichtungen im Kreis bestätigt: „Die Jugendlichen, die nicht in die Jugendzentren gehen, erreichen wir nicht. Und nicht jeder von denen weiß, was für tolle Programme wir da normalerweise anbieten. Diese Lücke ist jetzt geschlossen“, so Koch.

Jugendlichen fehlt es an Freizeitgestaltung

Trotz Corona hat Topkan im Oktober seine Arbeit aufgenommen. Der Club Nord, der Komet und das Geschwister-Scholl-Haus dürfen zwar keine Freizeitangebote machen, sind aber offen für Kinder und Jugendliche, die jemanden brauchen, der ihnen zuhört. Mit den dortigen Mitarbeitern ist Topkan schon gut vernetzt.

Die Orte in Pinneberg, an denen Jugendliche sich stressfrei aufhalten können, werden weniger, sagt Heiner Koch kritisch: „Überall werden sie verscheucht. Anwohner beschweren sich sogar, wenn sie sich auf den Bolzplätzen aufhalten.“ Und Topkan sagt: „Den Jugendlichen fehlt es an Freizeitgestaltung und an sozialen Räumen dafür. Selbst auf den Schulhöfen sollen sie sich nach Schulschluss nicht mehr aufhalten.“ Bei solchen Themen habe seine Arbeit durchaus eine politische Dimension.

Täglich macht er sich auf zu den Jugendlichen und sucht das lockere Gespräch. Das ist schwer am Anfang. Denn warum sollen sie einem trauen, der von der Stadt kommt? Manche befürchten, dass er mit der Polizei zusammenarbeitet. Oder mit dem Jugendamt. „Das tue ich aber nicht. Ich bin momentan damit beschäftigt, bekannt zu machen, dass es mich gibt und dass ich allein für die Jugendlichen da bin.“ Offensichtlich sei es einigen lieber, draußen mit Freunden abzuhängen, als nach Hause zu gehen: „Viele wurden von den Erwachsenen im Stich gelassen“, weiß er.

Keine Regeln aufdrücken, sondern offen kommunizieren

Eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen ist deshalb die erste Voraussetzung für ein ehrliches Gespräch. Damit Topkan herausfinden kann, wo vielleicht ein Problem liegt. „Das ist ein langsamer Prozess, bei dem man wirkliches Interesse zeigen muss“, sagt er. Und Heiner Koch ergänzt: „Ein Streetworker ist niemand, der den Jugendlichen Regeln aufdrücken will, sondern der eine offene Kommunikation pflegt.“ Die, für die Topkan zuständig ist, sind bis zu 27 Jahre alt und meistens männlich. Es seien grob geschätzt vielleicht 100 Kinder und Jugendliche, die regelmäßig draußen anzutreffen seien. Zwei Drittel in der Gruppe, ein Drittel allein. Aber es gehe bei seiner Arbeit nicht um Quantität. „Allein die Qualität von Gesprächen zählt.“

Er bringe erst mal für jeden Menschen Respekt und Empathie mit und sei ein Typ, mit dem man lachen könne: „Es wird leichter, wenn man eine positive Haltung ausstrahlt. Dann klappt das ganz gut.“ Damals, bei der Präventionsstelle gegen religiös begründeten Extremismus, sei es ihm noch schwergefallen, sich emotional abzugrenzen von dem, womit er tagtäglich zu tun hatte.

Dort kam es ihm so vor, als hätten einige seiner Kollegen das Abgrenzen schon so gut gelernt, als hätten sie ein Herz aus Stein: „Für mich war diese krasse Abgrenzung irgendwie nicht richtig, ich wollte immer mehr tun, als ich musste, sollte oder sogar durfte.“ Inzwischen geht er einen Mittelweg, dessen Kern er mit den Worten zusammenfasst: „Diese Arbeit ist für mich eine Herzensangelegenheit.“

Topkan will für die jungen Menschen da sein

Mehr Miteinander will er schaffen, bei dem die Vielfalt, mit der er zu tun hat, „als Brücke fungieren kann.“ Über alltäglichen Rassismus könne er ein Buch schreiben. Aber er habe beileibe nicht nur mit Jugendliche zu tun, die einen Migrationshintergrund hätten: „Bei den Problemen, die die Jugendlichen haben, geht es nicht um Migration, Religion, arm, reich oder die sexuelle Orientierung. Ich will für Menschen da sein, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr erreichbar sind. Wenn die sich dann irgendwann etwas von der Seele reden, ist das sehr viel wert.“

Sie könnten dann, nach Corona, gemeinsam überlegen, was ihnen mal wieder Spaß machen würde, zum Beispiel, abends zusammen Fußball zu spielen oder im Jugendzentrum Musiktexte zu verfassen und dann im dortigen Studio zu vertonen. Dann hat Topkan in Rücksprache mit Heiner Koch auch Zugriff auf öffentliches Geld, um etwas möglich zu machen. „Für mich“, sagt Topkan, „ist das hier eine ehrenvolle Aufgabe.“