Elmshorn. Winternotprogramm in Elmshorn gestartet. Bahnhofsmission hilft Gestrandeten wie Gisela Reese. Leichter geworden ist es nicht.
Keck wirkt Gisela Reese. Der Wollhut sitzt schief auf dem Kopf. Er verbirgt ihr wirres Haar. Der schwarze Anorak ist am Ende schief geknöpft, die Ärmel ein wenig zu lang. Das Hemd darunter ausgefranst, die Hose auch. Heile Kleidung hat sie zwar aus der Kleiderkammer erhalten. Die 57-Jährige zieht trotzdem jeden Tag die alten Lumpen an. Die neuen Sachen liegen sorgfältig gefaltet in der Winternotunterkunft. Dort hält sie Ordnung.
Gisela Reese – einer von mehreren Namen, den sie verwendet – ist bei der Bahnhofsmission Elmshorn gestrandet. Damit sie bei der Kälte nicht auf der Straße schlafen muss, kann sie nachts in die Unterkunft der Diakonie Rantzau-Münsterdorf an der Gärtnerstraße. Das Winternotprogramm wurde vor 23 Jahren ins Leben gerufen, nachdem in Elmshorn ein Obdachloser auf der Straße erfroren war. Seitdem fanden Hunderte von Menschen ohne feste Bleibe hier über Nacht einen warmen Platz zum Schlafen. Im vergangenen Winter waren es 18 Menschen mit mehr als 100 Übernachtungen. In diesem Jahr verschärft Corona die Notlage zusätzlich. Statt der fünf Schlafplätze können maximal drei vergeben werden.
Beim ersten Lockdown musste die Bahnhofsmission schließen
Tagsüber muss sich Reese am Bahnhof bei der Bahnhofsmission melden, zu der das Winternotprogramm gehört. Dort reicht ihr Leiterin Wiebke Turkat einen Becher heißen Kaffee. Es geht darum, einen warmen Schlafplatz zu bieten. Tagsüber sollen die Obdachlosen ihre Angelegenheiten bei den Ämtern erledigen und sich um eine feste Bleibe bemühen. Die Diakonie-Mitarbeiter helfen dabei. Sechs Ehrenamtliche sorgen zudem dafür, dass die Notunterkunft jeden Abend um 18 Uhr aufgeschlossen und morgens um 9 Uhr abgeschlossen wird. Das Diakoniecafé an der Sankt-Nikolai-Kirche am Alten Markt, wo sich Obdachlose sonst tagsüber bei einer Tasse Kaffee aufwärmen können, muss wegen Corona derzeit geschlossen bleiben.
Schon beim ersten Lockdown war die Bahnhofsmission für vier Wochen zu. Wiebke Turkat bereitete das große Sorgen. „Das sind Menschen mit massiven Problemen, viele von ihnen sind psychisch krank, haben Depressionen. Wir hatten Angst, dass sie sich etwas antun.“ Die Bahnhofsmission, oft der einzige Halt, der im Leben geblieben ist, ist darum trotz Teil-Lockdown geöffnet - unter Einhaltung der Hygienevorschriften.
Gisela Reese ist dankbar für die Hilfe und einen sicheren Schlafplatz. In Flensburg, wo sie zuvor in einer Wohnunterkunft war, hat sie es nicht ausgehalten. „Eine furchtbare Kontrolle“, sagt sie. Darum sei sie geflüchtet. Sie war zuvor schon in anderen Unterkünften für Obdachlose, auch in Hamburg und Neumünster. Lange hielt sie es dort nie aus.
Reese hat eine wechselhafte Lebensgeschichte
„Die Leute in den Sammelunterkünften sind schlimm. Man kriegt dort keinen Schlaf“, sagt Reese. Sie habe zugesehen, immer ganz früh morgens zu verschwinden. Auch draußen auf der Straße habe sie schon geschlafen. Dabei versucht sie, kein Risiko einzugehen. „Ich bin ein ängstlicher Typ“, sagt Reese. Sie passe auf, nicht an schlechte Menschen zu geraten. In der Vergangenheit sei ihr das mal passiert.
Ihre Papiere hat sie verloren. „Ich bin massiv in Not und suche schon länger eine Wohnung“, sagt Reese. Die letzte hatte sie durch eine Räumungsklage verloren. Verheiratet war Reese nie, Sie ist in Parchim geboren und bei den Großeltern aufgewachsen. Ihre Eltern, beide schon tot, habe sie nie als solche gesehen. Beide Brüder mussten ins Heim. Die Schwester wuchs bei den Eltern auf. „Sie hat es geschafft“, sagt Reese, die gelegentlich als Küchenhilfe oder in einer Fabrik arbeitete.
„Sie hat geheiratet und lebt in einem Haus.“ Der Kontakt zwischen den Geschwistern ist abgebrochen. Kinder hat sie keine. „Ich habe niemanden“, sagt sie. Ganz allein ist sie aber nicht, dafür sorgen die Mitarbeiter der Bahnhofsmission.
Es mangelt im Kreis Pinneberg an bezahlbarem Wohnraum
Straßenobdachlosigkeit ist im Kreis Pinneberg noch ein überschaubares Problem, anders als in Hamburg oder Neumünster. Dennoch bemerkt Peter Svejda eine Verschärfung der Situation, nicht zuletzt durch Corona. Seit März leitet er die Wohnungsnotfallhilfe Pinneberg (sie vereint die Soziale Wohnraumhilfe der Stadt Pinneberg und die Beratungsstelle für Wohnungsnothilfe im Kreis Pinneberg).
„Wir haben verstärkt Berufstätige in unserer Beratungsstelle, die durch Kurzarbeit in wirtschaftliche Schieflage geraten und von einer Räumungsklage bedroht sind, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen können.“ Die Berater helfen dann beim Ausfüllen von Anträgen im Jobcenter, versuchen bei Vermietern zu vermitteln und helfen bei der Vermittlung von Unterkünften.
Schon in den Jahren vor Corona gehörten auch Paare mit Kindern zunehmend zum Klientel. 2017 waren es 16,9 Prozent, zwei Jahre später schon 24,7 Prozent. Eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Es mangelt im Kreis wie vielerorts im Hamburger Umland an bezahlbarem Wohnraum.
Die Bahnhofsmission Elmshorn ist auf Spenden angewiesen. Hilfe unter 04121/23 61 31 und bahnhofsmission-elmshorn@die-diakonie.org.